Was verstehe ich eigentlich unter Pathos?

Fragte ich mich >>>> grad. Und hatte die Antwort nahezu unmittelbar parat: I n t e n s i t ä t. Was bedeutet, in nahezu permanentem Erregtsein zu leben, in der Begeisterung, von der >>>> neulich Reichenbach geschrieben hat. Das muß Ruhe nicht ausschließen, aber sie ist selten und hat dann eher den Character von Erschöpfung, g u t e r Erschöpfung, in der man, ganz wie im Liebesakt, sich sammelt, um dann von neuem in die Begeisterung zu geraten. S o leben wollen, d a s meint Pathos. (Ich fand grade die Kritik über eine Lesung in den Briefkasten gelegt, in der ich ein „fortwährend auf Hochtouren laufende“r Romancier genannt werde. Ja, fortwährend auf Hochtouren. Darum geht es. Leben. Wenn wir sterben, früh genug, dann ist Zeit für den Leerlauf. (Die Kehrseite der Begeisterung ist die Depression, mir ist das durchaus bewußt. Und auch die soll nicht nur lau, soll nicht nur ‚melancholisch’ sein, sondern wie die Lust auch den Schmerz bis ganz zum Grund auslecken. Es geht bei dem allen um radikale Lebensliebe.)

20 thoughts on “Was verstehe ich eigentlich unter Pathos?

    1. Ich beschreibe hier kein manisch-Depressives, bewahre! Anders als dieses, welches im übrigen eine Krankheitsform wäre, ist die beschriebene (und nicht ständig durchhaltbare, leider, ich weiß) pathetische Lebenshaltung vitalistisch und produktiv, also schöpferisch. Zugleich ist sie intellektuell. Auch die Depression ist hier schöpferisch. Und ich meine, daß dies alles ist, worauf es wirklich ankommt. Aber selbstverständlich hat der kleine Text den Character eines Manifestes: er ist eine Absichts- und Absichtenerklärung.

    2. Manisch-Depressive sind also weder vitalistisch noch produktiv noch schöpferisch noch intellektuell, sondern “nur” krank? Da belehrt uns aber die Literaturgeschichte eines besseren. Vermutlich gäbe es überhaupt keine Literatur ohne die Quecksilbernen (eine Tatsache, die wiederum nicht dazu verleiten darf, das Leiden zu pathetisieren oder schlimmer, zu romantisieren; es sind die drei Seiten derselben Münze). — Ich gehe davon aus, dass Sie das nicht so gemeint haben, wie ich es nun interpretiere; möchte nur darauf hinweisen, dass man es so verstehen kann.
      (“Depression” allein ist definitionsgemäss auch eine Krankheitsform, egal ob schöpferisch oder nicht).

    3. @La Tortuga. Sie haben völlig recht. In dieser Lesart war das tatsächlich nicht gemeint. Insgesamt muß man bei Ausschließlichkeiten vorsichtig sein. Hier ging es aber um Abgrenzung, da ist manchmal eine s e h r forcierte Haltungsformulierung hilfreich, die in wiederum anderen Zusammenhängen völlig fehlläuft.

