Was ist da n o c h ? Kleine Theorie des Literarischen Bloggens (50).

Also was wirkt n o c h außer den aufs kybernetische Andere-Subjekt, sagen wir: die Avatarin gerichtete Projektionen? Es ist doch erstaunlich, zu welchen seelischen, also auch emotionalen Bindungen Netzfreundschaften, ja -lieben bei alle denen führen, die sich einmal auf dieses Medium eingelassen haben… und wie derart schnell es zu dergleichen kommt. Wirkt nicht d o c h so etwas wie eine Selbst-Objektivation, die eben das Gegenteil von Eitelkeit, die vielmehr der Versuch ist, das Eigene so vor sich hinzustellen, daß man es endlich – wie ein Fremdes – erfährt? Man ist sonst doch zu nahe daran, ist d a r i n und kann es deshalb nicht sehen. Nun gibt man’s hinaus – und wer konsequent dabei ist, das Allerpersönlichste noch, das kaum dem Gatten, kaum der Gattin gesagt wird. Dem Nächsten nicht, doch alles den Fernen. Auf diese Weise s c h ü t z t die Veröffentlichung das Innere, weil nun sowohl g a r keiner mehr daranrühren kann – denn es ist ja, im Netz, ein Fremdes -, als es auch nicht länger mehr verdrängt und versteckt werden muß. Das ist ein eminenter nicht nur literarischer, sondern allgemein-künstlerischer Prozeß; nicht anders kommt das Selbstbildnis zustande und ist nicht anders voller Fragen. Aber nicht nur dieses, sondern das S t i l l e b e n noch ist Ausdruck des Eindrucks, den ein Individuum hat, und tief-persönlich wieder hinausprojeziert. Da allerdings fällt der Bezug aufs Intime nicht auf, man muß ihn interpretieren. Da allerdings ist er verstellt.
So hat die Veröffentlichung des Privatesten mindestens zwei wirksame Dimensionen: daß eine(r) überhaupt erstmal zuläßt, was in ihm und ihr wirkt, sowie daß sie und er das, i n d e m sie das tun, überhaupt erst erkennen. Ein Schock kann das sein, besonders für andre, aber heilen. Der nächste Schritt, es nämlich nicht-anonym zuzugeben, wäre der härteste Schlag, den der Papparazzismus zu gewärtigen hätte: Wir holen uns in seiner Veröffentlichung die Verfügung über unser Intimstes zurück. Auf diese Weise wird Verdinglichtes (‚Objektiviertes’), das sonst der Marktform zufällt, wieder ganz flüssig gemacht.

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