Konsens und Schönhauser Arkaden, darinnen – später – die Liebe der Frau zu dem Vater. Das Reisevorbereitungs- und Arbeitsjournal des Dienstags, dem 19. Juni 2012. Sowie zur vitalistischen Paradoxie des Körpers. – O t t o.


Argo-TS (715 auf dem Packen)/716/717
8.52 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Einen Großteil der gestrigen, nach Argo verbliebenen Zeit mit der Italienplanung verbracht: Flugankünfte, Bahnen, Transfers, Busse, Fähren; schließlich durchaus kompliziert, und nicht alles will reibungslos so laufen, wie ich‘s mir vorgestellt habe. An sich machen mir Wartezeiten nicht viel aus, ich kann ganz gut in einen meditativen Zustand des Harrens verfallen, nicht aber können das zumal kleine Kinder. Jedenfalls mit Excel eine Tagesliste angelegt, die möglichen Abfahrts-, Ankunfts- und Verbindungszeiten eingetragen, zugleich die Fahrpläne ausgedruckt usw. Darüber ging wirklich Zeit bis in das plötzliche scharfe Sommergewitter hinein, aus dem dann ein tropischer Dunst von den Straßen aufstieg und aus den Bäumen atmete. Dazu das Walddorf-Gespräch, die Entscheidung steht nun, der Junge wird die Schule wechseln. Es gab ein Juchhu, als ich‘s ihm, fast noch mittags, sagte. Jetzt haben wir Eltern, finanziell, was zu tun. Wie ich das trotz meiner Verschuldung, ohne eigenes Konto usw. dann immer doch noch deixle, über Mäzene und Freunde oder Freunde, die bisweilen als Mäzen fungieren, sogar über ferne Bekannte, das macht mich nicht nur wenig stolz: es spiegelt eine andere Art der Anerkennung meiner Arbeit, als offiziell gezeigt wird.
Seit sechs Uhr am Schreibtisch, vier Seiten Argo geschafft; jetzt geht es sofort weiter mit dem EKG. Der Junge wird noch vor dem Mittag aus der Schule kommen und das neue Zeugnis mitbringen; ich habe geträumt, er habe sämtliche Vieren in Dreien umgewandelt, so daß ein Schulwechsel, an sich, unnötig wäre: so tief sitzt der Wunsch nach Leistung in mir. Er ist unrealistisch und unangemessen, doch unser Unbewußtes tickt nicht wie ein Verstand, bzw, schon, aber anders, untergründend nämlich. Ziemlich spannend, das – vor allem, wenn man sich darüber klarwird oder es zu werden und Schlüsse daraus zu ziehen versucht.
Hinzu kommen politische Überlegungen, die ich unter anderem in den letzten Tagen angestellt habe, mit der Löwin, mit den Frankfurter Freunden: über das, was derzeit gesellschaftlich vorgeht:: die harrschen, aber wie merklosen Prozesse der Konsensierung von Menschen, um sie besser steuern zu können. Wobei mir ein, glaube ich, entscheidender Gedanke kam: daß nämlich der Konsum ein höchst probates Mittel solcher Steuerungen ist. Setzt man voraus, daß sie bewußt vollzogen wird, wird einem plötzlich der ganze Umbau des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks klar, dann kapiert man auch plötzlich, wieso derart unangefochten mit einem Mal der Fußball schick wurde, nämlich nicht nur bezogen auf einfache Gesellschaftsschichten, und wieso etwa Tennis und andere Sportarten jetzt so gut wie gar keine Rolle mehr spielen: die Vereinheitlichung ist durchgesetzt, die Leute sind, unabhängig von ihren Herkünften, ausgerichtet worden und auf diese Weise lenkbar. Sie wehen wie mit Stars and Stripes mit Deutschlandfahnen, die nämlich nicht mehr symbolisieren, sondern Label geworden sind wie die Registered Trade (!) Marks großer Firmen. Undsoweiter. Hier fügt sich die Political Correctness nahtlos ein. Dem entspricht die Abwehr von allem, das nicht in den Mainstream eingeht und drauf mittreibt. Aldous Huxley hatte schon recht. Wir haben keine Kultur großer Außenseiter mehr. Glätte wird zum Ideal: Geiz ist geil. Wir kaufen uns glücklich: Tatsächlich sah ich diesen Slogan neulich, nur etwas anders formuliert, am Bahnhof. Und mein Junge sagte neulich: Wir gehen jetzt ins Zentrum unseres Wisens. Womit er die Mall der nahen >>>> Schönhauser Arcaden meinte. Dagegen läßt es sich nur mit kleinen kulturellen Bomben angehn: einem Terrorismus der Ideen. Verführung durch den Eros Kunst.