  1. vielleicht ist ja ‘pathos’ gar nicht das ideale wort für ihre radikale lebensliebe. die wikipedia bietet einen >>netten beitrag zum pathosbegriff zu lesen.
    daraus der letzte absatz sei hier zitiert:
    Gegenwärtig steht Pathos unter Verdacht und ist zum wertenden Schlagwort geworden, etwa in der Film- und Literaturkritik. Der Differenziertheit der Pathos-Begriffe entsprechend, kann sich dieser Verdacht gegen äußerst unterschiedliche Phänomene richten. Er gründet etwa nicht nur in neuen Formen der Emotionskritik, sondern richtet sich auch auf die großen Erzählungen (Lyotard), mit denen der Stil traditionell verbunden ist: so etwa bei Schiller die Idee der Freiheit. In diesem Sinne werden z.B. die Filme des amerikanischen Produzenten Jerry Bruckheimer – meist von europäischen Beobachtern – als pathetisch wahrgenommen, verbinden sie doch eindrückliche filmische Mittel mit einem emphatischen Verhältnis zu Konzepten wie Nation, Heldentum oder Heimat. Wenn pathetisch dagegen im Sinne von theatralisch verwendet wird, weist das zurück auf eine tradierte Stil-Skepsis, die auf der Opposition von Authentizität und Künstlichkeit aufbaut. So fordert die literarische Empfindsamkeit im 18. Jahrhundert gerade die einfache Sprache als Ausdruck ‘wahrer’ Emotionalität, wodurch elaborierte ‘pathetische’ Sprachtechniken, wie sie etwa im Barock perfektioniert wurden, in Verruf geraten. In ähnlicher Weise versuchen Autoren-Filmer der Gegenwart gerade mittels der Beschränkung filmischer Technik wieder Pathos im Sinne ‘authentischer’ überwältigender Emotionalität zu erzeugen (Dogma 95). Der deutsche Manipulationsverdacht gründet sich nach 1945 vor allem auch auf die Kritik an der Rhetorik des Nationalsozialismus, während die amerikanische Tradition unbelasteter scheint – wie beispielsweise aktuelle Reden von George W. Bush bezeugen. wenn sie oben die INTENSITÄT nennen, denke ich reflexartig an das intensive leben unserer gesellschaft in kriegszeiten, die lebenslust der 20er jahre, der tanz auf dem vulkan. eine art kompensation, der möglicherweise eine gewollte oder ungewollte dekompensation folgen könnte. das klingt jetzt wieder banal und ärgert sie vielleicht, ich meins aber nicht so.
    – jetzt fällt mir grade hesse’s “klein und wagner” und “klingsors letzter sommer”ein, wo im ansatz auch diese intensität gesucht ist (von hesse wohl auch gelebt wurde), im vergleich zu ihrem lebenstempo bzw. -ideal aber eher von beschaulichkeit gesprochen werden kann.
    unser aller lebensgefühl ist in gewisserweise ähnlich, nur etwas beschleunigter (als in den 20er jahren), wir werden von wirtschaft und politik vorwärtsgepeitscht, von maschinen (autos) und leistungsdenken, von der angst niemals gelebt zu haben, etc. die steigende anzahl der gemütskranken und drogenkonsumenten / -süchtigen ist ein indiz dafür … ich bin davon genauso befallen, nur verinnerliche ich das generell. in mir toben die orkane, treibt der wahn sein spiel, quälen mich teufel und götter. und ich sehe dabei zu …

