III, 400 – Richard Ohnegrund

Ein Klopfen am Fenster am Nachmittag, zögerlich, und dann in dicke Tränen sich verwandelnd in einem hier und da: man schaut halt hin und denkt sich das. Punktuelle Tränen, bis sie sich nach und nach vermehrten und in einen Regenguß verwandelten wie gestern schon. Oder vorgestern? Könnte auch ‘n Gedicht werden von vorvorgestern. Richtig: in Amelia regenete (sic!) es irgendwann in Strömen, bei Zanchi, dem Weinkeller etwas weiter außerhalb: nix. Saisonarbeiter bei der Weinlese. “Ostarbeiter” fiel mir ein, als ich ihre Gestalten und Gesichter sah. Ohne Böses dabei zu denken. Lediglich wieder dieser Flash zur nicht gekannten väterlichen Großmutter: Ostarbeiter, Schwangerschaft, Abtreibung, tschüß, als der Krieg zur Neige ging. Aber alles nur in einer Erzählung irgendwann, als man mich für diese Wahrheit für reif hielt.
Und ließ mich dann selbst abtreiben, so daß das Obige gestern war. Und das hatte folgenden Grund…
Den Satz, das Heute vorwegnehmend, schrieb ich schon gestern. Aber ich weiß den Grund nicht mehr. Ich war nur müde und schlief in der letzten Nacht tatsächlich zehn Stunden. Denn es machte sich am Nachmittag schon seit Tagen bemerkbar die Reise, die arebeit, die ooch schon wieder und recht penetrant, und wohl auch der Abend des Donnerstags. Der war auch penetrant. Disco im Ostello. Denn vor Tagen schon kamen 30-40 Leute im Schüleralter angereist aus der neuen “Partnerstadt” Amelias im Dachauischen. Die feierten Abschiedsfete. Als direkter Nachbar kein guter Grund, im Stübchen sitzen zu bleiben. Es fliegt einem haltlos um die Ohren. Die Bürgermeisterin kam auch noch hinzu, Handschlag, und Anrede “Professore!” Vielleicht hielt sie mich für einen der Lehrer, die nämlich so angeredet werden. Im Schülerjargon “Prof”. Die wirklichen Begleitlehrer eher mundfaul.
Aber das war auch nicht der Grund, sondern nur eine Episode. Jetzt sind sie wieder im Dachauischen. Es hatte eher mit dem Regen zu tun. Vielleicht auch mit den vier Worten “l’inverno del nostro scontento”, die ich irgendwo gelesen hatte. “The winter of our discontent” – Gloucester in Richard III. ganz am Anfang (auch wenn meine Übersetzung von Baldini “L’inverno del nostro affanno” hat, “Mißvergnügen” auf Schlegelsch/Tiecksch).
Ich hätte nicht so müde sein dürfen gestern abend: der Bogen ließ sich nicht spannen, und der Grund bleibt unergründet.
Zu Winter ließ sich aber dennoch ein kleiner Bogen spannen, der zurückreicht in einen meiner ersten Winter in dieser Wohnung, als ich mir laut die Shakespeare-Sonette vorlas auf Englisch und in der Kraus’schen Übersetzung. Und versuchte tatsächlich, diesen Winter zu imitieren, zunächst anti-petrarkistisch, dann mit der Nummer II. Auch wenn trotz Herbst-Solstitium kein Sommerende sich bemerkbar macht, wie die Schweißtropfen auf meiner Stirn (und, alas, “my brows”) bewiesen, als ich zurückkehrte von meinem ersten Ausflug in die Unterstadt.
Es ist wohl davon auszugehen, daß Gründe keinen Bestand haben, wenn man sie nicht gleich aufschreibt, selbst wenn das Ineinanderfließen der Dinge in dem Moment, wo sie gedacht werden, etwas Abbildbares zu bewahren scheinen. So bleibt es bei einer Aufzählung von Dingen, die dazu wahrscheinlich beigetragen haben.
Ein weiterer Tag ist ins Land gegangen, und die Rekonstruktion des Grundes hat sich endgültig verflüchtigt, nicht zuletzt auch in der Beschreibung von Stangenlademagazinen für Drehmaschinen, für die ich am Freitag mit einem recht deutlichen Aufatmen eine Verschiebung der Abgabe auf morgen früh um 9 erwirken konnte. Ganz fertig geworden bin ich dennoch nicht. Also früh aufstehen und Vabanque spielen.
Aber die Szene hatte ich mal irgendwo beschrieben: Ich fuhr stehend im Bus 36 die Via Nomentana entlang bis Porta Pia. Neben mir sitzend eine wahrscheinliche Lehrerin, die vor sich Richard III. aufgeschlagen hatte und darin las. Ganz sicher hatte es sich um die Stelle gehandelt, die dem “winter of our discontent” entspricht. Ich memorierte sie, die Stelle, und wiederholte sie mir ständig auf dem Fußweg nach dem Aussteigen an der Kreuzung der Viale Regina Margherita mit ihren Platanen.
Die Jahreszeit weiß ich nicht mehr. Und ob es überhaupt noch Jahreszeiten gibt, bezweifelte ich gestern gegenüber der Tabaccaia in der Oberstadt, bei der ich nach meinem ersten Ausflug in die Unterstadt einkehrte, um mir Zigaretten zu kaufen, während mir von der Stirne der Schweiß triefte [ich wiederhole mich]: “Non ci sono più le mezze stagioni”. Womit ich nichts als einen alten Fernsehgag (aber nicht in diesem) zitierte: die Floskeln des Nichtssagens (Rubrik: “Minculpop” (also sowas wie Ministerium für Heimat (Hubschrauber und ich (der andere halt) erkennen sie an einem großen H, das auch Krankenhaus bedeuten kann)).

III, 399 – Lachen

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