12.55 Uhr:
Sò, die – wieder dieses deutsche Unwort – Tauchbefähigungsbescheinigung hab ich jetzt – aber es stand doch auf der Kante. Dazu müssen Sie sich erinnern, daß ich seit anderhalb Jahren keinen Sport mehr mache; hätte man mir schon letzte Woche gesagt, was der Lungenfunktionstest tatsächlich ergab, ich wäre wieder täglich meine zehn Kilometer gelaufen – und jedes Problem wäre beseitigt gewesen. So aber habe ich einfach nur weitergeraucht. – Also die Ärztin: „Mit diesem Ergebnis kann ich Ihnen die Bescheinigung nicht ausstellen, das müssen wir wiederholen.“ Mir rutschte das Herz in die Kniebeuge, – d ahin, weil die Unterhose es nicht faßt.
Ich: „Wär ich doch nur gelaufen. Bitte, lassen Sie mich den Test n a c h dem EKG wiederholen. Dann weiß mein Körper, was er soll. Jetzt ist er nur in Wartestellung.“ „Nee, nach dem EKG hat man keine Puste mehr, da ist man angestrengt.“ „Eben. Ich brauche das. Ich muß angestrengt werden, sonst steht bei mir alles auf ein Achtel.“ Ich wollte auch von Sherlock Holmes und der bei Tatenlosigkeit gespritzten Kokainlösung sprechen, ließ es aber bleiben. Man mag ja niemanden in Schwierigkeiten bringen. Also wir wiederholten. Das ging aus, wie ich es mir dachte. „Gut, machen wir mal das EKG.“ Erst eins in Ruhe, dann Belastung. „Ich denke, Sie haben seit anderthalb Jahren keinen Sport mehr gemacht?“ fragt mich die Ärztin. „Ja, ich hatte einfach nicht die Zeit, weil ich Zeit auch für mein Cello brauche.“ „Aber Sie haben ein Sportler-EKG. Die Werte hätt ich gerne selbst.“ „Darf ich dann bitte doch den Lungentest jetzt wiederholen?.“ „Na gut. Klar.“
So war denn alles normal. Daß ich rauche, freilich, ist zu sehen – was mich wurmt, so daß ich wirklich wieder täglich laufen werde. „Ich habe folgenden Vorschlag: Wenn ich zurück aus Italien bin, trainiere ich täglich wieder, und nach einem Monat wiederholen wir alles noch einmal. Müßte ich ja sowieso, wegen der krankenkasslichen Vorsorge-Untersuchungen.“ Sie lächelt. „So machen wir‘s.“ Ein bißchen irritiert blieb sie aber schon. Dabei kenne ich meinen Körper genau: er läßt sich hängen, wenn man ihn nicht fordert. Fordert man ihn, dann jubelt er. – So auch der Geist.
Jetzt eine Stunde schlafen.

17.30 Uhr:
Die Liebe zum Vater: – >>>> welch ein Text!
Ans Cello jetzt.

20 thoughts on “Konsens und Schönhauser Arkaden, darinnen – später – die Liebe der Frau zu dem Vater. Das Reisevorbereitungs- und Arbeitsjournal des Dienstags, dem 19. Juni 2012. Sowie zur vitalistischen Paradoxie des Körpers. – O t t o.