    1. @ ferromonte. Schöner Text, der mich mit Ihnen wieder ganz ver’söhnt’. Wir unterscheiden uns wohl vor allem darin, daß ich n i c h t schreiben kann “und ich sehe dabei zu”; sondern ich will nicht zusehen, sondern mitmachen, mitfließen, mit herumgeworfen werden, mit bedroht werden, ich will das Risiko. Ich will kein ‘beschauliches’ und auch kein beschauendes Leben, sondern eines, das in allen Irrtümern, in allem Glauben, in allem Wissen d a b e i ist. Tatsächlich w i l l ich das kämpferische Leben, das ich ja nun auch habe. Manchmal klag ich drüber und hätt’s gern einfacher, aber ich weiß doch genau: in dem Moment, in dem es ‘einfacher’ w i r d, stellen sich mir die Nackenhaare hoch und ich breche aus. Ich glaube, daß mich diese Haltung befähigt, wirkliche Personen in meinen Büchern zu schaffen. die ganz in denselben verwickelten Irrtümern stecken; das ist der Grund für ihre N ä h e und ihren Atem: weil ich selbst miterlebe, es selber b i n, was sie umtreibt.
      Daß so jemand, mit solch einer Haltung, als Politiker eine Katastrophe wäre, darüber muß man nicht streiten, das ist mir bewußt; aber ich bin ja auch keiner, sondern habe es mit Kunst zu tun. Daß ich Vater wurde und nun abermals werde, verlangt eine gewisse Harmonisierung – eine gewisse nur -, die dafür sorgt, daß ich nicht schließlich im Chaos versinke; das hat eine Form von Ironie, die mir sympathisch ist. Und sehen Sie, diese Angst, niemals gelebt zu haben, von der Sie schreiben… die kenne ich de facto n i c h t. Und weiß genau, wenn ich sterbe, dann werde ich’s vielleicht bedauern, nicht noch das eine und/oder andere Werk fertiggebracht zu haben, aber imgrunde werde ich völlig einverstanden sein. Das würde auch heute schon gelten: Es ist genug da, es liegt genug vor – selbst ARGO ließe sich über Die Dschungel und die vorliegende Erste Fassung von einem feingriffigen Germanisten gültig, wenn auch in der letzten Form fragmenten fertigstellen – selbst ANDERSWELT also ist längst da. Jetzt die Elegien noch, neuerdings die Gedichte – also wenn der Tod jetzt käme, Lungenkrebs vielleicht, was ja dann immer schnell geht, vielleicht ein Unfall, vielleicht auch ein Terrorattentat, in das ich dummerweise gerate… also jetzt bereits würde ich sagen: Okay, dann ist er jetzt also da, der Tod. Ich hab genug Spuren hinterlassen, um meinen Kindern Erbschaft zu sein. (Unabhängig davon möchte ich sehr sehr gerne noch erleben, wie diese Kinder erwachsen werden und ebenfalls Kinder haben… wie dieser Fluß weitergeht, selbstverständlich. Und nach wie vor möchte ich 124 Jahre alt werden, 110 wär auch in Ordnung. Aber wenn es nicht sein soll, hätt ich heute eine sehr heidnische Form von Insch’allah in mir.)

  2. “Jener germanische Jüngling, der einsam im Eichenwald am Altare Wotans
    niedersinkend, von ihm, der jeglichen Wunsch zu erfüllen mag, in halbartikuliertem
    Gebetruf, singend, schreiend, die Geliebte sich erflehte, dessen Worte,
    ihm selbst erstaunlich, zu sonderbaren Rhythmen sich banden, die seiner
    Seele ein Echo riefen, war der erste deutsche Dichter”

    Klabund

    1. Ich frage mich nur… … woher sie die Gewissheit zu diesen grossen Aussagen nimmt, die Frau Paglia. So wie sie es schreibt, scheint sie ja beinahe dabeigewesen. DAS allerdings erscheint mir leidlich unwahrscheinlich. Soll es Kulturwissenschaft sein, wäre es eben keine, sondern primär Bullshit; soll es Dichtung sein, hat es keine Aussagekraft (im Sinn eines überprüfbaren Wahrheitsgehalts). Und unterm Strich bleibt: nichts davon übrig.

      Für erheblich lohnenswerter als das Geschwurbel der Paglia halte ich in dem Zusammenhang übrigens die Publikationen von Robert Pfaller, der sich ziemlich lesenswert u. a. mit Alltagsmagie (im kulturellen Sinn) auseinandergesetzt hat.

    2. @brsma. An Paglia finde ich überhaupt kein “Geschwurbel”. Sie formuliert p o i n t i e r t; es handelt sich um Essays, die innerhalb eines Auseinandersetzung Position beziehen, keineswegs um wissenschaftliche Analysen. Darin ist Paglia Ihrem geliebten (und meinem geschätzten) Nietzsche sehr ähnlich – wie insgesamt den philosophisch-spekulative und nicht etwa empirischen Geisteswissenschaften. Der Empirie entzieht sich mythisches Denken ja insgesamt. Die Frage, die sich bei Paglia – wie bei Nietzsche, bei Bloch, bei Adorno immer wieder stellt -, ist eine nach Plausibilität. Mir ist sehr vieles in ihren Schriften s e h r plausibel, auch wenn ich in einigem anderer Meinung – aber vielleicht g a r nicht so anderer Meinung – bin. Interessant ist dabei, wie Sie, brsma, sofort polemisch reagieren, anstatt Aussagen erst einmal ernst zu nehmen. Mein Eindruck bei Ihrer Art der Argumentation ist der einer an den beschwörenden “Apage!”-Ausruf erinnernden Abwehr.

