Sabine Hochleith ODER Romanentwurf alternativer Wahrheit. Eine Synopsis aus dem Freecity-Altblog von 2003.

„Ließe jemals ein Schriftsteller ein B u c h verbieten?“
„Ja. Um bekannt zu werden.“

Sabine Hochleith war eine früh zur Reife gelangte, hochgewachsene junge Frau mit einem Haar, in das der Mond so viel Silber gegeben hatte, daß sie bereits ihren Gymnasiallehrern gefährlich wurde; einer von denen fiel denn auch. Daß ihm kein berufliches Unheil daraus erwuchs, war nur der Diskretion der Kollegen und einem Umstand zu danken, der die jugendliche Venus nach Hannover hinfortziehen ließ.
Nicht daß ihr Haar wirklich weiß oder gar grau gewesen wäre – es war kastanienrot -, aber wenn der Tag ins Ungefähre der Dämmerung hinüberglitt, legte das Zwielicht solche Streifen von Nebel darüber, ja flocht sie hinein, daß man meinte, nicht nur hindurchs e h e n, sondern hindurchf a l l e n zu können; man sah dann nicht Kopfhaut, nicht Schädelknochen, sondern ihn, den Mond. Das brachte ältere Männer um den Verstand, indes es die jungen meist gar nicht bemerkten.

Anfangs bemerkte Sabine selbst es nicht: sie ruschte wie ihre Mitschülerinnen durch die Clubs und das Jahr. Doch nachdem dieser Lehrer, er unterrichtete Mathematik, in ihr gewesen war, las er ihr Ivan Goll vor:

Gebeugt über deine Lippen
Hör ich die Monologe der Götter
Gebeugt über deine Augen
Seh ich zurück bis zur Geburt der Welt

Die junge Dame sog die Verse in sich auf, man kann sagen: Sie verflochten sich mit dem Nebel, der ihr vom Haar in den Jungmädchengeist troff und ihm die selbstgewisse, altkluge Grazie gab, die die alte Verbindung zum Mond, der nach Gedichten süchtig ist, wie ein vergessenes Bündnis erneute, – ein weibliches Bündnis, das Geschlecht und Wissen zu Zeiten eingegangen sind, die den direkten Blick noch nicht kannten.

Sie, Sabine, behielt den Männergeschmack auf den Lippen, als sie die Verse nachmurmelte. Der Lehrer wollte sie neuerlich küssen, aber sie schob ihn so sanft wie bestimmt von sich weg. Zwei Wochen lang rief er vergeblich bei ihr an. Während der Mathematikstunden wich er ihrem Blick allerdings aus, dafür lief er in den Pausen hinter ihr her, so daß ihre Mitschüler zu tuscheln begannen. Es wäre wohl doch noch zu einem ernsten Gespräch im Direktorat gekommen, hätte man – wir haben es schon angedeutet – Sabines Vater nicht aus Aachen wegversetzt.
Damals war die junge Dame vierzehn gewesen.
Da nun aber der Mond solchen Eingang in sie gefunden hatte, versuchte sie es an der neuen Schule mit Gleichaltrigen. Nur konnte keiner von denen rezitieren; wenn sich aber einer von den Gedichten, die sie jetzt selbst schrieb, berücken ließ, so verstand er nicht, ihr das mit Körpersäften zu entgelten: Die Berührungen blieben, so grob sie auch waren, scheu. Also wandte sich Sabine endgültig Männern zu, deren Augen sich vor der dunklen Seite des Mondes, der unsichtbaren, nicht schlossen, sondern durch den Halo der hellen in jene andere, die kalt ist, hinüberblickten. – Sabine liebte die Verluste, die sich in die Wangen ihrer Bewunderer eingeschnitten hatten, sie gab sich ihnen hin, diesen wie jenen: restlos, könnte man sagen, wäre sie nicht zugleich selenisch unnahbar geblieben.
Sie wollte Dichterin werden, weshalb man sie zwar anfassen konnte, berühren aber nicht.

