MDTFEB, 11. Tag.

Sehr bewußt wähle ich >>>> im direkten Anschluß an Pettersson heute einen anderen Außenseiter, der nicht weniger als jener über lange Zeit vom Musikbetrieb ignoriert und ausgegrenzt wurde, diesmal allerdings nicht wegen eines Rückgriffs auf ‚überkommene’ tonale Strukturen, sondern eher ganz im Gegenteil, weil er versuchte, in Mikrobereiche musikalischen Ausdrucks vorzudringen, weil er damit eingehend experimentierte… was für den Mann ein völlig falsches Wort ist. Vielmehr hat er sich in die Klänge versenkt. So nannte er sich denn eher ein Medium denn einen Komponisten. Und niemals erlaubte er, daß öffentlich ein Bild von ihm gezeigt wurde. Er signierte stets mit einem griechischen Omega. Schlimmer war aber, daß er weitgehend ein Autodidakt war, von dem es bisweilen hieß, er halte sich „Ghostwriter“, um seine obendrein sich fast jeder kompositionstechnischen Analyse entziehenden Partituren zu realisieren. Den begüterten Aristokraten Conte Giacinto Francesco Maria Scelsi d’Ayala Valva mußte die Ablehnung allerdings nicht scheren; sein Vermögen ließ die Baseballschläger-Hiebe so ungetroffen wie ungerührt von ihm abprallen, mit denen der Kunstbetrieb so gerne auf alles losprügelt, was vor seinem dumpfen Stallgeruch die Nase rümpft.
Nach Asien-Reisen und einer offenbaren Beeinflussung durch fernöstliche Philosophie, sowie nach einer schweren Krankheit fand Scelsi seit den Fünfziger Jahren des Zwanzigsten Jahrhunderts zu einem unverwechselbaren, alle Kategorien sprengenden höchst meditativen Stil. Man hört ‚einen Scelsi’ sofort aus Hunderten anderer Musiken heraus, ganz ähnlich wie Allan Pettersson. Beide sind die zwei Seiten derselben Münze Kunstmusik, die die Suche nach tiefer Harmonie mit ins Extremste gesteigertem Ausdruckswillen zu vereinigen sucht.

>>>> Giacinto Scelsi: Anahit. Lyrisches Poem über den Namen der Venus. 1965. Für Violine solo und 18 Instrumente.

Rome is the boundary between East and West. South of Rome, the East starts, north of Rome, the West starts. The borderline runs exactly through the Roman Forum. There is my house: This explains my life and my music.

3 thoughts on “MDTFEB, 11. Tag.

  1. signatur verzeihung, aber die signatur dieses wirklich einzigartigen zu-selten-zu-hörenden ist mitnichten ein omega, sondern schlicht ein kreis über einer waagrechten linie, interpretation offen:

    “Ich schreibe niemals über mich oder meine Musik, noch verschicke ich irgendwelche Photographien. Sie werden sie in keinem Konzertprogramm in Italien oder im Ausland finden. Ich kann Ihnen jedoch eine Zeichnung geben, wie ich es auch bei anderen Anfragen getan habe; es ist mein Symbol. Es kann als ein Zen-Symbol interpretiert werden, oder als Sonne über dem Horizont, oder als große, unterstrichene Null. Wie man will.”

    auch das weitgehende autodidaktentum lässt sich vermutlich nicht ganz aufrechterhalten, selbst wenn er seine studien offenbar nie regulär abgeschlossen hat.

    die durch den text durchklingenden wertschätzung wird allerdings nur zu gerne geteilt (persönlicher favorit, derzeit: die kammermusikstücke für streichorchester, erschienen bei forlane, 2000). es gibt leider viel zu wenige menschen in *dieser* kategorie, aber die strahlkraft *derer* die es gibt…

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