Zu Romankunst und Dichtung überhaupt im Arbeitsjournal des Freitags, den 10. Februar 2023.

[Arbeitswohnung, 9.26 Uhr
Hans Werner Henze, Ode an den Nachtwind
Ich bin nach dieser Musik unterdessen süchtig.]
Es gibt einen Unterschied zwischen Romankunst, also Dichtung, und Romanen, wie es einen zwischen Gedichten und dem gibt, was ich für mich und hier nun auch öffentlich “Zeilenbruchgedichte” nenne[1]Böse gesagt ähnelt beider Verhältnis dem von Erb- zu Kauf- (bzw. Schein)adel. – mithin solche, deren Verse sich auch direkt hintereinanderschreiben lassen und dann verlustfrei einen oft nicht einmal besonders rhythmisierten Prosatext ergeben, meist eine Skizze oder das, was bei Kafka “Betrachtungen” heißt. Viele dieser als Lyrik Scheingebilde leben von dem, was für “schöne Bilder”, Metaphern und dergleichen gilt, solche, wie es sie auch in von vornherein als Prosa veröffentlichten Texten, wenn sie gut sind, aber dort zu Hunderten gibt. Nur daß sie sich in denen nicht so ausstellen wie in einem Zeilenbruchgedicht, das seine paar Einfälle oder nur einen einzigen Einfall letzten Endes sowohl feiern lassen wie selber feiern will. In einem guten Roman, nehmen wir als Extrembeispiel Lobo Antunes’ Bücher (auch Lezama Lima wäre zu nennen und im Deutschen Alfred Döblin), sind die radikalen Metaphern –und dies ist ein Zeichen poetische Demut! – derart massiert, daß sie sich, anders als in einem Gedicht, fast gar nicht zusammenfassen, geschweige denn einzeln würdigen lassen. Denn s i e sind der eigentliche Kitt guter Prosa; die “Botschaft”, bzw. der Plot, ist es eben nicht, und zwar schon deshalb nicht, weil er imgrunde nichts als die Vorlage für ein Drehbuch ist, eines, das dann allerdings das Zeug haben könnte, aus der Vorlage des flachen Erzählens denn doch noch ein Kunstwerk zu schaffen. In der Musik ist so etwas nicht selten, Bugge Wesseltofts → Improviationen auf Evergreens, um nicht zu schreiben “Schlager”, sind ein Paradebeispiel. Für den Roman als Romankunst bedeutet dies, daß sein Material eben nicht “nur” die Sprache selbst ist, sondern das, was mit ihr erzählt werden soll – mithin dieser Plot[2]Es wird in lehrenden Workshops, aber auch an Unis und Literatur- wie Filmakademien gerne vom “Plotten” gesprochen, das doch nicht ungefähr an “Plätten”, platt-, schlimmer … Continue reading – überhaupt das ist, was es erst zu gestalten gilt; etwas nur herunterzuerzählen, egal, ob mit ein paar kleineren dramaturgischen Tricks, bleibt von der Kunst weit entfernt, ja streicht sie eigentlich durch; Adorno hätte es “positivistisch” genannt. Die meisten heutzutage zumindest im deutschen Sprachraum gehypten Romane sind insofern der Kunst sogar feindlich, ignorieren sie meist im Interesse besserer oder überhaupt einer Vermarktbarkeit.

Mir wurde dies gestern wieder einmal bewußt, als ich weiter → mit dem sozusagen umgekehrten Arbeitsprozeß beschäftigt war, nämlich dem von mir fürs Berliner Literaturhaus geschriebenen Langgedicht die Form einer Prosa zu geben, ohne aber Metrum und Rhythmus fallenzulassen; nur die eine und/oder andere Lockerung könne, dachte ich, nötig sein. Aber es sind bislang nur drei Wörter, die ich durch gleichsilbige und wie die anderen betonten ersetzte. Meine Lektorin gefragt, welche Version sie bevorzuge, antwortete sie kurz und schnell, aber ausgesprochen deutlich: die des Prosablocksatzes; sie will sich aber nachher noch detaillierter äußern. Alledings ahne ich schon, was in ihr vorgeht: Wenn ich denn schon derart, dies genau ist das Wort, gebunden gearbeitet habe, bestehe keine Notwendigkeit mehr, es eigens noch durch gedichtgemäße Zeilenbrüche, ja, vorzuführen; im Gegenteil erwarten Stil und Stolz Diskretion. Nicht, Freundin, daß dies eines Autors “Bescheidenheit” erwiese; wahrscheinlich ist sogar das Gegenteil wahr, insofern er meint, eine deutliche Ausstellung seines Vermögens nicht nötig zu haben. Das Diskrete ist vielmehr ein Glanz des objektiv gewordenen, durch seine Formstrenge entsubjektivierten Textes, dem, mithin, Rang von Allgemeingültigkeit. Eben ihr dient sie, die Formenstrenge, ja. Und heilsamerweise gibt uns Form eben auch ein Kriterium zum Erkennen von Qualiät oder ihrem Mangel.
Wende ich nun dieses aber auf den oben bezeichneten Unterschied von Romankunst und Roman an, müßte ich konsequentermaßen fortan damit beginnen, meine Romane, wenn der “Plot” steht, in Versform umzuwandeln, also sowohl zu rhythmisieren als auch strikt zu metrisieren, um ihm dann erst später, wie ich es grade mit dem Auftragsgedichterl tue, die eigentliche Romanform zu geben – eine selbst bei nur dreihundert Romanseiten allein vom Zeitaufwand geradezu ungeheuerliche Arbeit. Die einem selbsverständlich niemand bezahlt, davon ganz abgesehen, daß es nur eine Handvoll Menschen gäbe, sie überhaupt wahrzunehmen; die meisten würden den Text nicht einmal verstehen: Er würde ihnen schlichtweg zu komplex.

