Die zweite Erweiterung ist gestochen. Sowie zu den beiden ACT30-Jubiläumsabenden in der Berliner Philharmonie. Sowie weiter zu Triest. Das Arbeitsjournal des Sonnabends, den 12. November 2022.

[Arbeitswohnung, 10.44 Uhr
Lars Danielsson, Desert of Catanga, live]
Bereits auf dem Kollwitzmarkt gewesen, um eine Auster zu schlürfen, nachdem bei Lindner das italienische Weißbrot besorgt war.

Großartig, das erste Konzert des dreißigjährigen ACT-Jubiläums vorgestern abend in der Philharmonie; “wirklich” drüber schreiben wollte ich erst heute, nachdem ich gestern das zweite Konzert gehört haben würde. Was nun so ist. Doch möglicherweise werde ich das ganze Wochenende brauchen, weil eben auch an den Triestbriefen weiterzuarbeiten ist. Gestern stellte ich fest, beim Weiterschreiben des siebenunddreißigsten Briefes einen ziemlich gravierenden Fehler gemacht zu haben, wahrscheinlich, weil ich den Text aus mir einfach hinausfließen ließ und ich in meiner Begeisterung nicht merkte, zwei miteinander zusammenhängende Umstände durcheinanderbekommen zu haben. Ich konnte es bereits korrgieren, hing damit aber weiter in dieser einen Szene fest.

Doch zurück zu ACT. Das zweite Konzert hatte dann aber Schwächen, aus meiner Sicht, selbstverständlich. Das Publikum sah es anders. Dennoch gab es auch hier mitreißend entschiedene Höhepunkte, zu denen ganz sicher das gemeinsame Spiel der drei Pianisten Helbrock, Rantala und Wollny an zwei Klavieren und einem Keyboard gehörte sowie, aber dieses “Urteil” hat persönliche Geründe, Rantalas und Helbrocks Improvisation auf Keith Jarretts “My Song” – eine ziemlich ans Herz gehende Komposition, die in den Achtzigern Dos und meine gewesen ist, allerdings – auf der 1977 eingespielten Platte “My Song” – in Jarretts eigener sowie Garbareks, Danielssons und Christensens Interpretation.
Was mich störte, sogar unwillig machte, war, daß sich dieses zweite Konzert zunehmend in Richtung Musical einerseits (mit einer, alternd girliehaft, kitschigen Barbara-Streisand-Verschnittin, die umso affiger herumhampelte in ihrem peinlichen Pop-Glitzerkleid), andererseits auf ein ziemlich banales Rock ‘n Pop hin entwickelte, wozu dann noch die für meine Ohren viel zu lauten Schlagzeuge kamen. Der Klang war gerade gegen Ende nur noch lärmend, es gab keine Durchsichtigkeit mehr, sondern den pursten Krawallmatsch, — und daß dann noch das Publikum aufgefordert wurde, von den Sitzen hochzukommen, um sich “zu bewegen”, und daß so gut wie alle da mitmachten, hätte mich den Saal fast verlassen lassen. Wie diese billige Massenpsychologie immer noch funktioniert! Es ist – in diesen Kriegszeiten besonders – nichts als Grauen. Jedenfalls zerschlug’s mir jeden Genuß, auch leider an den wirklichen Höhepunkten dieses zweiten Konzert, sogar fast am ersten. Aber ich weiß ja, “der menschliche Faktor” …
Wie nun auch immer, Sie werden, Freundin, meine Besprechung in der kommenden Woche in Faustkultur lesen können. Und der Leistung Siggi Lochs und seines Labels ACT nimmt es unterm Strich nichts; sie bleibt bewundernswert und im Recht. Ohne das Erlebnis des Vortags allerdings hätte ich mir überlegt, besser gar nichts zu schreiben.

Übrigens hatte ich, weil ACTs Pressechef darum nachgefragt hat, eine Rezension der Konzerte der FAZ angeboten; es kam nicht einmal eine Absage.

Dafür ging es → mit dem Tattoo weiter, unvermutet ebenfalls schon vorgestern, als ich mich, den Entwurf in der Mappe, eigentlich nur erkundigen wollte, wieviel die Erweiterung micht kosten werde. “Willst du’s gleich stechen lassen?” Schon kam Elena-selbst um die Türecke. Jemand war ausgefallen, die Zeit also da. Ich zögerte nicht, zumal es erheblich weniger kosten werde, als ich befürchtet hatte. Und wurde dann noch weniger teuer, weil die Arbeit schneller voranging, als der Studioleiter veranschlagt hatte.

Ich wollte, daß Elena sich alle Freiheit nahm, soweit sie der Bewegung meines auf meine Haut selbst gezeichenten und dann abfotografierten Entwurfes folgte und nach dem ihr eigenen Gespür umzusetzen versuchte; die Künstlerin soll nicht “gehorchen”, wiewohl ich mir des Umstandes bewußt bin, daß, sich künstlerische Freiheit zu nehmen, nicht dem Charakter fotorealistischer Künste entspricht. Umso mehr überraschte mich das geradezu zart wirkende Ergebnis:

Die neuen Bereiche sehen herausgeschnitten so aus (das Foto hierüber entstand unmittelbar nach dem Stechen, die Bilder hierdrunter habe ich eben selbst aufgenommen; noch kleben die Pflaster darauf, lösen sich aber stellenweise schon ab):

Gut zu erkennen ist gerade am Oberarm, wie genau sich Elena am Verlauf der Adern orientiert hat, ja sie hat, wie ich es vorschlug, direkt auf den Adern gestochen. Das ging also. Mein Sohn hatte mir schon gesagt, daß es Tätowiererinnen und Tätowierer gebe, die es könnten. Mir selbst jetzt freilich | ist gerade die Halspartie etwas zu harmonisch geraten, dort sollte Elena die Ranken ein wenig erstens, weil Tattoos ohnedies mit der Zeit matter werden, nachdunkeln, und zweitens sollten sie vielleicht doch eine Spur breiter sein, eventuell auch noch zweidrei hinzukommen. Ganz möchte ich die Aggressivität meines Entwurfs nicht verlieren; → Liligeia ist ja nicht unbedingt Pazifistin gewesen. Der, ich schreibe mal, “klassischen Harmonielehre” mag ich eh nicht attestieren. Doch um zu entscheiden, will ich erst abwarten, bis das Tattoo verheilt ist; was an Pflasterfetzen dann noch draufklebt, werde ich morgen abziehen. Ich denke mal, wir werden die mögliche Revision dieser zweiten Erweiterung Anfang Dezember in – ecco! – Angriff nehmen; dann sollte auch das dritte Rankengeflecht gestochen werden, das sich in die Brust hineinzieht. Wobei eine der oberen Ranken gerne hinterm Ohr noch etwas höher hinauf darf. Danach wird bis zum Frühjahr Ruhe sein, wenn aus den Ranken kleine Zweige sprießen sollen mit wahrscheinlich feinen Blättern daran, schon um das Grün der Triskele wieder aufzunehmen.; momentlang habe ich heute früh auch an Chilis gedacht, rote und grüne, als ich auf dem Kollwitzmarkt war; aber wahrscheinlich ist das Unfug.

So, Triestbriefe. Und heute abend auf einem Geburtstagszusammensein.

ANH

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