Askese als Rausch: Körperwerkstatt (2,2). Nämlich das Krankenhaus- und weniger Arbeitsjournal des Donnerstags, den 28. Juni 2018.

[Jüdisches Krankenhaus Berlin
Aufenthaltsraum, 5.31 Uhr]

Wenn es mich so frühmorgens an das Zenbook treibt, ist es besser, mich zwischen den Stationen aufzuhalten, dort, wo es den Aufenthaltsraum gibt, anstelle daß meine Tipperei meine Mitliegenden im letzten Schlafen störte. Um diese Zeit sitzt drinnen, in jenem, noch kein Mensch. Auf siebenachtelsweg dorthin findet sich, in einer stationsgroßen Themoskanne, auch meist noch, über die Nacht freilich erkühlter Kaffee – doch Kaffee immerhin.
Ein wirklich warmer Tag wird’s wieder werden, der, hoff’ ich meiner Entlassung.
Noch laufe ich mit einem Gerätchen herum, das mir tropfartig Blutverdünner zuführt. Den werd ich weiternehmen müssen, wenn auch in Tablettenform. Die Operation hat es… nun jà, gezeigt? Herumgespritzt hat sie damit!

Also ich war noch ziemlich guter Dinge, vorgestern morgen, war vor der OP hinaus in den Park mit meinem eCigarillo, hatte voranmeditierend auf der Bank gesessen, auch den surreal-berückenden Giono weitergelesen, war schließlich ins Zimmer zurückgekehrt und von dort, vorbereitet und sitzend – liegen mochte ich nicht, Sie wissen schon, Freundin, weshalb: Stirn & Stolz -, ein wenig autoscootrig durch die Gänge, in den Fahrstuhl, drunten durch weitere Gänge geschoben und freundlichst vom OP-Personal empfangen worden. Ein Bett stand belegt noch im Raum.
Also ein wenig rangieren.
Ich hatte keine Lust, ebenfalls geschoben und dann möglicherweise auch noch auf den OP-Tisch gehoben zu werden. Also da kam ich schon allein rauf. So lange wie nur irgend möglich sich selbst in der Hand halten; “abgeben” müssen wir eh genug, von uns loslassen auch.
Was mir nicht schwerfällt, wenn ich beobachten, mit Bewußtheit dabeisein und verstehen also kann. Es ist wie mit den Namen: Kenne ich sie, verfüge ich fast schon:

Und er hätte geblinzelt vor dem Namen und sich weggeduckt vor dem Wort, ohnmächtig mir zu erwidern.
Th. Mann, Die Geschichten Jaacobs

Der Arzt merkte sofort, wie ich ticke, und erklärte, wenn ich fragte. Der sehr dünne Draht war gut zu erkennen, der in Leistenhöhe in die Arterie ein- und bis zur Verstopfung hinabgeführt wurde. Dann jeweils der Unterdruck, um die Plaque-Teilchen abzusaugen.
Es waren viele. Sehr viele. Schwärzlich, nein, schwarze Flätschen auf blutgetränkten Vlies’chen. Der Arzt geriet durchaus ins Schwitzen. ” Es ist wirklich, wirklich viel…” Die Angelegenheit war blutspritzig. Ich bin nicht empfindlich, die jungen Leute des Personals, ihrerseits Ärzte, waren es ebenso wenig. “Meine Güte!” Jetzt war in einer anderen Arterie die Plaque hinabgerutscht. Gut zu sehen, wie sie sich in dem, sagen wir mal, Sack einpendelte. Da war jetzt erstmal nicht ranzukommen. “Wir können den Gefäßen auch nicht zu viel zumuten, sollten es nicht. Es ist immerhin heikel.” Einmal sagte er sogar: “Ich will den Fuß nicht aufs Spiel setzen.” Damit hatte er meine Sympathie, nein, Freundschaft ein für alle Male.
Er setzte einen Stent. “Normalerweise nimmt man 6er, Sie sind kräftig, bei Ihnen brauchte es einen 9er” – was bedeutet, daß die von mir ohnedies schon mit leichtem Grauen vorhergesehenen sechs Stunden unbeweglichen Liegens sich um eine komplette Nacht verlängern mußten.
Der Chirurg war eigens – bereits in Zivil vorm Feierabend – in mein Zimmer gekommen, um mich noch einmal zu sehen, den harten Druckverband auf der Leistenwunde zu betasten, den Puls der Füße zu erfühlen. “Es tut mir leid, daß ich Ihnen das antun muß. Aber ich will sichergehen, daß wir nicht morgen auch da noch operieren müssen.” Er meinte die Leiste.
Toller Arzt. Ich möchte mich gerne revanchieren, ein wenig. Es brauchte viel Geduld, seinen Namen nachträglich herauszubekommen, “wir haben mit den Chirurgen kaum was zu tun”, erklärten mir die Schwestern, wiewohl sie ja nur in die Krankenakte nach seiner Unterschrift gucken mußten. Er würde die OP ja wohl abgezeichnet haben. – War dann auch so. Selbstverständlich hatte er es.
Die Nacht war in der Tat heftig. Schon nach fünf Stunden – vor dieser Nacht – fingen die Nieren an zu schimpfen, die gesamte untere Rückenpartie tat da mit; schließlich zog sichs hinaus bis in den Oberbauch – was psychisch war. Hatte mir nun grad noch gefehlt! Die übliche Protestaktion meines Magens, wenn ich mich mit einer unabfindbaren Situation abfinden dennoch muß, wenn ich, kurz, selbst nichts tun, ja nicht mal was versuchen kann, um sie zu ändern. Wenn ich einfach aushalten muß. Dann fangen diese Bauchkrämpfe an.
Ungünstig, wenn man auf dem Rücken liegenbleiben soll.
Die Schwester brachte mir was zur Beruhigung. Wenn es denn anschlug, tat’s das um drei. Ich spreche von der Uhr in der Frühe. Es wurde schon hell, als ich einschlief. Als ich erwachte, waren die Schmerzen vorbei, nur der Magen grummelte ein bißchen noch nach.
Der Chirurg kam er abermals nach mir schauen, war recht zufrieden, aber das Blutverdünngsmittel war ihm noch zu wenig wirksam. Und so blieb es denn auch – “einen Tag mehr müssen wir Sie schon hierbehalten”; bis heute nacht wurde die Dosis quasi unentwegt erhöht. Was passieren soll, ist, daß die nach unten gesackten Plaqueteilchen sich auflösen und von selbst, wenn ich das so sagen kann, abgehen, wobei die geringere Blutgerinnung der Thrombosegefahr gegensteuert.
Theoretisch ist mir der Vorgang klar, praktisch erlebe ich ihn gerade.