[Hans Werner Henze, Requiem für Klavier solo, Konzerttrompete und Kammerorchester]

Auf dem Weg dahin bin ich aber immer schon gewesen. Ich erinnre mich noch gut, wie ich, als Thetis erschienen war, mit Ernest Wichner im Literaturhaus, wo wir die Premiere der Romanvorstellung verabredeten, beisammensaß und melancholisch, nun jà, “klagte”, wie gern ich doch Gedichte schreiben würde. “Aber das tust du doch!” rief er da aus – und fing an, Passagen aus dem Roman vorzulesen. Er, der Lyriker, hatte die das Buch bestimmenden Rhythmisierungsprozesse sofort erkannt. Es ist sehr gut möglich, daß meine Idee des in Versen geschriebenen, aber im Prosablocksatz gesetzten Epilogs der → Triologie-insgesamt – von mir als Form zum ersten Mal in den Bamberger Elegien realisiert, den gleichsam, als Etüden, Vorarbeit für diesen Epilog – d a überhaupt erst geboren wurde. Doch waren vorher schon, spätestens im Wolpertingerroman die ersten nach fast rein musikalischen Strukturen gebauten Kapitel bis hin zu Bachs unvollendeter Quadrupelfuge entstanden, über der er starb und die in einem Part dieses Buches quasi nachgestellt ist, und zwar bis in die einzelnen ausgezählten Wörter. Eben genau so etwas ist Dichtung, nicht Schriftstellerei. Die ich freilich auch betrieben habe und betreibe, doch ist sie nicht der Kern, nicht der meine Arbeit treibende Motor. Wohl daher auch die vielen, ich sage einmal, Mißverständnisse, denen sie ausgesetzt war, ist und wahrscheinlich bleiben wird; daher auch mein, ja, Konservatismus, der mit steigendem Alter immer konturierter wird. Ich weiß, Freundin, daß Sie “konsevativ” nicht mit “reaktionär” verwechseln; ich stehe ja eher, trotz und wegen meines Formdenkens, auf der avantgarden Seite.

Romandichtung also. In Takte gegliederte Sätze und Syn(ecco!)taxen, alliterierende Wortfolgen, möglichst unauffällige, aber, sozusagen subkutan, die Blöcke zusammenhaltende Reime, die gern auch unrein sein dürfen, als Crescendovorgabe gesetzte Satzzeichen, selbst kurze Sätze oft inmitten (durch Kommasetzung) synkopiert, betonungsnotwendige – eben nicht als Hervorhebungen; für sowas kursiviere ich – Sperrungen von Wörtern usw. Das ist alles erst einmal unbedingtes Handwerk und insofern auch basalstes, ich wiederhole es bewußt, Kriterium für die kritische Betrachtung eines Sprachkunstwerks. Ich muß, um eine Rezension verfassen zu können, ja zu dürfen, davon zumindest eine Ahnung haben; besser wär noch Kenntnis. Alles andere ist nichts als persönlicher – Geschmack. Der darf selbstverständlich sein, begründet aber keine Autorität, sondern haftet alleine im subjektiven Meinen. Somit gehört er nicht ins Feuilleton. Kommt er da dennoch rein, ist es, betrügerisch, Hochstapelei.
Aber entschuldigung, darum geht’s hier grade nicht, sondern um die Überlegung, was auch und besonders in der Neumedialen Welt an erzählender Literatur überlebensfähig ist, indem sie etwas, na gut, “tut”, das so nur sie und etwa eine Verfilmung nur dann kann, wenn sie quasi nachdichtet, selber somit Kunst wird, ein Kunstfilm, der schließlich völlig selbständig neben dem Buch steht, beide in gleicher, einander zugewendeter Interaktion. Weshalb Dichtung, wenn sie es ist, auf ihre Unverfilmbarkeit achtet — auf ihre, also, Autonomie; für Literatur-insgesamt gilt das, wohlgemerkt, n i c h t (auch Landserromane sind Literatur, Arztromanheftchen usw).

Dieses als Gedankenabriß in den Morgen.

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Poetik
Poetologie

Ihr ANH
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References

References
1 Böse gesagt ähnelt beider Verhältnis dem von Erb- zu Kauf- (bzw. Schein)adel.
2 Es wird in lehrenden Workshops, aber auch an Unis und Literatur- wie Filmakademien gerne vom “Plotten” gesprochen, das doch nicht ungefähr an “Plätten”, platt-, schlimmer noch plattmachen, anklingt, aber dort für das eigentlich Wesentliche gilt.

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