  1. Lieber ANH, was Sie da über die schöne neue Fußballwelt sagen, trifft es genau! Sie ahnen garnicht, wie schwer es geworden ist, einfach nur das Spiel selbst genießen zu wollen. Die kommerzielle Inszenierung nimmt überhand, alles scheint nur noch Show zu sein, sein zu dürfen, die Zuschauer machen erheitert mit und bezahlen auch noch dafür. Aber ich hab mich ja schon darüber aufgeregt http://nwschlinkert.de/2012/06/17/rhythmus-wo-jeder-mit-muss/ , es hilft ja nix.
    Ich wünsche Ihnen einen wunderbaren Italienurlaub!

  2. “Terrorismus der Ideen” finde ich eine interessante Formel und Überschrift für ein ästhetisches Programm gegen Konsumterror et al. Ideen füttern dieses System zwar auch, ja sind von ihm geradezu gesucht – man darf sich also nicht zum unbeabsichtigten Pionier machen, der den falschen Leute neues Land erschließt, das sich dann wieder in die herrschenden Ausbeutungsverhältnisse eingliedern lässt. Der Terrorismus der Ideen müsste also schneller sein: seine Orte wieder verlassen, bevor sie geortet und gekapert werden können; er müsste aber auch mit Langsamkeit zermürben, mit Massenhaftigkeit (quasi Denial-Of-Service-Attacken der Ideen) operieren, als auch mit Überkomplexität. Also alles in allem: der Maschine so viel zu tun geben, dass sie implodiert, zumindest so beschäftigt ist, das Zonen “außerhalb” entstehen. Ich nehme an, Sie haben nichts dagegen, wenn ich mir Ihre Formulierung bei Gelegenheit einmal ausleihe?
    Mit Bloomsday-Grüßen,
    Steffen&Lars Popp

    1. Das Schöne am Fussballern ist doch erstens : es ist ein KollektivSport und zweitens : es gibt klar definierte Spielregeln.
      In einer äusserst spekulationswütigen Welt, in der es durch fast alle Bereiche des politischen Fortlebens keine genauen Prognosen gibt, verbindet der Fussball Fantasie ( Spielwitz ) und Regelzuverlässigkeit.
      Das versöhnt mich persönlich mit den grölenden, deutschlandfarben-beschminkten FanKöpfen, zumal ich am TV jederzeit weggucken kann.

    2. Man kann eben nicht weggucken, so wie man auch nicht weggucken könnte, wenn beim Don Giovanni vor dem Abgang in die Hölle Werbung für ein Beerdigungsinstitut aufgeführt würde. Die Sparkassenwerbung habe ich früher aus den rororo-Taschenbüchern jedenfalls immer sofort rausgerissen, denn die konnte man auch nicht übersehen!

    3. Also : Sobald ein Schnitt zur Tribüne erfolgt zu vielleicht irgendwelchen höchstvermutbaren Vollpfosten, welche sich nicht entblödet hatten, sich diese strengen Nationalfarben in’s Gesicht geschmiergezeichnet zu haben, dirigiere ich sehr rasch und flugsen Augs meine Blicke woanders hin – über das TV-Gerät z.b. hinfort.

  3. Hallo Herr Herbst,
    ich musste schmunzeln als ich das von Ihnen las:

    “Der Junge wird noch vor dem Mittag aus der Schule kommen und das neue Zeugnis mitbringen; ich habe geträumt, er habe sämtliche Vieren in Dreien umgewandelt, so daß ein Schulwechsel, an sich, unnötig wäre: so tief sitzt der Wunsch nach Leistung in mir. Er ist unrealistisch und unangemessen, doch unser Unbewußtes tickt nicht wie ein Verstand, bzw, schon, aber anders, untergründend nämlich.”

    So ganz (Schulwechsel) entspricht das dann doch nicht Ihrer eigentlichen Lebensphilosophie, oder? Ich meine bei Ihnen selbst erhöhen Sie ja auch den Leidensdruck, wenn es nicht ganz so nach Ihren Vorstellungen klappt (siehe Tauchbefähigungsbescheinigung). Mhm?