Die dann Achtzehnjährige lockte bereits aggressiv, sie zeigte sich gern, zog sich schon mal aus gegen Handgeld, es schändete sie nicht: Es war mehr ihre Macht über die Voyeure als deren Erregung, was sie an solchen Situationen schätzte. Da sie talentvoll schrieb, so daß der Wohlklang den Zuhörern schmeichelte, nahm ihr niemand die Verführerin übel. Im Gegenteil, sie wurde gefördert, auch wenn sie unterm Strich nur weniges zu Papier brachte. Nein, erschöpfen wollte sie sich nicht, warf mal ein paar Zeilen hin, die Gönner drehten verzückt die Augen nach Jenseits. Meinthal umschwärmte sie, der große Mime, ganz wie der kleine Müller, der als sein Sohn erst später Ruhm erlangte.Wiederum der greise, höchst frankophile Soziologe Grimm lud sie zu Soirées; er war schon vor Jahrzehnten in die Jahre gekommen und stellte gerne Schönheiten aus, die er auf seinem Perserteppich präsentierte. Was bleibt, sind die Dinge, sagt, nicht ohne Bitterkeit, bereits der späte Goethe.

Dann lernte sie den Dichter Durckheim kennen, achtzehn Jahre älter als sie, einen auf den ersten Blick charmanten, auf jeden nächsten heftigen Mann mit wildem blonden Haar; mit dem halben Betrieb lag er quer. Aber sah den Mond in ihr. Was sie in ihm sah, ist heute nicht mehr zu sagen.
Sie nahm den Kampf um ihn auf, und zwar sofort, schon vom Perserteppich aus. Er war, als sie sich erhob, ganz erstaunt, wie hochgewachsen sie war; einen Meter achtzig, mindestens, dachte er und hatte das Gefühl, den Kopf in den Nacken legen zu müssen, als er in ihren hellgrünen Blick trat. Sie trug das Haar, wie meistens, aufgesteckt, das verstärkte den Eindruck.
Beide sagten kein Wort… nein, stimmt nicht:
„Wo ist Ihr Mantel?“ fragte er.
„Küß mich“, sagte sie.
Er tat es, sie gab ihm sofort ihre Zunge.
In dem Salon wirkte die Szene nicht kultiviert. Weshalb sie ihn verließen.

Sie trank von ihm. Er las ihr aus seinen Büchern vor, dann schmolz er in sie ein.
Noch war er verheiratet, sie schob sich dazwischen – ein Mondwahn, dessen Lichthof wuchs und wuchs. Sie reiste ihm hinterher, stand vor Hoteltüren nachts, schrak Portiers auf, gemeinsam reisten sie in die Karibik. Dort las sie ihm ihre Gedichte vor.
„Geklingel“, sagte er.
Momentlang wurde sie unberührbar wieder.
Er sah es und mäßigte sich: „Aber du hast Talent. Also arbeite dran.“
Sie steckte die Gedichte weg. Kein Leben möglich ohne ihn. Keines ohne sie.
Er ließ sich scheiden. Jeder Atemzug war Sabine. Sie zogen zusammen, und der Mond wich von ihr: – vielleicht weil sie keine Gedichte mehr schrieb; sowas nimmt der Mond einem übel. Doch reüssierte sie anderswo, ohne Durckheims Wissen, mit ihren Mädchengedichten.

Wieder lud sie Grimm ein, er war unterdessen gelähmt, sie schob ihn im Rollstuhl umher.
Sie nahm sich Durckheims Freunde vor. Lockte. Zeigte sich. Begann eine Karibik-Erzählung zu schreiben, kam nicht weiter, stockte, zeigte Freunden den Text. „Du schreibst wie Durckheim“, sagten die.
Der seinerseits wilderte bei anderen Frauen.
Sabine traf den Popsänger Whittel, der s a h wieder den Mond in ihr. Ihn beglückten ihre Gedichte. Er gab der Mondin Kokain, damit ihr selenischer Nebel blieb. Die älteren Herren, unablässig, bliesen in ihn hinein. Und kicherten entzückt: Er kitzelte die Nase.
Grimm holte Sabine auf seinen Perserteppich zurück.

