A. D. IX. Kal. Febr. Anno 2761 a.u.c.

Neunter Tag vor den Kalenden. Dies comitialis. Der Stern im Busen des Löwen geht unter (Ovid). Daß das Sternbild des Wals untergeht, bedeutet schlechtes Wetter, manchmal auch Sturm (Columella).
Kann sich eigentlich nur um Regulus handeln, denn der bezeichnet die Brust des Sternbilds Leo. „Von ihm trennt uns eine Entfernung, die das Licht […] in 68 Jahren zurücklegt“. Was das Wetter betrifft: bis in den Nachmittag hinein Nebel, jetzt rüttelt Wind an den Fensterläden, aber die Lichter des Soratte sind nicht zu sehen. Habe die Heizung heute noch nicht eingeschaltet, denn das Thermometer drinnen zeigt nach wie vor ca. 19 Grad an. Was entsprechend angezogen leicht auszuhalten ist. Der Zibibbo – heute – tut sein übriges (und Gebäck dazu gekauft: unvermittelt auftauchende Bedürfnisse, die ich sonst nicht habe). Morgen werde ich S. wiedersehen. Ich wäre auch in der richtigen Stimmung mittlerweile. Bis vor zwei Tagen mochte ich gar nicht mal telefonieren. So sehr rang die wirtschaftliche Prognose das Selbstgefühl in die Knie. Was wieder mit meiner Herkunft zu tun hat. Im Elternhaus waren die „wirtschaftlichen Prognosen“ immer hundsmiserabel. Muß wohl dem Vater die eigene Herabwertung in solchen Fällen abgeguckt haben. Ich bin ohne ihn aufgewachsen, d.h. zwar in seiner Gegenwart, aber doch nicht in seiner Geistesgegenwart. Und Kafkas Brief an den Vater berührt mich in der Hinsicht wenig. Doch S., als ich ihr sagte, ich würde jetzt Kafka lesen, warnte mich gerade vor diesem Brief. Woraus zu schließen ist, daß sie ein solches Problem hat. Aber ein wenig hat sie mir’s ja auch geschildert. Noch heute die Pflicht, einmal im Monat für ein paar Tage diesen über 90jährigen zu pflegen, der wohl dem Kafka-Vater als Handelsmann und Unternehmer entsprechen muß. Daß er ein solcher war, sagte sie mir. Also zwei verschiedene Welten, die sich dann im Geiste treffen, aber eben doch nicht ganz frei für sich sind. Vielleicht liegt da ein Grund für das Platonische in dieser Beziehung. Klassengesellschaft. Gibt’s. Sie wird einem eingebleut. Sofern man von unten kommt. „Der soll erst mal lernen, mit Geld umzugehen.“ Noch so ein Spruch von O. Dieselbe Kerbe. Dieselbe Narbe. Wie mein linker Daumen, der etwas kürzer ist als der andere. Weil ich ihm mal beim Holzhacken ein Stück oberhalb des Knochens abgesäbelt habe. Aber mehr als mir dessen bewußt zu sein, vermag ich im Moment nicht. Wenig scheint mir das auch wieder nicht zu sein. Was man sonst mit einem „alles ist relativ“ als Passepartout verwendet, entpuppt sich als eine Herstellung von Beziehungen, sofern man weiß oder auch nur ahnt, was da in Relation zum jeweils anderen steht. Und aus jeder Relation ergeben sich weitere Relationsknoten nach dem Prinzip des Netzwerks. Ein Prinzip, das sich leicht nachprüfen läßt. Man versuche beispielsweise Sätze zu formulieren, die mit „ich weiß noch“ anfangen. Es fallen einem dann im Fortschreiten Sachen ein, die einem sonst nicht wieder eingefallen wären.

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