    Freni

    1. @Freni, zweierlei. Zum einen, “bei mir selbst”, das mag stimmen; aber ich habe, und bin froh darum, gelernt, daß ich tatsächlich nicht von anderen erwarten kann, sollte und überhaupt darf, was ich von mir selbst erwarte. Menschen sind verschieden, wird, je älter ich werde, desto intensiver meine Überzeugung.
      Dazu gehört, eigentlich, auch das zweite, nur daß Sie insofern irren, als daß ich meinen Leidensdruck während des Tests erhöht hätte; genau das Gegenteil ist der Fall: ich habe über körperliches Agieren Glückshormone ausschütten lassen. In der Tat wollte ich unbedingt noch “aufdrehen”, durfte aber nicht – nur zum Schluß war mir ein Sprintchen erlaubt. Anders (sic!) als viele andere Menschen reizt mich meine Leistungsgrenze – und das DarüberHinaus. Es ist dies eben nicht Askese, sondern – Ekstase. (Psycho”hygienisch” könnte dem die Hysterie entsprechen; “meine kleine Dramaqueen” verspottet mich bisweilen mein bester Freund. Dann muß ich lachen.)

    2. 😉 Herrlich, wie schön Sie über sich selber lachen können. Es gibt nicht viele Menschen die das können.
      Vll ist es weniger das Erwarten, vielmehr Ihre Pflicht als Vater eine Leistung zu fordern. Eine Leistung die Ihren Sohn irgendwann einmal nicht zweifeln läßt. Ich meine, er könnte Ihnen das womöglich als Gleichgültigkeit unterstellen. Sie vermitteln Ihrem Sohn Werte wie Musik, Literatur und Kunst. Die schöne Seite des Lebens. Aber ob das reicht?
      Freni

    3. @Freni zu den Künsten. Es ist ein prinzipieller Irrtum, die Künste für eine schöne Seite zu halten. Ihr Wesen ist vielmehr – dunkel. Deshalb die enge Verwandtschaft mit der Perversion.
      Dies zum einen.
      Zum anderen hat der Junge ein ziemlich heftiges Beispiel disziplinierten Arbeitens an mir, und wo sein Interesse erwacht ist, unterdessen beim Cello, macht er es mir nach. Ich sehe keinen Wert darin, meinen Sohn auf Affirmation zu trimmen. Es ist aber auch kein Spaß, wenn man denn eigenwillig ist, die Konsequenzen tragen zu müssen. Wie er jetzt tut. Und bisweilen ist es sinnvoll, jemanden aus einem Prozeß zu lösen, der nicht angemessen für ihn ist. Es wird in der Waldorfschule nicht weniger gearbeitet als am Tagesgymnasium; allerdings ist man dort nicht so bereit, bedingungslos den Wünschen der Wirtschaft zu folgen – so bedingungslos, wie das derzeit an den Gymnasien, die ich kenne, und auch an den Hochschulen nicht etwa seitens aller Lehrer, sondern seitens der Politik erzwungen wird. Hinter der wiederum sehr klare funktionale Interessen, nämlich ausschließlich ökonomische, stehen.
      Was aber in der Tat reicht, das ist, seinen Kindern Leidenschaft zu vermitteln und den Mut, ihr zu folgen. Es ist fast gleichgültig, was sie dann später einmal werden, ob Handwerker, Bauern, Elektrotechniker, Gärtner, Künstler, Soldaten oder Philosophen. Wenn sie, was sie tun, mit Leidenschaft tun, dann wird das ein erfülltes Leben werden. Wenn sie es nur aus Pflicht tun, wird das Leben ärmlich sein – wie viel sie ökonomisch immer auch verdienen.

    4. Es soll auch Verwandtschaft zur Leidenschaft bestehen, sagt man, nicht nur zur Perversion.

      Sie machen das schon richtig, Herr Herbst. Ich fände es nur schade, so gar nichts zu fordern. Einfach nur so leben lassen. Für mich, wie Sie sicher nicht, eine Einstellung der Gleichgültigkeit. Wo bleibt da die Herausforderung, der Ehrgeiz sich mit Dingen zu beschäftigen die einem im Vorfeld nicht so interessant erscheinen.