Sie trennte sich von Durckheim. Der wütete wochenlang. Dann schrieb er einen Roman.
Sie meinte, sich drin zu erkennen. Die verletzte Leidenschaft gefiel ihr nicht mehr, wahrscheinlich war sie ihr peinlich. Was würde Whittel sagen, was ihre Eltern? Aber die lasen ja nicht, also ging das noch an. Doch die berühmten Alten taten’s, Meinthal und Grimm. Spielte er, der Roman, nicht überdies in der Karibik? Über die hatte sie doch zu schreiben begonnen, ganze 30 Seiten in vier Jahren… – All diese furchtbare Arbeit umsonst?
Sie war ratlos, erschüttert, beriet sich.
„Du mußt ihn verklagen!“
Wofür indes nicht das Geld war.
„Wir helfen dir schon.“

(Undsoweiter; mir vergeht grad die Lust an dem Text…)

(Doch da wir keine Fragmente mögen:)

Tatsächlich wurde Durckheims Buch verboten. Einstweilen jedenfalls, weil ja ein verbotenes Buch die Zeiten stets überlebt. Damit konnt’ er sich trösten.

Wer tröstet aber Sabine?
Der Mond? – Die Journalisten, die teils in hämischen Jubel ausbrachen, weil man dem Schandmaul des Dichters endlich die nötige Schelle verpaßte? – Die Freunde vielleicht, deren Nähe Sabine nur dann noch zuließ, wenn sie den Gerichtsgang bejahten? (Die anderen ließ sie fallen, ja führte sie vor… fast läßt sich’s von „verriet sie“ sprechen.)
Manches Herz wurde Koks, wenn es aus Kohle. Logisch, daß Whittel den für sie entsorgte. Schon spürte sie um sich den Mondhof zurück. Weitere Männer traten hinein, älter, wie immer, die meisten und viele von ihnen berühmt. Das Problem Karibik immerhin war erledigt, es blieben die dreißig, bald schon fünfunddreißig Seiten.

Sie spielte vorm Spiegel in ihrem Haar, zupfte am lunaren Nebel, wollte drin baden. Durckheim mußte weg, das war gar keine Frage. Wie gut, daß sie kein Kind von ihm hatte.
Da kam der Anruf endlich: „Was h a b e n Sie denn nun für Texte geschrieben?“
Klug behielt sie die Gedichte zurück und gab von der Erzählung nur zwanzig Seiten heraus. Die druckte die BRIGITTE. Nachfragen kamen, wiederholten sich, Agenten stellten sich vor. Dann bot der erste Verlag, schon der zweite, ein dritter.
Sabine unterschrieb.
Durckheim höhnte, grollte, verstummte.
Noch vor Erscheinen des Buches war Sabine, ohne viel Text, gefeiert. Eine Kritikerphalanx befeilte ihren Ruhm, durchweg Leute, denen Durckheim, meist nicht nur einmal, vors Schienbein getreten hatte. Nur blieb der Text selbst ein Problem.
Sabine konnte sich einfach nicht konzentrieren. Zwar tauchten ihre Gedichte, zu Songtexten umgeschrieben, unterdessen in Charts auf, aber die Karibikerzählung mochte nicht wachsen. Da das Buch bereits angekündigt worden war, gab es kein Zurück.
So versammelten sich die Freunde und der Agent. In einem ostdeutschen Hotel gingen sie alle, als Team, in Klausur, sammelten Gedanken, diskutierten, skizzierten. Zwar war der Mond nicht dabei, doch füllten sich die Seiten. Das Ergebnis, so, wurde redlich.
Als es erschien, prasselten die Hymnen. Ponto-Preis für das beste Debut, Die neue deutsche Autorinnenstimme. Und Aspekte, sofort, zog nach.

EPILOG

Durckheim schrieb sein Buch derweil um: Die hochgewachsene Nordeuropäerin wurde orientalisch, der grüne Blick braunes Schimmern. Scheinbar biografische Details wurden verrückt, das hannöversche Geschehen ins Ausland verlagert; nach langem Hin und Her entschied sich Durckheim für Spanien. Er fügte anadalusische Stimmungen ein; der liebende Mann war nun ein Deutscher, der sich nach Jerez zurückgezogen hatte. Dort traf er – hoher Sommer war’s – die junge Touristin.
Das fertige Buch verkaufte sich etwas mehr als achthundert Mal, ging danach in den Ramsch. Durckheim aber merkte es kaum, schrieb bereits am nächsten.

***

[Noch am selben Tag auf dringendes,
ja entsetztes Anraten des Profis offline gestellt.}

 

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