Phantastische Räume im Internet (1). Aus dem Entwurf des Marburger Vortrags.

Hier liegt die Verwandtschaft mit den Träumen, die sich geradezu nach Art von Feldforschungen die surrealistischen Traumversuche zum Gegenstand erkoren, was wiederum eine Erbschaft des roman­tischen Einspruchs gegen die allewelt funktional zurichtende Industrialisierung war und logischerweise ein Reflex auf die Aufklärung. Horkheimer und Adorno haben gezeigt, wie diese selber mythisch wurde. Auch davon legt Phantastik, nämlich bildhaft, Zeug­nis ab. Vielleicht hat sie das Privileg, wie in seinen besten Arbeiten Lem, ungefähre Perspektiven einnehmen zu können, vielleicht weiß sie, wie Borges, um ihren Rang. Doch immer schreibt sie mit Tinte in Sand. Oder zeitgenössischer: Sieht Tiefe, wo nur Screen ist. Und weiß zugleich, der Screen ist nicht tief, kaum räumlich, doch die flachen digitalen Zeichen sind wie Spins unendlich ineinandergerollt. Insofern ist der gegenwärtig modernste Phantastische Raum das Internet, worin sich, zumal fast in Echtzeit, persönlich Reales mit Fiktivem vermischt. Alles wird hier Literatur und der Autor, bzw. die Autorin selbst zur literarischen Figur, die mit anderen, teils realen, teils ebenfalls erfundenen Figuren ein Netzwerk aus avataren Kommunikatoren bildet, um deren Erscheinung im Netz, das ich einen ortlosen Ort nennen möchte, sich ausgeprägte Nester bilden.



(Siehe dazu auch die Bemerkungen
im >>>> heutigen Arbeitsjournal.


4 thoughts on “Phantastische Räume im Internet (1). Aus dem Entwurf des Marburger Vortrags.

  1. ohne Der rote Faden
    läßt sich nicht durchschneiden

    er zieht durchs Herz
    ist Körper , Seele stets zugleich

    er ist im Wort
    was man nicht sieht

    er scheut die Schminke,
    das Pseudo und den Rest

    der schlürft die Neige aus den Näpfen
    die hingestellt im falschen Glanz nur blenden

    die Spucke die da spauzt
    garniert in Trögen
    die da glitzern

    er ist der Stachel und der Dorn

    der rote Faden
    ist der Atem

    die Wahrheit in den Dingen

    die Schatten in dem Wort

    der Riß
    der nie sich stillt

    mit Sahne nicht und nicht
    mit Geld und Gold

    der abzieht allen Schafen
    das falsche Fell

    den feigen geilen Blick zum Hund

    der rote Faden
    läßt sich nicht durchschneiden

    er ist die Freiheit
    aus den Kettengliedern
    die sich selbst zerstückeln

    er löst in Fasern nicht sich auf

    und bindet alle Fasern doch

    zu einer Spannung
    die wir unverknechtet sind

  2. Avator Screen ist nicht Tiefe
    und doch
    totalisierend
    die Tiefe des Sogs
    in die Glätte hinein
    die sich spannt
    oberflächenhaft steril
    in der das Gegenwort erstickt
    und die zerplatzt
    von nur einem
    Tropfen Wirklichkeit

    *

    In der Märchenstadt
    füttern sie

    mit proletarischen Körnern
    und gläsernen Knochen

    die weißen Götter und Gänse

    O Fallada wie du hangest

    ameisengleich kleben
    in einem Dschungelcamp

    Schamanen

    Buchstaben
    an nackte Zungen

    *

    Sand verweht
    Tinte verblaßt

    bis ins Blut
    zucken digital Zeichen

    da es keine Tiefe
    mehr gibt

    ist das Ertrinken im Sand

    über den rollen
    weiße Kiesel

    Sonnen Walt Whitmans

    stumme Laute Celans

    *

    Im digitalen Zucken
    ein blinder Avatar

    Spins huschen über
    Dornenhecken und Seen

    stanzt er
    in Asche und Blei

    aus der Flughaut der Netze heraus

    ein unerreichbares
    Schwingen

    *

    geschrieben am 23. November, Geburtstag Celans, nach der JVA

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