    3. @ANH Ich bezweifle gar nicht von vornherein, dass es in Paglias Schriften einiges Plausibles gibt. Andererseits lehnt sie sich mit den obigen Aussagen meiner Meinung nach ziemlich weit aus dem Fenster: Sie spricht über nichts als eine individuelle Vermutung über Ereignisse in eine Zeit der sie nicht beigewohnt hat, noch existieren aus dieser Zeugnisse, die ihre Behauptung belegen könnten. Sie trifft diese Aussage dennoch mit dem sprachlichen Duktus historischer Gewissheit. *Das* bringt mich auf die Palme – unter anderem. Dann der Bannspruch: dies ist *eine* von zwei gleichwahrscheinlichen Möglichkeiten, denn neben dem abwehrenden Bannzauber, gibt es auch gleichwertig den Typus des heraufbeschwörenden Zaubers. (cf. Pfaller – ernsthafte Empfehlung! –, der Mann ist ziemlich gut, schon die Aufsatzsammlung zur Interpassivität war m. E. klasse) Paglia wählt nun den Abwehrzauber als Quelle der Kunst und macht daran quasi-kausal weitere Qualitäten fest. Es ist aber *ihre* vollkommen arbiträre Wahl! Hätte sie den heraufbeschwörenden Zauber gewählt, würde ihre gedankliche Kette zusammenbrechen. Sie baut sozusagen eine Genesis der Kunst auf einer vollkommen willkürlichen Entscheidung auf, lässt den Lesenden über diese Tatsache im Unklaren, bettet diese freien Behauptungen dazu noch in die Sprache historischer Gewissheit. Und das empfinde ich (allemal anno 2006) schlicht und einfach nicht mehr als akzeptabel und höchst schlampiges Denken und Schreiben.

      Nachtrag: das ist auch bei Adorno teilweise schon «Schaas mit Quastln» wie die Wiener so schön sagen, ich erinnere nur an die ihn in meinen Augen nahezu(!) disqualifizierenden Auslassungen zum Jazz. Ich habe das Buch seinerzeit wütend quer durch’s Zimmer gepfeffert – nicht weil mir die Aussage nicht passte, sondern weil es mir nicht in meinen Kopf wollte, wie der Mann an diesem Punkt so unglaublich offensichtlich blöd sein konnte.

    4. Zum heraufbeschwörenden Zauber kann ich nichts sagen. Da ich das von Ihnen empfohlene Buch (noch) nicht kenne und also nicht weiß, w a s heraufbeschworen wird. An Paglia hingegen besticht die Körperlichkeit ihrer Argumentation, das Geschlechtliche. Das eben auch für mich Basis allen Denkens ist. Man muß Paglia in der Auseinandersetzung mit jenen verstehen, die Geschlechtlichkeit ein soziales Konstrukt sein lassen wollen. Dagegen spricht die Menses. Und von der Menses als “Erstem Beweger” gehen Paglia wie ich aus, sie abwehrend, ich annehmend. (Ich kenne Paglias Ekel vor dem Schlamm nicht, den ihre bisweilen entgleitenden Formulierungen – es sind Wertungen – bezeugen. Mich erregt die Monatsblutung, ich wollte sie auf keinen Fall in meinem Sexualleben missen.) Was nun die historische Gewißheit anbelangt, so ist sie bei Paglia – biologisch. Darin bin ich wiederum völlig konform. Von einem ‘ursprünglichen’ Matriarchat spricht auch Paglia nur symbolisch, ganz anders als etwa der meinem Deken ebenfalls nahe Ranke-Graves. Es lohnt sich, >>>> ihre Kunstaufsätze zu lesen; es sind – und sollen es sein – Interpretationen. Für mich sind sie ein Gipfel dessen, was diese Disziplin ü b e r h a u p t je erreicht hat. Sie haben eine Qualität, die an Benjamins Betrachtungen heranreicht; nur daß sie lebendiger sind und weniger religiös.

