Portrait der Marschallin als sehr junger Frau. Richard Strauss’ „Arabella“ an der Deutschen Oper Berlin. (Marschallin, 1).

Zugegeben, ich habe Schwierigkeiten mit Straussens späten Konversationsstücken, die dasselbe Bürgertum aus der Perspektive der hofmannsthal-aristokratischen Contenance denunziert, bei der sie sich strauss’isch einkuscheln möchte. Gerade die „Arabella“ habe ich bis heute immer so gehört. Das wird nach Alexander von Pfeils neuer Inszenierung und vor allem Bernd Damovskys schlagendem Bühnenbild fortan anders sein. Beide – und selbstverständlich die Leistung der Sänger und Musiker, sowie des stupend dirigierenden Ulf Schirmers… – sie alle geben insbesondere der Titelfigur eine Wahrheit zurück, die in einer traditionellen Fiaker-Inszenierung – der Opernentsprechung des ‚historischen’ Sandalenfilms – nichts als Altklugheit, Naivetät und, neben geldzittriger Pfiffigkeit, ein gerüttelt Maß mieser Dummheit geblieben wäre.
Wir sehen nicht etwa Wien, nein, wir sehen einen mit Öllachen bepfützten Parkplatz vor dem längst zerfallenen ProtzEingang eines Tanzsaals der späten Gründerzeit oder der Zwanziger Jahre, gleichviel. Ein Kleinwagen steht rechts auf der Bühne, hinten fahren immer wieder die bei Hofmannsthal noch realistisch gemeinten „Schlitten“ der Verehrer Arabellas vor: mal ein Straßenkreuzer, mal eine getunte Limousine. Im Eingang zum Ballsaal weht etwas Rauch, wie man das in manchen Städten der USA von Belüftungsgullis kennt. Tatsächlich hat sich das Regieteam seine Idee aus einem Zeitungsartikel über das niedergehende Detroit geholt. Tut nichts zur Sache, die Idee ist großartig. Indem nämlich die Erzählung sowohl zeitlich als auch örtlich versetzt wird, erhält sie einen nicht-dekorativen Sinn und vermag, die Charactere als P e r s o n e n zu zeichnen, sie auf eine Weise erstehen zu lassen, wie das im Brimbamborium eines ‚realistisch’ nachgezeichneten Kakaniens gar nicht ginge. Im Gegenteil, es würde verwischt. Auch daß im zweiten Aufzug immer wieder die Verehrer kommen und Arabella auf dem Parkplatz um den „nächsten Walzer“ bitten, ist durchaus nicht so komisch oder unangebracht, wie etwa die Hälfte des Publikums durch dumpf-notorisches Buhen glauben machen wollte. Ganz im Gegenteil ist es für jede einigermaßen ausgeprägte Vorstellungskraft ziemlich plausibel, daß irgendwo in diesem abgebröckelten Halbweltsaal ein Tangoloft versteckt ist, und die Tänzer suchen nun draußen nach ihrer Tänzerin.
Die Autos führten dann im Zweiten Aufzug rundweg zur Störung des musikalischen Fortgangs durch leider nicht fortgegangene Buherei. Ich fragte mich dauernd: Warum nehmen sich die Leute selbst den Genuß, und warum stören sie ihn uns andren, die ihn hatten? Fiaker durch Autos zu ersetzen, ist doch beileibe keine allzu heftige Provokation; vor dreißig Jahren hätte dergleichen als eher matte Idee gegolten; und h i e r, bei Pfeil/Damovsky, führt sie ja eben zur R e t t u n g des Stücks. Plötzlich h ö r t man, wie seelenvoll das gemeint ist, wenn Arabella von „dem Einzigen“ singt, der erscheint, und man w e i ß dann. Und der, tatsächlich, weiß a u c h. „Es ist mir etwas Heiliges“, sagt er, wenn er von seiner Liebe spricht. Das auf einem Parkplatz ist ganz ungeheuer. Sogar hilft diese Inszenierung über offenbare Schwächen des Librettos hinweg: Arabellas Wiederholung der „Einzigen“-Arie durch banal vorgeklapptes „Ich habe gesagt“ läßt auch dann nicht auf gebliebene große Erfindungs- und Konstruktionskraft schließen, wenn zwischen erstem und zweitem Aufzug die Pause liegt. Das reicht nicht für Bögen. Manche Autoren finden eben n i c h t im Alter zur Vollendung. Vollendet waren sie f r ü h e r; was folgt, ist selbstgefälliger Nachgesang. Desgleichen hat Straussens späte Musik eine Neigung zu Zuckrigkeit und allzu Commodem, was auch die hochraffinierte Instrumentation nicht verschleiern kann. Ja, es ist viel Operette in dem Stück – aber, und das macht diese Inszenierung so deutlich, auch ganz viel Große Musik. Eine Musik, die bei den Menschen ist, so mies sie sich immer auch geben mögen, und die vor allem bei Arabella ist, der man nun anmerkt: da begibt sich aus der falschen hohen Gesellschaft („etwas zweifelhafte Existenz“, sagt sie selbst) eine Art neuer, freilich sehr junger Marschallin.
Keine Frage, es finden sich ein paar Schwächen in dieser Inszenierung, namentlich bei der Regie. Etwa der Kleinwagen, den Graf Waldner fährt. So einer, der seine Existenz aufs (Ver)Zocken gestellt hat und ganz nebenbei die eigene Tochter in den Einsatz gibt, fährt einen g r o ß e n Wagen. Den hat er geleast und kann dann die Leasingraten nicht zahlen. Der fährt aber nicht einen MiniKombi à la Ford Fiesta. Und Mandryka, der „der Einzige“ ist – „recht“ hätte meine Großmutter gesagt -, aber halt, weil vom Lande, ein wenig grob… verstört mag er sein, sieht er Arabella tatsächlich; er mag auch etwas linkisch werden, all das… und er weicht vielleicht vor ihr bis an sein Auto zurück; eines aber tut er n i c h t: er klettert nicht rückwärts auf die Motorhaube. Das sind so Übertreibungen… – Vor allem Araballas häufiger Rampengesang ist für diese Person völlig daneben. Sie löst ja, wie die Marschallin, ihr Problem ganz allein, voller Größe, voller Haltung. Wenn sie sich aber mit Klage und Hoffnungserzählung ans Publikum wendet, dann ist das, als suchte sie Hilfe. Nein, sie sucht sie eben n i c h t! Sie holt sie aus sich selbst.
Es gäbe einiges solches mehr zu bekritteln – käme es denn darauf an. Das kommt es aber nicht. Sondern bei allen kleinen Mängeln hat diese Inszenierung Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal, vor allem aber Arabella höchste Reverenz erwiesen. Nur schneien lassen hätte Herr von Pfeil es nicht müssen in den letzten zehn Minuten. Wirklich nicht. Das Schlußstück hat Kitsch genug, w a h r en Kitsch, ja, aber er wird falsch, wenn man ihn mit Walt Disney bestreut. Ob das Stück nun im Winter spielt oder nicht.

