Elfriede Jelinek im Fleische.

Dieses enorme Glück, das Die Dschungel erfaßte, als sie Jürgen Lentes („Weißt du, wer den Literatur-Nobelpreis kriegt?“ – es war da gerade nach ein Uhr mittags, wir standen bei dielmann am Stand herum) und keine zwei Minuten später, aus Berlin, Justitiar Lethen anrief: „Die Jelinek bekommt den Nobelpreis für Literatur.“ Zeitgleich riefen z w e i auf, laut, der eine jubelnd, ANH, die andre, Iris Radisch, in einem Café und voller Entsetzen. „Das gibt es nicht!“ sagten die Freunde. „Das kann gar nicht sein“, hieß es am nächsten, am übernächsten Stand. Und ANH rief: „Ich muß meinen Lektor suchen!“ und brauste, schwebte, schoß hinweg, die ungeheure, die herrliche Nachricht verbreitend, bei marebuch, bei den Horen, den Journalisten, die er traf auf seinem Weg hinüber zum Berlin Verlag. Es war ein solches Zeichen! Den ganzen Tag über lachte er nur und fiel seinem Lektor dann um den Hals – den großen Mann hatte man aus dem Laumer herkarren müssen, da ihm nicht so nach Messe gewesen war.
Nun grämen sie sich, die Damen und Herren Literaturkritikaster, die über Jahre Jelineks Arbeit denunziert hatten, nun standen sie endlich einmal im Regen. Margaret Atwood, das hätten sie goutiert, und John Updike, Philip Roth, sogar die Mayröcker noch – – dann hätte man wichtig dastehen können, die alte Dame, w e i l alt, ist ja bequem unterdessen, und die anderen sind so handlich sentimental, da mag man sich hineinlegen mögen, da mag man auch Walzer mit tanzen…. aber Jelinek?: Die tritt einem doch dauernd vors Schienbein, die hält sich an keine Regel des Betriebs, nicht sprachlich, nicht über den Inhalt vermittelt, persönlich schon gar nicht… eine Wütende, Wütige, eine Zicke voller Männerhaß, eine Ästhetin der Sprachwut, Literatur-Amazone fürwahr: unerbittlich steht sie im Krieg. Diese Entscheidung des schwedischen Komitees war ein solches Fest für Die Dschungel! Man muß beharren, muß durchhalten, darf sich nicht betriebslinks, betriebsrechts anpassen wollen und schon gar nicht in der Mitte. Muß unverrückbar selbst gegen die Leser bleiben, die man darum nicht hat oder nur in geringer Zahl… darf nicht auf Einnahmen schielen, nicht den Agenten entgegenkommen, mal etwas „Positives“ schreiben, damit der Umsatz stimmt… und dastehen klar und konturiert, nicht korrumpierbar auch gegenüber Gerichtsvollziehern, Finanzamtsbeamten, den Kontobewegten. D a s bedeutet dieser Preis: Es lohnt sich die poetische Kompromißlosigkeit. Ob man Jelineks Dichtung mag oder nicht, das spielt gar keine Rolle. Ausgezeichnet wurde eine, die ästhetisch absolut rechtschaffen ist. Und besessen. Wem es auf Kunst ankommt, der darf – der m u ß – in diesem Jahr feiern.

Nun steckt die Jelinek den Betrieblern im Fleische, und sie kriegen diesen Stachel nie mehr heraus. Literarhistorisch gesehen weht an diesem Stachel und verwest, aber untot für immer, ihr eigener Name.

[„Bitte schickt uns 100 Mark, wir konnten wieder nichts zum Frühstücken kaufen“, schrieben Jelinek und Pilz an Rowohlt vor Jahren, da übersetzten sie Pynchons Gravity’s Rainbow – auch d a s ist, tatsächlich, zu erzählen, damit klar wird, welche ökonomischen Folgen es auch heute noch hat, ist e i n e r, sind z w e i konsequent.]