Niebelschütz. (Aus dem freecity-Altblog, 2003)

 

Obwohl ich Imke Wallfeld, die die Veranstaltung am 21. in Köln betreut, gesagt habe, ich schaffte → den Vortrag nicht, da mich → der laufende Prozeß von allem anderen abhalte (wieder Interviews, wieder Anfragen vom Fernsehen – und alle interessiert der „Skandal“, „ich hab das Buch nur überflogen“ gab die Redakteuse zu…), ein plötzlicher Impuls, doch das Ding zu skizzieren und später dann „frei“ zu halten… aber die Gedanken fliegen nur so aufs Papier, selbst Formulierungen sitzen unmittelbar, kleine Sottisen, eine Art „General“betrachtung… und schon der Einfall, der alles trägt: Daß unbewußt in dem Dichter ein Vorgriff geschieht, weit über fünfzig Jahre und auch den eigenen Horizont hinweg, „Dichtung hüpft oft Ellipsen hinterm Kopf ihres Autors“ schrieb ich, ich bin ganz verwundert. Wer hätte gedacht, daß → der restaurative Aristokrat Parteigänger einer Moderne würde, die damals noch gar nicht existierte; die damalige Moderne hustet ja unterdessen viel Staub, selbst die Musik der Avantgarde klingt mitunter ganz gebeugt, tastend, so völlig ohne Mut. Und da kommt einer daher, bückt sich nicht, sondern – singt. Man mag den Mann mögen oder nicht, jedenfalls hat er Glut. Daß ihm die → kybernetische Revolution derart recht gibt, hat viel literarhistorischen Witz.

Ich werde das Ding mir gemäß sehr persönlich halten, innig, „unendliche Nähe“, wie Benjamin schreibt, „ferne Nähe“ – als hörte man vom anderen Ufer eines ausgedehnten Sees jemanden Fremdes Vertrautes singen. Wenn man einander begegnet, hat man sich trotzdem nichts zu sagen und ist doch enger aneinander als mit manchem Freund. Irgendwo in Niebelschützens Aufsätzen fand ich die Stelle, die sehr klug kommentiert: sich auf einen anderen (eines anderen Werk) zu stützen, bedeute, ihn umzuformen, ihn „sich“ anzuformen, heißt: ihn zu erfinden.

Also immer wieder das jetzt juridisch gewordene Problem, an dem ich seit Jahren laboriere. Dazu abermals Niebelschütz: „Es kann ein Roman oder ein Drama noch so genaue Portraits enthalten: immer wird die Psychologie des Autors die Gewichte verschieben, und die Dargestellten werden nicht mehr die sein, die sie waren.“ Ecco! Dieser ganze Prozeß ist einfach nur Quatsch. Aber doch auch wie der kleingeistige Nachbar, der einen seinen Frieden nicht finden läßt, so daß man schließlich ausziehen muß, einer Wasserspülung, einer nicht geputzten Treppe oder einer Glühbirne auf dem Flur wegen, die man zu ersetzen vergaß, weil man über Kosmologie grübelte… Ach Lottchen, ach Weimar!

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