Abschließend noch einmal zum Publikum. Leute, was läutet ihr da ein? Die Neue Restauration? Zurück in den Biedermeier? Die Fahne gehißt eines Bürgertums, das, wenn es auch nach Geld riecht, zugleich und d e s h a l b nach hilflos gepuderten Schweißfüßen stinkt? Ihr anderen aber , die ihr nicht dawart: Gehen Sie rein! In den letzten zehn Minuten, je nun, da schließen Sie halt mal die Augen. Ist bei Musik ohnedies angebracht.

[Geschrieben fürs >>>> Opernnetz.
Hintergründe wie immer bei >>>> Greenfish]

[Ich wollte diese Besprechung anfangs „Die Sache mit den Autos“ nennen – aber das werden nun so viele, mehr oder minder ähnlich, n a ch mir tun, daß mir der Geschmack daran bereits beim Schreiben verging].

>>>> Marschallin 2

3 thoughts on “Portrait der Marschallin als sehr junger Frau. Richard Strauss’ „Arabella“ an der Deutschen Oper Berlin. (Marschallin, 1).

  1. sehr richtige Beobachtung Ich werde ja leider diese Inszenierung nicht sehen können. Ich kann aber die Beobachtung über den falsch zugeordneten Kleinwagen Waldners sehr gut nachvollziehen. Das ist ein echter Regiefehler, denn man muss dem Regisseur vorwerfen, dass er sich nicht ausreichend in die Rolle Waldners eindenken kann. Es bleibt bei Oberflächlichkeit.
    Auch der Hinweis auf den Rampengesang unterstützt die Meinung, dass es dem Regisseur mehr um Effekte als um Darstellung der Gefühlslagen geht. Aber was soll’s? Am liebsten höre ich die Musik sowieso mit geschlossenen Augen oder mit Blick auf den Klavierauszug.

    1. @steppenhund: Sie verpassen was. Fehler machen wir alle. Ich wäre in meiner Rezensionen ebenso d arüber hinweggegangen, wie ich die seltenen Klanglöcher verschwieg, in die gestern abend ein Sänger schon mal fiel. Erwähnt habe ich die ‘Fehler’ allein, weil die szenische Kraft sie t r ä g t. Bescheidenheit tut manchmal ja d o c h not: Aslaam.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .