Beobachtung, Wähnung.

 

Meine Bücher wurden bislang eher von Männern als von Frauen gelesen, was u. a. mit meiner Themen-, bzw. Ideenwelt zusammenhing und -hängt, die mich beschäftigen: Kybernetische Modell, die Auswirkungen technischer Innovationen auf die (auch poetische) Anthropologie; inwieweit und wohin verändern sich Geist und Empfindungsvermögen. Zugleich wandte ich mich nach den mythologischen Studien zum WOLPERTINGER, der ja auch bereits den kybernetischen Boden sondierte, entschieden der Fantastischen Literatur zu. Die bisherigen beiden ANDERSWELT-Bücher flirten mit der Science Fiction, auch wenn sie in der Grunderzählung im gegenwärtigen Berlin geerdet sind. Doch da der signifikante Teil der Belletristik-Leser aus Frauen besteht, kostet so etwas Umsatz. Offenbar gibt es sehr viel mehr Frauen als Männer, die sich an der sogenannt normalen Realität orientieren und diese Orientierung in ihrer Lektüre bestätigt wissen möchten. Mit „Realität“ ist die alltägliche Umwelt gemeint, insoweit man sie sieht und versteht. Überlegungen, welche Implikationen die Funktionsweise eines Mobiltelefons außer in seiner direkten praktischen Bedeutung für Gesellschaften, ja Menschenbilder hat, reißen aus diesem Realitätsbild schon aus. Und die von mir immer wieder geschilderte Frage, was mit den Körpern geschehe, wenn sich die Welt in unter den glatten Oberflächen unsichtbar wirkende Prozesse auflöse, sozusagen pointilliere, scheint insbesondere Frauen nicht angenehm zu sein; vielleicht deshalb, weil ihr Körper allein durch die Menses mit „ursprünglichen“ Naturzusammenhängen enger verbunden ist als der männliche. Da muß es logischerweise schmerzen, wenn jemand ein Ende der Körper – so wie wir sie kennen – zu sehen meint und das künstlerisch darstellt, und zwar auch dann, wenn er es nicht etwa will (anders als seit spätestens Aristoteles das ganze Patriarchat), sondern Körperlichkeit radikal dagegenhält:

Interessant ist deshalb die Reaktion auf die sogenannten pornografischen Stellen, die ja das Paradigma von Körperlichkeit sind. Und zwar ist weniger interessant, daß man sie abwehrt, sondern daß sie von Frauen nicht empfunden werden, ja sie sogar – wie Julia Encke schrieb – kaltlassen. Auffällig, wie oft ich das jetzt gehört habe, und zwar eben nicht von Männern, die ganz anders, die eher hingerissen reagieren (es sei denn, sie schreiben in den Feuilletons darüber). Das erste Mal hörte ich es von einer Regisseurin, die einen kleinen Fernsehbeitrag mit mir drehte: „Ich war erschrocken, fast abgestoßen, weil Sie so genau hingeschaut haben. Ja, so sieht man dann aus. Aber wer möchte das wissen?“ Und gestern die kluge Su, der ich von Enckes Artikel erzählte und daß sie über den ersten etwas deftigeren Satz geradezu hinweggelesen habe; dermaßen wenig habe er sie berührt. Su sofort: „Ja, das ging mir auch so.“ Ich war durchaus ein wenig konsterniert, wir diskutierten.

Kann es sein, daß es tatsächlich so etwas wie ein männliches Schreiben gibt? Seit diesem Prozeß denke ich unablässig unter anderem darüber nach. Zu erklären wäre es vielleicht nach wie vor durch die Sozialisation, aber auch durch die von Paglia attestierte „letzte Verborgenheit“, die ich schon in einem früheren Weblogbuch-Eintrag zitierte. Dann handelte es sich nicht um eine Charaktereigenschaft, die anerzogen wurde, sondern um etwas zumindest mitwirken Genetisches. Gegen diesen Gedanken stehen sicher Frauen wie Anaïs Nin oder Catherine Millet. Aber stimmt das denn, dieses „sicher“? Sind vielleicht auch deren Texte freilich hochsublimierte Akte der Verstellung?

Jedenfalls wirft diese Überlegung auf zumindest eines der Motive, die hinter diesem Prozeß wirken, ein völlig anderes Licht; man könnte dann fast sagen, er werde – unter anderem – aufgrund einer paradigmatischen Geschlechterdifferenz geführt und diese selber werde verhandelt. Da spielt vorgebliche Wiedererkennbarkeit – also Fabel und Charaktere des Romans – gar keine Rolle, jedenfalls nicht anders, als wiederum die Pornografie-Debatten berührt ist. Freilich: anders berührt, gleichsam seelisch und eben nicht normativ. Der juristische Weg wird, wie immer der endliche Entscheid ausfallen mag, nichts zur Lösung beitragen können, sondern sie eher als genau dadurch scharfbleibendes, anthropologisches Nitroglycerin im Tabu festzementieren.

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