      Ich glaube kaum, das es viele Menschen gibt, die ihren Beruf mit Leidenschaft ausüben. Und schon gar nicht im gewerblich-technischen Bereich. Nicht Leben um zu arbeiten, Herr Herbst, sondern Arbeiten um zu leben. Und das mit voller Leidenschaft. Um und gut zu leben braucht man Geld. Und davon nicht zu wenig. Oder was kostet eine Karte für eine Opernaufführung an der deutschen Oper nochmal?

    5. @Freni zur Deutschen Oper, unter anderem. Das kommt darauf an, wo Sie sitzen wollen. Und wirklich eindrucksvolle Inszenierungen gibt es an der Komischen Oper beinahe mehr. Rechnen Sie zwischen 10 und 40 Euro, im Schnitt um die 20/25 – wie ein Kinobesuch mit Getränken und Popcorn.

      Ich glaube, daß sich unser Arbeitsbegriff unterscheidet. Für mich ist Arbeit Austausch: der Mensch brauche etwas, gegen das er sich austauschen könne, schrieb Saint-Exupéry in Citadelle. Wer ein Feld bestellt, das auch sein eigen, beginnt eines Tages, den Boden zu lieben – wobei das auch eine Haßliebe sein kann. In jedem Fall ist es intensiv.

    6. Was Sie schreiben liest sich immer schön, nur hat das nichts mit der Realität zu tun. Ich wohne gleich um die Ecke, falls Sie mal in meiner Nähe unterwegs sein sollten, dann kommen Sie mich besuchen und ich zeige Ihnen gerne wie die Mehrheit der Menschen arbeiten und mit welcher Arbeit sie ihr Geld verdienen. Das soll kein Vorwurf sein, ich würde zum Beispiel gerne mit Ihnen tauschen, nur fehlen mir die Voraussetzung sprich die Begabung dafür.

      Ps. Sie haben sich schon viel zu weit von der Realität entfernt 😉

    7. @Freni: Entfernungen. Sie irren auch hier, in mehrfacher Hinsicht. Zum einen weiß ich sehr wohl, wie die meisten Menschen arbeiten, und ich weiß auch, wie schwer es ist, da wieder herauszukommen, weil es schlichtweg bedeutet, auf gewohnten Standard zu verzichten. Abgesehen davon habe ja auch ich in vielen Berufen gearbeitet, die ich unter die entfremdeten Tätigkeiten zählen würde: ich habe auf dem Großmarkt verkauft, habe Säcke im Hafen geschleppt, hockte ein paar Jahre in Büros, war als Fahrer für Lochstreifen und als Chauffeur tätig undsoweiter, bis hin zur Börse, die ich selbstentschlossen Knall auf Fall verließ, was ausgesprochen teuer war. Ich wußte allerdings immer, daß ich, was ich tat, auf keinen Fall lebenslänglich tun wollte, sondern nur tat, um Geldnot zu überbrücken oder um Erfahrungen zu sammeln.
      Wir entscheiden, immer, eines Tages, ob es uns auf Wohlstand ankommt oder darauf, unsere Seele zu bilden. Kurz: wir entscheiden nach dem, was uns w e r t ist: sprich; nach unseren Werten. Dabei schändet es nicht, überhaupt nicht, vom Sozialamt zu leben oder von Hartz IV, vorausgesetzt, man tut zugleich etwas, das man auch tun will. Wir haben diese Möglichkeit alle, müssen uns nur fragen; was ist uns was wert. Ich kenne sehr viele Leute, die unter dem Schuldendruck, den ich habe, gar nicht leben w o l l t e n. Entfremdete Arbeit ist ihnen lieber. Mir nicht.

      Nichts dagegen, übrigens, Sie einmal zu treffen. Nur brauche ich keinen Anschauungsunterricht, weil ich durchaus nicht als das privilegierte Luxusgeschöpf gelebt habe, wie Sie vielleicht meinen. Was meine eigentliche Tätigkeit anbelangt, so arbeite ich im Schnitt zwölf bis vierzehn Stunden täglich. Achtstundentage bringen mich zum Lachen, wenn da jemand wegen Überlastung klagt. Die Überlastung kommt alleine daher, daß jemand etwas tut, daß er ausschließlich der Bezahlung wegen tut. Ich halte das für ein Verbrechen. Allerdings haben Sie insofern recht, als unsere Kinder dahin erzogen werden, daß Hauptsinn der Arbeit das Geldverdienen sei. Bereits diese Art Erziehung ist verbrecherisch.