      Zu Ihrem Nachtrag: Adorno bezog sich vor allem auf den Dixie, und für den läßt sich unterschreiben, was er schrieb. Was er in der Tat n i c h t sah, war die rapide Entwicklung in den free jazz, so, als hätte er übersehen, welche Quelle für die Hochmusik die Volksmusik dargestellt hat (ähnlich wie das Volksmärchen für die Literatur). Er war da entwicklungsblind, obwohl er doch klug über Mahler schrieb und den Stellenwert etwa der Arnim/Brentano-Sammlung hätte wissen müssen. Da überschattete sein Denken der Marxismus, der den Ausgebeuteten ein Kunsthandwerk treiben läßt, das Spiegel allein der expropriierenden Verhältnisse ist. Genau das stimmt aber nicht, da archetypische – myhische – Konstruktionen den Prozeß ebenfalls mitbestimmen. Und die stammen nicht aus gesellschaftlicher Unterdrückung.

    5. Gedanken. Ein gedrucktes und geprägtes Zeichen unserer ungerechten Welt ist das Geld. Pecunia non olet, verkündete Vespasian und führte die Kloakensteuer ein. Geld verdirbt den Charakter, heißt es in einem Sprichwort. Eine andere Sentenz ruft uns zu: Geld macht nicht glücklich. Die Volksweisheit, Geld ist nicht Alles dagegen spendet relativierend Trost all jenen, denen es daran mangelt und die ruhig gestellt werden sollen.

      Die ganze Diskussion, um Camille Paglia, die ich höchst spannend finde, (Ich werde ihre Bücher lesen müssen, sagt mir mein Verstand.) blendet materielle, ökonomische Ursachen mancher kulturellen Entwicklung aus. Nun kann man einwenden, dass dies nicht Gegenstand der Betrachtung ist. Ich halte dafür, dass, bei allen biologischen Determinanten, die das Verhältnis der Geschlechter zueinander sicher wesentlich in frühen Vorzeiten bestimmten, die arbeitsteiligen Prozesse, die Entwicklung der Art und Weise zu produzieren die Frauen von der Gefangenschaft des Herdes erlöste. Keinen öden, dogmatischen Marxismus will ich hier das Wort reden, sondern nur zu bedenken geben, dass außerhalb der Sexualität, auch die Faktoren Hunger und Essen, die Entwicklung von Technologien, ihre kulturbildenden Charaktere entwickelten, die archaische Verhaltensmuster ergänzten und oft auch ersetzten. Die mögliche ökonomische Unabhängigkeit der Frau in der postmodernen Gesellschaft, die auch das Weibliche in den Maelstrom des Kapitals wirft, schuf erst die Geschlechterkonkurrenz. Die Sehnsucht nach Ruhe und einer biologischen Geborgenheit wird für mich in theoretischen Konstrukten sichtbar, wie sie Camille Paglia, dabei Geschlechterverrat übend, beschwört. Grundsätzlich, meine ich, gilt es misstrauisch Theorien gegenüber zu sein, die die Welt nur aus einem Blickwinkel betrachten. Camille Paglia, wie ich es bis jetzt durch eure Diskussionen verstand, argumentiert, ohne auf Maud Mead u.a. zu verweisen, behavioristisch, auch wenn sie scheinbar Verhaltensweisen, ob archaischen oder modernen Ursprungs, biologistisch interpretiert. Ihre scharfe, gekonnte , essayistische Sprache von der , was ich bis jetzt Zitatenweise las, man fasziniert sein kann, verdeckt die Schwäche des EINEN BLICKS, der aber auch gleichzeitig ihre Stärke ist. Denn er zwingt die Leser hin zu jenem Fokus, den sie in der Jagd des Alltags verdrängt und vergessen haben.

