Das Arbeitsjournal des Montags, den 18. Juli 2022, zwei Tage vor Wien. Darinnen Parmaschinken (ab)schließend eine Rolle spielt. Sowie die glücklichste Zwischenstandsmeldung der Briefe nach Triest. Dazu ein Rätsel nebst Versprechen.

[Arbeitswohnung, 8.58 Uhr
France musique classic plus: Debussy, Cildren’s Corner für Klavier,
William Kapell (historische Aufnahme 1944-25)]
Gestern seit langem, liebste Freundin, wieder Musik gehört, Kopatschinskaja/Currentzis: Tschaikowski Violinkonzert & Fünfte Sinfonie, nämlich, als ich begann, ausdrucken zu lassen. Denn es ist geschafft: Sämtliche dreiunddreißig bisher → schon vorgelegene Briefe in drei Durchgängen durchgearbeitet, teils -gewalkt, also reichlich verändert, nicht nur korrigiert, die Personen konturierter charakterisiert, dazu, nach ein bißchen botanischer Recherche, herausbekommen, was auf der Wiese vor Lenzens Grenzhäuschen so wächst und dabei einiges über den Karst gelernt. Manches hätte ich mir freilich selbst denken können und dachte ich mir auch, aber wollte sichergehen; wobei d a s, also letztres, dann noch einmal gefirmt werden wird, wenn ich – schätungsweise Ende August – selbst vor Ort sein werde, nicht nur in Triest unten, sondern eben auch oben im Karst, wo ich dieses Grenzhäuschen an den Übergang zu Slowenien hinfantasiert habe. Tatsächlich will ich es suchen; es würde mich nämlich nicht wundern, fände ich so eines in der Wirklichkeit. Mit dem südsizilischen Kliff, in “Meere“, war es ja nicht anders; es hat dort an der Costa dell’Ambra sogar genau das Gelb, das ich mir vorgestellt hatte. Jedenfalls werde ich einen Wagen brauchen, besser noch eine Vespa, und hoffe, mir solch eine für einzwei Tage mieten zu können, um droben herumzuknattern damit.
Wie auch immer, ich habe gestern quasi durchgearbeitet und viel zu wenig gegessen. Ich muß da aufpassen, bin leider unter 67 kg gerutscht, aber wenn derart konzentriert, vergesse ich nicht nur auf die Mahlzeiten, sondern sie werden mir lästig, und ich bekomme tatsächlich kaum was runter. Zu trinken aber geht. Also in den täglichen Eiweiß-Fruchttrunk, diesmal statt zwei gleich drei Bananen eingemixt. Das süffelt sich so nebenher so weg. – Aber ich kam insgesamt nicht vom Schreibtisch weg und hatte von diesem für mich wunderbaren Sommer nichts als die Wärme vom Fenster im Nacken – und das mir wichtigste selbstverständlich aberdoch: — das L i c h t ! – Puh, und aber ich war durch. Jetzt ging’s ans Formatieren für den Ausdruck, wozu ich endlich wieder meine Musik hören konnte. Es war der pure Genuß.

Tomas Luis de Victoria, Requiem, 1605

Dann hatte ich Lust, für den Ausdruck ein Titelbild zu basteln, in das ich zwei Hauptmotive des Romans einmontiert habe, das Hemdchen, das die Sídhe Lenz zurückläßt, sowie die Triestiner Venus – die nur leider nicht die ist, die sich nach Lenzens Tod in seinem Grenzhäuschen findet, sondern die bekannte Brunennfigur der Venere di Trieste auf der Piazza Unità, mit der das Paar die andere allerdings anfangs verwechselt. Der Irrtum kommt erst im Museo Revoltella heraus. Wie auch immer, jetzt sieht die Titelseite s o aus:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Bastelei hat mir wirklich Freude bereitet, also konnte ich auch wieder was essen, eine Scheibe intalienischen Weißbrots sowie Parmaschinken, den ich, wie eigentlich alle Wurstarten, zwar nicht so richtig mehr vertrage; aber gestern hatte mein fehlender Magen große Einsicht; vielleicht, daß er meine Freude einfach teilte. – Ach so, auch das Motto des Romanes weiß ich jetzt und habe auch das provisorisch zusammengebastelt und auf die Widmungsseite gestellt:

Wer mir sagen kann, um welches Musikstück es sich handelt, und es als erste oder erster hierunter in einen Kommentar schreibt, der oder dem schenke ich nach Erscheinen ein handsigniertes Buch, und zwar mit Jubel.

Gut, nun liegt also mit diesen bislang exakt 300 Seiten – da zweiseitig gedruckt, 150 Blättern – das Typoskript-in-progress gelocht und in den Pappehefter eingefügt vor mir, und ich kann den vierten Durchgang auf Papier beginnen, was noch einmal einen neuen Blick gibt und sicher abermals zu einigen Korrekturen und Einschüben führen wird, die, bevor ich weiterzuschreiben beginnen werde, noch zu übertragen sein werden. Insofern ist meine Zeitplanung vernünftig, erst Ende August nach Triest zu reisen. Und eine ungefähre Vorstellung, wieviel Seiten noch bleiben, habe ich jetzt auch. Wenn sich die bisherigen zweiunddreißig Brief diese dreihundert Seiten teilen, kommen wir auf einen Schnitt von aufgerundet 9,68 pro Brief; dieses mal den sieben noch zu schreibenden Seiten, erhalten wir 67,67 Seiten, mithin ein Gesamtyposkript von an die 370 Seiten. Da bei mir immer sehr viel auf einer steht (im Schnitt etwa 2470 Zeichen), können wir, Freundin, von einem Buch ausgehen, das um die vierhundert Seiten haben wird — kein massiger, doch vernünftiger Roman, der zumal keine aufgeblähte Typengröße braucht, um als solcher zu bestehen.
Was aber nunbesonders schön ist, ist, daß ich diesen vierten Duchgang draußen angehn kann, an der frischen Luft und unter dieser momentan grandiosen Sonne; auch wenn Natur sie anders sieht und anders, leider, sehen muß. Es wär doch so viel Regen nötig! Dennoch, welch ein guter Tag!

 

Ihr ANH
Heinrich Schütz, Musikalische Exequien, swv 279 – 281

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