    8. Interessant, die vielen Jobs traute ich Ihnen gar nicht zu. Sie kamen immer so elitär daher. Sie entscheiden ihre Lebensweise womöglich nach Werten. Bei mir ist es wohl eher die finanzielle Unabhängigkeit. Ich möchte das Geld was ich “verlebe” selber verdienen und ich möchte selber darüber entscheiden. Ich habe nie ein anderes Leben kennengelernt. Vll ginge es auch so zu leben, wie Sie es tun. Keine Ahnung.
      Ich möchte Ihnen keine Vorwürfe machen. Ich meine, falls es so bei Ihnen ankommt, dann ist das mit großer Wahrscheinlichkeit ein Verständigungsproblem.
      Sie schreiben Sie arbeiten täglich 12-14 Stunden. Welches Privileg hat denn dann ihre Lebensweise? Sie sind abhängig und schuften den ganzen Tag. Das ist kein Glück, sondern Wahnsinn. Wahnsinn auch, wenn sich Menschen am Grad ihre Zeit die sie mit der Arbeit verbringen messen. Was soll der Quatsch? Geht es im Leben wirklich nur noch darum, wer wieviel arbeitet?

      Geben Sie mir ein Zeichen, wenn Sie in meiner Gegend sind. Auf den Anschauungsunterricht würde ich dann auch verzichten wollen.

    9. @Freni…. sehen Sie, Sie reden dauernd von “schuften”. Nein, ich schufte nicht. Ich tue, was ich will. Ich will arbeiten, es ist ein Genuß, manchmal weniger, manchmal mehr, Es gehört viel Kampf dazu, aber genau das gefällt mir. Es geht mir doch gar nicht um Privilegien, sondern darum, das zu tun und zu sein, was ich möchte – das größtmögliche Ausmaß an Freiheit vor allem des Denkens und Fühlens zu erreichen. Das ist nicht unbedingt identisch mit Sicherheit, manchmal sogar das Gegenteil. Sehen Sie, ich halte Unabhängigkeit, wenn ich sie mit einer Arbeit erkaufen muß, die mich nicht erfüllt, für eine Täuschung, habe das eigentlich immer getan – seit ich miterlebte, was meine Mutter alles opferte, um ihre Karriere zu machen. Ich messe mich auch nicht an der Zeit, die ich mit meiner Arbeit verbringe, sondern an ihren Ergebnissen. Sie können auch von Überzeugungen sprechen, etwa der, daß viele meiner Bücher noch immer in der Welt sein werden, wenn ich selbst längst tot bin.Daß mich trotzdem Frauen, einige, liebten und lieben, daß ich einen wunderbaren Sohn habe und die Zwillinge, für die ich ebenfalls, rein aus Freiheit, mit da bin, – das ist es, was neben meiner Arbeit, meinem Werk, noch zählt. Sonst wenig. . Weil ich, alleine ich, mich so entschieden habe.
      Nein, es geht im Leben nicht darum, wie viel jemand arbeitet. Aber es geht darum, daß sie und er das, w a s sie arbeiten, mit Leidenschaft und aus eigenem Willen tun – ihren Kindern ein Vorbild darin, das die gleiche Lebensweise den Kindern nicht aufzwingt, sondern sie instand setzt, ebenfalls ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, völlig unabhängig von dem, was eine Gesellschaft, Gruppe, Familie sagt. Kurz: so frei zu sein, wie es irgend möglich ist.

      Ich bin an sich sehr oft hier. Wenn ich’s nicht bin, liest man das in Der Dschungel. Dann besorgen Freunde die Wohnung – schon wegen der zwei seltsamen Drachen, die hier mit mir leben und versorgt werden müssen (denn sie fressen keine Jungfraun). Meinetwegen können wir schon morgen zusammen einen Kaffee trinken,

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