Das Krausserjournal des Freitags, dem 18. November 2011, wie auch, erwähnungshalber, des 19. Novembers. Ohne Nachträge, aber.

8.23 Uhr:
Um zwei Minuten vor acht – gestern zur Früharbeit begonnen und unentwegt durchgeschrieben – die gesamte Rohfassung des >>>> Krausser-Hörstücks fertigbekommen: achtzehn im einzeiligen Abstand sehr vollgeschriebene Seiten, was sicher an Text bereits zuviel ist für die 55 Minuten Sendedauer. Jetzt geht‘s an die erste Überarbeitung, immer noch einzeilig, bevor ich zur sogenannten Ersten Sendefassung insgesamt umformatieren werde. Das hat auch den Sinn, zum eigenen Text Distanz zu schaffen. In dieser ersten Sendefassung werden dann auch schon die Musiken spezifiziert, die wo und wielange untergelegt werden sollen oder auch ihrerseits Zwischenführung übernehmen.
Aufnahmetermine im Studio, >>>> das ARD Hauptstadtstudio kam mir wieder einmal sehr entgegen: kommenden Montag und Dienstag je von 8 bis 10 Uhr; alle übrigen Aufnahmen bei >>>> Broßmann am Küchentisch. Sprecher: er in der Rolle Helmut Kraussers, für die ich ausschließlich Zitate aus Interviews und den Büchern verwende, sowie Kavita-Janice Chohan und ich selbst a l s ich selbst. Die Küchentisch-Aufnahmen sind deshalb nötig, weil nach meiner Erfahrung nicht ausgebildete Sprecher, so gut ihre Stimmen immer auch sein mögen, Schwierigkeiten haben, in einer Studiosituation locker zu plaudern, zumal bei vorgegebenem Text; in privaten Räume ist das völlig anders, da wird auch schon mal sinnvoll improvisiert. Die saubere Künstlichkeit, wo sie nötig ist – in Partien von Vortragscharacter -, stellen wir im Studio her. Die Mischung erfolgt dann hier, innerhalb dreier Tage, zu denen ich auch einige Nacht werde rechnen müssen. Abgabe am darauffolgenden Montag ( 28. 12.) zur Früharbeitszeit; dann verbleiben zwei Tage für die Korrekturen; gesendet wird schon am Donnerstag, dem 1. Dezember.
Ich merke erneut, wie gut mir Druck tut, wie er mich inspiriert, ja mich lockert, weil er mich herausfordert und ich auf Herausforderungen mit Lust reagiere, Duell-Lust, der Lust, mich zu messen. Darüber gestern nacht lange mit der Löwin gesprochen, nachdem ich vom Abendessen bei meiner Familie zurückwar (diese Liebe der Zwillingskinder, wie sie an mir, im Wortsinn, hingen, wie sie sich freuten, daß ich da war, wie kuschelig sie waren… wie mir das Herz, ganz wie ihnen, ging…) – Daß ich einesteils immer den Fehler machte, was ich von mir selbst verlangte, immer auch von andren zu verlangen, und daß meine streng durchgetaktete Arbeit auf andere herablassend wirke, als erhöbe ich mich damit über sie. Daß gar nicht wahrgenommen würde, daß es sich dabei um eine Form handelt, die ich mir geben muß, um nicht auseinanderzufließen, weil mich, in der Tat, nichts definiert außer ihr. Lasse ich ab, beginne ich, mich zu verlieren und sacke schließlich in Melancholie. Aus der ich aber nichts zu filtern weiß, sondern sie hat mich dann ganz, lähmt mich mehr und mehr, bis ich unfähig werde, mich überhaupt noch zu rühren. Indes ich, im Arbeitsdruck, eine Vision nach der anderen… ja, „entwerfe“? Vielmehr sie, die Visionen, Ideen, durchströmen mich dann, und ich halt sie da fest, stelle sie wie Steinblöcke auf meinen Schreibtisch und beginne, sie zu behauen (sagt man das: metzen?), bis sie Gesicht sind.

Weitermachen. Eigentlich wollte ich nicht in Die Dschungel, bis diese meine Arbeit getan ist.

16.10 Uhr:
Fertig geworden! – mit der Ersten Fassung, jedenfalls, in der die Musik- und Atmo-Zuspielungen noch nicht detailliert festgelegt, aber sämtliche Sprechertexte montiert sind. Das auch zweimal auf dem Bildschirm korrigiert; jetzt wird für den nächsten Korrekturgang, auf dem Papier, ausgedruckt.
In etwa einer Stunde wird mein Junge hiersein, dann wird erstmal zu Mittag gegessen; Steaks gibt‘s, edle, die Löwin hat sie gestern abend besorgt.
Zwischendurch war ich einmal ziemlich bestürzt und bin noch immer davon bedrückt, will aber hier nicht drüber schreiben. Da ist etwas in eine falsche Kehle geraten; ich habe das, ganz offenbar, provoziert, aber arglos. Jetzt tut mir das weh, aber ich weiß nicht, wie mich anders verhalten als so, wie ich‘s tu.

9 thoughts on “Das Krausserjournal des Freitags, dem 18. November 2011, wie auch, erwähnungshalber, des 19. Novembers. Ohne Nachträge, aber.

    1. @Walhalladada. Ich bin g a r kein Kehlmann, sonst wüßte ich Gerichtsvollzieher, die endlich einmal jubeln. Was, übrigens, soll ein falscher Kehlmann denn sein?

      Und den zweite Teil Ihres Satzes finde ich kryptisch. Schon die Umkehrung scheint mir problematisch – nicht unbedingt falsch, sondern eben problematisch – zu sein: daß jemand etwas dafür könne, wie er interpretiert werde. Daß niemand bei mir etwas dazukönne, will logischerweise sagen, daß, egal, was jemand schreibe, ich sowieso herausinterpretierte, wonach mir sei. Sollten Sie das meinen, bitte ich um den Nachweis.

