Sonntag, der 6. November 2005.

7.23 Uhr:
[Mozart, Reqiuem (ed.Süßmayr).]
Wieder verschlafen. Es wurde sehr spät gestern nach der Lesung, eine Mitarbeiterin von SCHWARTZKOPFF BUCHWERKE fuhr uns von Potsdam heim. Die für 22 Uhr angesetzte Lesung auf der vom Hans-Otto-Theater ausgerichteten Literaturnacht ging erst nach 22.30 Uhr los, da schlief mein Junge bereits, der den ganzen Tag über mit mir im Kreuberger Schwimm- und Wellenbad am Spreewaldplatz gewesen und herumgetollt war und sogar in der Sauna zwei meiner Aufgüsse mitgemacht hatte, auf dem Boden sitzend allerdings. Jedenfalls war er imgrunde schon geschafft, als wir um halb acht in der S-Bahn nach Potsdam saßen.
Nach so vielen Jahren Lars Gustafsson wiedergesehen, der mir um 1985, als ich ihn für eine Veranstaltung im damals noch existierenden Frankfurter Theater am Turm moderierte, gesagt hatte: „Ich weiß gar nicht, was ihr in Deutschland für ein Problem mit Terroristen habt. Wir haben in Texas für solche Leute alle unser Gewehr im Schrank.“ Und die Pressefrau seines Verlages hatte mich, weil der Mann derart rechts steht, beschworen: „Reden Sie auf keinen Fall mit ihm über Politik!“ Jedenfalls sah ich den rotgesichtigen, deutlich alt gewordenen Schriftsteller nun wieder, und allewelt schwarzwänzelte um ihn herum. Ist jemand berühmt (und kann fraglos etwas), kommt es auf Politik offenbar niemandem mehr an; es gilt ja, sich in Macht und Ruf zu sonnen. Das bräunt nur, liebe Leute, nicht, sondern macht den Teint ganz leichig blaß. Die Akademie habe, hörte ich, für Gustafssons Auftritt Bedingungen gestellt. Und bräunen tut’s, metaphorisch, vielleicht d o c h. Egal.
Es saßen dann in der Nebenhalle so an die zwanzig Leutchen herum, nachdem es bei den übrigen Veranstaltungen voll gewesen war; es lief auch noch eine Veranstaltung parallel. Bongartz fing mit ihrem Petersburg-Text an, mein Junge lag vorn in der ersten Reihe über drei Stühlen und schlief. Als ich meinerseits drangekommen und fertig war, gab es noch ein wenig Durcheinander, die Dramaturgin,die diese Literaturnacht organisiert hatte und moderierte, war ziemlich beschäftigt, so stand ich dann da mit dem schlafenden Kind im Arm, und es ging einfach nicht weiter. Ich legte den Kleinen auf den Teppichboden, empfahl ihn Bongartz’ Obhut und wurde tätig, indem ich nicht mehr wartete, sondern mich um unsere Sachen selber kümmerte.
Hätte es jedenfalls nicht diese Mitarbeiterin von Schwartzkopff gewesen, wir irrten wahrscheinlich jetzt noch durch die (extrem leere) Potsdamer Nacht und suchten nach Nachtbus, Tram und Hauptbahnhof.

Mir träumte, ich müsse Gustafsson noch einmal moderieren. Ich nahm dazu ein Bilderbuch von Zwergen und Riesen und arabischen Nächten und zählte alles auf, was der Gustaffson-meines-Traumes wahrscheinlicherweise n i c h t ist. Er spürte das sehr wohl, sah her und tat etwas, das ich hier aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht erzählen daf. Dabei wurde der Raum überströmt, wie am Ende des Sommernachtstraums von den Schattenwesen die Bühne. Wir alle schier/Haben nur geschlummert hier/Und geschaut in Nachtgesichten/Unsres eignen Hirnes Dichten. So erwachte ich, und es war bereits hell.

Na toll!: Eben hab ich, durch einen ungeschickten Griff, den ganzen Becher Kaffee sich in einem enormen Schwall über Küche und Stühle und Boden ausschütten und sie ü b e r schütten lassen. Schweinerei! Wischen.. wischen… Immerhin ging’s in die a n d e r e Richtung, nicht in die des Laptops…

Jedenfalls werd ich heute an ARGO nicht viel tun können; für die wenige Arbeitszeit ist der Vortrag dringlicher; ich sitz mit dem Roman ohnedies tief in der in Stuttgart dahinjagenden explosiven Coda, und die will ich ja eben dort beenden. Den Kleinen hab ich bis gegen halb fünf, dann werd ich ihn zur Mama bringen und in die Arbeitswohnung umziehen. Wo dann der Abend dem Vortrag zur Verfügung stehen muß.

10.17 Uhr:
[Elgar, Sinfonie Nr. 3; rekonstr. Payne.]
Es soll mir offenbar ein Rätsel bleiben, weshalb ich in den Leuten immer solche Aggressionen auslöse, auch wenn ich gar nichts andere tu, als etwa in der >>>> Kritischen Ausgabe etwas zu kommentierten. Prompt erscheint als ‚van Bett-Lortzing’ ein typischerweise wiederum anonymer Beiträger und >>>> schreibt ein hämisches, vor allem aber schlechtes Gedicht über mich (Häme läßt sich noch aushalten, schlechter Stil aber nicht). Wieso werden die Leute mir gegenüber stets derart persönlich ausfällig? Wieso, wenn sie meine Arbeit und Einstellung schon nicht mögen, lassen sie sie dann nicht einfach unkommentiert und auf sich beruhen?