Immerhin, vormittags durfte ich schon aufstehen, auch hinaus, wohin es mich t  r  i  e  b: ins Licht, an die Luft! Dort saß ich dann auf der Bank, las wieder Giono, den tragbaren Injectomaten neben mir. Vor mich hindampfend – bis mir einfiel daß Nikotin Gefäßgift genannt wird. Es geht ja gar nicht um die Hunderte Zusatzgifte, deren Fehlen meine eCigarren weniger schädlich als Tabak machen. Es geht um mein Putschgift an sich.
Wieder auf dem Zimmer, recherchiert, recherchiert. Gut, daß ich mein eigenes WLan habe. – Tjà. Ich werd um den Entzug nicht mehr herumkommen. Allenfalls kann ich fortan Flüssigkeiten ohne Nikotin dampfen, mal sehen. Dann bleiben wenigstens meine Gestikulationen erhalten, auch, daß ich auf was herumbeißen kann.
Doch daß ich mich bewegen, daß ich weiterhin laufen kann, ist mir wichtiger. Daß ich weiter Sport treiben kann und, “einfach” gesagt, am Leben bleibe. Sogar, daß ich einiges davon mir zurückhole, das die Depressionen vorw  e  g mir weggenommen haben: Was sie zu beklagen scheinen, führen sie selbst erst herbei.

Als ich der Contessa über Whatsapp mitteilte, fortan niemals mehr Cigarillos zu rauchen, gab es Riesenapplaus. लक्ष्मी kam zu Besuch, brachte jede Menge Säfte mit, dazu Naturheiltabletten – und ein neues Ladekabel fürs Ifönchen; das alte hatte den Geist aufgegeben, lud jedenfalls nicht mehr.

Ob ich heute schon wieder im Friedrichshainpark laufen werde, ist ungewiß. Vielleicht warte ich sogar noch bis zum Sonnabend, denn spüre die Leistenwunde ein bißchen, will nichts unnötig forcieren. Außerdem möchte mich morgen die Angiologin sehen und meine Hausärztin auch.

Arteriosklerose – hätt ich das je geglaubt? Wie schrieb mir Ichsagenichtwer vor drei Tagen? “Altwerden ist scheiße!” – Nun jà, vielleicht indes auch n  i  c  h  t. Vielleicht geht es einfach um Haltungen – später mehr als früher. Ich hab jahrzehntelang “gesündigt” (geraucht, gesoffen, geschluckt, “ungeschützt” gevögelt, was nun auch immer) und trage stolz die Folgen; und mit ebensolchem Stolz zieh ich die Konsequenzen. So könnte selbst Askese rauschhaft werden – Sucht:

Alles verlief in der vollkommenen, sirupartigen, lauen und schweren Maistille, in der sich die Bewegungen in südlicher Anmut verlangsamten.
Giono, Noah 155

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ihr
ANH

 

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