    2. Mein kryptischer Kommentar basierte auf der Droge: Müdigkeit. Wessen aber war ich müde…? Jetzt weiß ich es wieder, es war die Melancholiediskussion! Sie scheint zu beweisen, dass dieser Gemütszustand – nach Benjamins Definition – ‘das graue Tuch der Langeweile, innen aber mit dem glühendsten, farbigsten Seidenfutter ausgeschlagen’, zum ‘Kuscheln’ wenig geeignet erscheint, zumal, wenn dieser Zustand von Ihnen geradezu reflexhaft perhorresziert wird, aus was für guten psychologischen Gründen auch immer. Die Tatsache, dass nun die Melancholie für Sie kein ‘graues, sondern ein rotes Tuch ist, macht sie für Sie anfällig. Dafür spricht Ihr ‘Weh’ ebenso wie – bei aller ‘Arglosigkeit’ – Ihr ‘nicht anders können’. Letzteres sollten Sie Ihren KommentatorInnen auch zugestehen, es täte Ihrer Produktivität keinerlei Abbruch.

      PS: DieDschungel sind mitnichten ‘unbewohnbar’! Warum müssen Sie, Herr Herbst, geradezu zwanghaft, das ‘Unbewohnbare’ zu einem Adelsprädikat Ihrer Seele erheben , wo Sie doch in jedem Ihrer Sätze Ihre ausschließliche ‘Behaustheit’ zum Ausdruck bringen?

      PPS: Hängen Sie sich nicht an dem Wort ‘kuscheln’ auf – das wäre billig und leicht durch ‘offenbaren’ zu ersetzen!

    3. @Walhalladada. Nicht die Melancholie ist für mich ein rotes Tuch, sondern – unterdessen und zunehmend stärker – >>>> dieser Film; auch reagierte ich nicht scharf auf Melancholie, sondern auf Depression, die ich in der Tat für einen gefährlichen Zustand halte, nicht anders aber als, sagen wir, für Menschen Polio ist, die nicht geimpft sind. Aber tatsächlich gibt es >>>> Vereine zur Bekämpfung der Impfung, weil man dem Karma in der Tat die Möglichkeiten lassen sollte, die ihm anvertrauten Menschen zu reinigen. Anders als von Ihnen dargestellt, lasse ich des Karmas Meinung; wenn sie sich allerdings unter meiner Kritik kundtut, muß es damit rechnen, daß ich – argumentierend – reagiere. Genau zu diesem Zweck sind meine Beiträge kommentierbar; im Gegenteil ist es doch so, daß i c h meine Meinung zur Dispisition stelle, eben deshalb ihre Kommentierbarkeit. Nimmt sie dann jemand wahr, beginnt die Auseinandersetzung: sie genau ist der Sinn von Diskussionen. Daß Sie das ermüdet, kann ich mir nicht zuschreiben, steht es doch Ihnen und allen anderen vollkommen frei, sich spannendere Fernseh- bzw. Netz-Programme zu suchen.
      Was das >>>> “Unbewohnbare” anbelangt, so haben Sie – “Fünf. Und setzen, Dr. Schein!” – schlicht nicht aufgepaßt. Das Zitat hat aus einer Lektüre abgeschrieben, die ich gerade begonnen; es ist selbstverständlich mit der Quelle genannt, nur daß sie drüber steht, nicht drunter.

    4. Dialoge im toten Haus u r Phorkyas (ein hässlicher, zahnloser Alter, in dessen Umgebung es stark nach Schwefel riecht, zu Doktor Schein) Hier ist noch sehr viel Platz.
      Dr. Schein (blinzelt ihn an) Ist alles in Ordnung, mein werter Avatar?
      Phorkyas: Nein, aber – Das gehört beiläufig in die — Glutenkiste.
      S: Fremde Stimmen in unsren Kopfvolieren. Verdruss, dass ich Ihnen den Broch zum Kitsch vorwegnahm?
      P: Überhaupt nicht. Aber Broch. Ich glaube in dessen erkenntnisehernen Pathos kann ich mich viel besser wiederfinden als bei Krausser.
      S: Liegt’s auch an Ihrem Problem mit der Authentizität? Sie meinen, dialektisch gesehen schließen Böhmer oder Herbst die falsche Authentizität des Pops, die sie verneinen, mit ein? Gerade durch die vehementeste Ablehnung des Mainstream könnte es ein, dass man doch nur zur anderen Seite der Falschmünze wird? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.
      P: Wahrscheinlich nicht. Jedenfalls wird’s für mich nicht echter oder wahrer, indem man ein bisschen Kot oder Körpersekrete hineinmischt. Da kann ich mir auch die Lagrange-Dichte des Standardmodells anschauen, die ist auch nicht schön. Oder Bukowski lesen.
      S: Was für’ne Laus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen? Vielleicht sind Sie auch nur etwas geschafft, ruhen Sie sich doch mal aus. Ihre Diss ist doch nun fast in trocknen Tüchern.
      (Phorkyas legt sich auf die Couch, richtet sich aber sogleich wieder auf)
      P: Warum ätzt er denn jetzt schon wieder gegen Melancholia?
      S: Ruhe!
      P: In Ordnung, aber das nächste Mal schicke ich Ihnen Dmitri Karamasow zum Schlittenfahren vorbei. Kopfüber geht’s dann hinab. Am Hang noch einmal so richtig Fahrt aufnehmen… Sagte ANH das nicht auch einmal über den Absturz der Literatur? – das war ein schönes Bild.
      (er legt sich endlich zur Ruhe)

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