    6. In Bezug auf die körperliche Begründung des Denkens… … sind wir uns im Grunde eh sehr nahe (das beginnt auf meiner Seite mit einer damals geradezu tief feindseligen Haltung gegenüber dem cartesianischen Cogito mit knapp zwanzig Jahren – was nicht zuletzt meiner Artaud-Lektüre geschuldet war). Wenngleich ich nichtsdestotrotz der Meinung bin, dass Geschlechtlichkeit kein ausschliesslich im *eigenen* Körper zu verortendes Konstrukt ist, sondern auch – ebenso wie Bewusstsein überhaupt – ganz erhebliche Aspekte von Kommunikation beinhaltet, und somit notwendigerweise *auch* sozial ist (es sind allerdings dennoch Körper, die kommunizieren).

      Die Monatsblutung… meiner Erfahrung nach waren es, wenn überhaupt, jeweils die Frauen, die damit Probleme hatten. Wobei sich für mich nicht geklärt hat, ob das primär der allgemeinen Stimmungsturbulenzen während der Regel geschuldet ist, ob es tatsächlich nur das Blut ist etc. Allerdings ist, wenn ich mich recht erinnere, auch die Infektionsgefahr – u.a. beim Koitus – während der Blutung erhöht, insofern _könnte_ ein gewisses Mass an Ekel hier auch eine schützende Funktion besitzen. Es wäre gut, zu alldem noch ein paar weibliche Stimmen zu hören. Denn ich _kann_ den fremden Körper _nicht_ denken. Es scheint mir in meiner frühen Pubertät, so mit 11 bis 12 Jahren gewesen sein, als mir diese Beschränkung zum ersten Mal deutlich bewusst wurde. Ich habe innerlich Zeter und Mordio geschrien, als ich merkte, dass es da Bereiche menschlicher Erfahrung gibt, die mir _grundsätzlich_ _verschlossen_ sind, dass es da eine absolute Grenze gibt, die mir der Körper setzt, über die ich nicht hinaus komme.

      Was Adorno anbelangt: meines Wissens hat er seine Position allerdings auch nie wieder überdacht, und es fällt mir schwer, vorzustellen, dass er die musikalische Entwicklung im Jazz, die spätestens mit dem Bebop deutlich wurde, nicht wenigstens _bemerkt_ hätte. Zumindest: hätte bemerken können. Aber sei’s drum, er hatte – bei aller intellektuellen Grösse – eh einige Schwächen, die man gerne übersieht… (das Verhältnis zu und Verhalten gegenüber Walter Benjamin gehört m. E. dabei zu den dunkelsten Stellen)

    7. Oh, brsma, Adorno hatte v i e l e Fehler. Zum Beispiel einen, den ich n i e verzeihe: Autoritätshörigkeit (er gab sie an nicht wenige seiner Schüler weiter). Denn hat nicht etwa e r aus lauter Hilflosigkeit nach der Ordnungsmacht gerufen, als protestierende Studentinnen in seiner Vorlesung die Brüste enthüllten? Und war nicht etwa auch er dabei, eine Truppenparade abzunehmen? – Ich bin mir dessen durchaus bewußt – zu zugleich der funktionellen Wirkung jener double-bind-Strukturen, die sein gesamtes philosophisches Werk durchziehen.Und dennoch.

    8. Frau und Blut Mit dem Eintreten der ersten Monatsblutung kam das stolze Gefühl, dazuzugehören, gleichzeitig aber ging eine stete Alarmbereitschaft damit einher: Draußen lauert, was ins Innen will. Nicht das Blut selbst sah ich als Beeinträchtigung, im Gegenteil, wenn ich s p ü r e n konnte, wie es den Körper verließ, zusammengeklumpt, und f l u t s c h t e, so war dies ein durchaus angenehmes Erlebnis. Die esoterische Beschäftigung in manchen Frauengruppen der späten 70er fand ich dann aber doch übertrieben, sie widersprach zudem der gleichzeitig vorangetriebenen Selbstbestimmungsideologie, der offenbar auch ein Gefühl des Ausgeliefertseins dem Körper gegenüber zuzuschreiben war; das Empfinden von Beeinträchtigung kam mit den Kreuzschmerzen, mit den endlosen Blutungstagen, gemildert von der Bequemlichkeit von Tampons – doch wohlgemerkt: in Bezug auf Alltagsleben, ständigem Unterwegssein, nicht aber in sexuellem Zusammenhang.