Und es geht mir s c h o n an die Seele.

17.39 Uhr:
[Meine Ruh’ ist hin, mein Herz ist schwer, Schubert im Herzen.]
Eine halbe Stunde war sie – bis eben – hier, um den Jungen abzuholen, trank einen Tee, wir redeten, welch eine Sehnsucht, die ihr dann nachsah, i h n e n, als sie davonradelten, die Schönhauser hinunter, i c h war’s, der nachsah, bin es noch immer… immer…

Sachen zusammenpacken, auch für Stuttgart, den Kopf klar behalten, auch das Herz möglichst klar: Es ist eine P u m p e, vielleicht mach ich mir das wieder mal klar. „Gib auf dich acht!“ sagte Ricarda vorhin, mit der ich telefonierte, auch über *** und mich, „gib auf dich acht!“ Jedenfalls ist mir jetzt mehr nach Ablenkung als nach Arbeit. Aber der Vortrag muß weitergeschrieben werden, ich habe noch zweieinhalb Tage bis zum Ausdrucken. Und, wie vormittags schon angenommen, k e i n ARGO heut.

4 thoughts on “Sonntag, der 6. November 2005.

  1. zu 10.17 Uhr “Es soll mir offenbar ein Rätsel bleiben, weshalb ich in den Leuten immer solche Aggressionen auslöse…”

    Eine gute Frage. Meine erste Reaktion war: „Viel Feind, viel Ehr’“.

    Für dieses Ergebnis der Meinungsspalterei ist das Ehepaar Herr NEID und Frau MISSGUNST zuständig. Beide treten nahezu immer vor Kriegsbeginn auf.

    Mein persönlicher japanischer Ratgeber Sunzi erklärt hierzu in seinem Buch „Die Kunst des Krieges“ folgendes (aus „Starke und schwache Punkte“):

    „Der geschickte Verteidiger verbirgt sich in den tiefsten Höhlen der Erde, denn so macht er es dem Feind unmöglich, seinen Aufenthaltsort zu erraten. Aus diesem Grunde sollen genau die Orte gehalten werden, die der Feind nicht angreifen kann.
    Oh, die göttliche Kunst der Geschicklichkeit und Verstohlenheit! Durch sie lernen wir, unsichtbar zu sein, durch sie sind wir unhörbar, und damit halten wir das Schicksal des Feindes in unserer Hand. Du kannst vorstürmen und absolut unüberwindlich sein, wenn du die schwachen Punkte des Feindes angehst…“

    Der Verteidiger ist hier derjenige, den ich als anonymen Provokateur eines LitBlogs oder WebLogs identifiziere.

    Gemäß diesem Zitat wäre es angeraten, dem Provokateur keine Möglichkeit des Angriffs zu lassen. Also das absolut tödliche Mittel der IGNORANZ anzuwenden. Ignorieren Sie doch solche Attacken! Ruhig bleiben und in den Kommentaren sich auf diejenigen User konzentrieren, die ernsthaft und wahrhaftig – trotz Anonymität – schreiben. Die Ignoranz hat sich in zahllosen Forenbeiträgen als wirkungsvolles Mittel herausgestellt.

    Wenn Sie als renommierter, wenn auch umstrittener Autor sich im Internet ein eigenes Schlachtfeld zimmern, müssen Sie mit unqualifizierten Angriffen rechnen. So ist das. Auf einhundert tatsächlich schreibende Autoren kommen im Mittel eine Million Möchtegernautoren und zehn Millonen Kritiker. Nehmen Sie es also leicht – Viel Feind, viel Ehr’.

    1. Sun Tsu Mit Verlaub, ihr Lehrer Sun Tsu war Chinese und lebte vor 2.000 Jahren. Das Buch wurde allein für Kriegsstrategien geschrieben und wird heute u.a. von Japanern als Lehrbuch für Politik und Wirtschaft verwendet.

      Wenn ich Ihnen einen Tip geben darf: Die 36 Strategeme, übersetzt und erläutert von Harro von Senger bieten wesentlich mehr Hilfen, da für diplomatische Zwecke geschrieben und sie werden bis heute von Politikern, aber auch Privat- und Geschäftsleuten zu Rate gezogen.

    2. Errata @Eva: vielen Dank für die Korrektur. Ich irrte, Herrn Sun Tsu (auf meinem Buchdeckel Sunzi) als Japaner zu verunzieren. Natürlich ist er Chinese. Danke für den Tip der 36 Strategeme. Werde Amazon mal damit beauftragen. Zu Herrn Herbst’ Problemen waren mir nur kriegerische Strategien eingefallen, diese zu bewältigen. Eigentlich merwürdig – als ehemaligen Zivildienstleistenden, der ich war. Wobei ich eingestehen muß, daß ich vor wenigen Jahren in Foren und Chats ähnlich wie Herr Herbst dazu neigte, selbst dem größten Internet-Deppen noch Interesse zukommen zu lassen.
      BTW. Ihre Pornografie-Debatte an anderer Stelle in den Dschungeln ist sehr interessant. Ich werde dazu gleich mal etwas absondern…

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