Kann man die Ausnahme nicht erklären,
so kann man auch das Allgemeine nicht erklären.
(Kierkegaard)
Das Gedächtnis ist ein seltsamer Raum. Er kennt kein Hell und Dunkel. So bleibt Erinnerung, dann wenn sie in die Ganglien abwandert, oft schemenhaft. Die klaren Konturen mancher Erlebnisse vergrauen in ihren Zellen zum Schattenriss, dem der helle Spot fehlt, um wenigstens das Ganze einen kurzen Moment aufleuchten zu sehen. >>>Mit Mühe erinnert er sich an die Trennung von W., die einem Suicid gleichkam. Wer kann sich schon an seinen Tod erinnern? Der darauf folgende Versuch sollte nur dokumentieren, was längst schon geschehen war. Das Blut sprudelte dunkelrot in den Schnee. Fasziniert vom Gegensatz von Rot und Weiß schaute er zu, bis die Ohnmacht ihre graue Decke über ihn breitete. Als er in der Psychiatrie aufwachte, wusste er nicht mehr, wer er war. Im Krankensaal lagen ungefähr 30 Patienten. Einer telefonierte ständig mit Gott, ein anderer hielt ein Geige aus Luft in der Hand und bemühte sich krampfhaft eine neue Saite aufzuziehen. Das Bewusstsein seiner selbst tauchte erst dann wieder in ihm auf, als die Pfleger einen Insulingeschockten in den Saal fuhren. Der Speichel lief dem Mann unaufhörlich aus dem Mund.
Wochen vorher hatte er Kierkegaard gelesen. Der Titel war ihm entfallen. Furcht und Zittern durchfuhr ihn. Zwei Tage später, er kam von der Exploration, hatte er Besuch. Nein, nicht die Sängerin. Ihre Freundin, bei der er nach der Trennung untergeschlüpft war, stand an seinem Bett. Sie sollte ihn die nächsten Wochen jeden Tag besuchen. In dieser ganzen Zeit sprach er kein Wort. Der einzige verbale Kontakt ergab sich als er dem Violinisten klar machen wollte, dass eine Geige 4 Saiten braucht, um vollkommen zu klingen. Der aber flüsterte ihn lächelnd zu: Wir sind doch hier im Irrenhaus, da kann auf der Geige Alban Bergs Violinkonzert auch mit nur einer Saite perfekt gespielt werden.Von nun an wurden sie Freunde.
Die Ausnahme dagegen denkt das Allgemeine
mit energischer Leidenschaft.
(Kierkegaard)