      Da machte ich eher die Erfahrung, dass die Männer die blutende Frau als eine Unberührbare sahen, wie oft hörte ich den geseufzten Satz “blöd, dass es nicht geht”, so als würde i c h ihrer Begierde absichtlich etwas in den Weg legen. Lag es an der S i c h t b a r k e i t (ich erinnere mich an den aufgeregten Anruf eines jungen Mannes am nächsten Tag: die Mutter käme bald zurück, wie er denn die Bettwäsche waschen solle!), oder der G e r u c h – aber beim smell of sex stört das ja auch niemanden! Da fällt mir ein Musikstück ein: Kip Hanrahan – The First And Last To Love Me, auf der CD All Roads Are Made Of The Flesh; eine Mini-Hörprobe finden Sie –> hier: It tastes like … sex, it smells like … sex

      Aber jetzt bin ich abgeschweift …
      Im Übergang zum Klimakterium sehe ich mit Wehmut zurück.

    9. Klimakterium. Diese Wehmut verstehe ich gut. Wobei Paglia in ihrer forciert formulierten Abwehr ausgesprochen radikal vorgeht:

      Alles Sexuelle wird beherrscht von Trieb und archaischem Zwang. Die Masken des Sexuellen werden durch den Gezeitenstrom der Regression, die Rückkehr in den ursprünglichen Auflösungszustand, den Ferenczi mit dem Ozean identifiziert, aufgelöst.
      Paglia, 14.

      Deshalb, übrigens, h e i ß t >>>> mein verbotenes Buch, wie es heißt. Darin legt auch ein Grund für den Skandal, den es ausgelöst hat und der den apollinisch-normativ gesonnenen Richter dazu motivierte, ein solches Buch auch tatsächlich zu verbieten – ganz unabhängig vom Anlaß, nämlich der objektiv vorliegenden Verwundung des Klägers. Auch wenn das dem Richter – und den hochfeindlich (!!!) gesonnenen Kommentatoren in den Feuilletons nicht bewußt gewesen sein mag.

      Der freie Wille findet in den lebenden Zellen unseres Körpers seinen Tod; Natur kennt keine Willensfreiheit.
      Paglia, 24.
      Je mehr die Frau nach persönlicher Identität und Autonomie strebt, um so heftiger gerät sie in Konflikt mit der Natur – das heißt mit den unerbittlichen natürlichen Gesetzmäßigkeiten ihres eigenen Körpers. Und um so härter wird sie von der Natur bestraft.: Wag nur nicht, frei zu sein! Dein Körper gehört dir nämlich nicht.
      Der weibliche Körper ist eine chthonische Maschine, gleichgültig gegen den Geist, der ihn bewohnt. (…) Die Schwangerschaft ist ein Beweis für den deterministischen Charakter der weiblichen Sexualität. Jede Frau, die schwanger wird, erfährt, wie eine unkontrollierbare chthonische Macht von ihrem Körper und Selbst Besitz ergreift. Wenn sie die Schwangerschaft wünscht, dann ist dies ein Opfer, das sie mit Freuden bringt. Aber die unerwünschte Schwangerschaft (…) ist eine grauenvolle Erfahrung. Die unseligen Frauen blicken dann in die finstersten Tiefen der Natur. Ein Fötus ist ein gutartiger Tumor, ein Vampir, der raubt, um zu leben.
      Paglia, 33/44.

      Ganz ähnlich bei Thomas Pynchon:

      Die Mütter (…) hängen über das Kinderkriegen einen Schleier des Geheimnisvollen. (…) Die Wahrheit ist, daß sie nicht wissen, was in ihnen vorgeht; (…) dieselben Kräfte, die den Bomben ihren Weg vorschreiben, den Tod von Sternen befehlen, die Wind und Wolkenbrüche lenken, haben sich auf irgendeine Stelle in ihrem Becken gerichtet, ohne ihre Zustimmung, um wieder ein bedeutendes Zufallsereignis herbeizuführen.
      >>>> Pynchon, Die Enden der Parabel.

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