(Nach)Krebstagebuch. Am Dienstag, den 3. November 2020: Der Narbenbruch ff. Später auch Steuererklärungsbeginn mit Puccini im Ohr Barbirollis.

 

[Arbeitswohnung, 8.38 Uhr
France musique contemporaine:
Gabriela Ortiz, Trifolium für Violine, Violoncello und Klavier]

Das “Hernje” ausgesprochene Wort kommt vom Griechischen ἔρνος, “Knospe” nämlich sowie “Sproß”; im lateinischen hernia wurde “Bruch” daraus. Wobei ja nicht wirklich etwas gebrochen ist, sondern das unelastische Narbengewebe hat sich wieder geöffnet und weitet sich derart, daß sich ein Teil des Bauchinhalts hindurchdrücken kann — was bei mir derzeit so aussieht:

Die Ausstülpung (von überm Nabel links der Narbe bis unten etwa Bildmitte folgend) läßt sich ziemlich gut erkennen. Die Diagnose war aber eh klar. Nur wird derzeit wegen der gegenwärtigen neuen Coronabestimmungen die Behandlung von Brüchen dieser Art eigentlich aufgeschoben; in meinem Fall allerdings, nach der Magenresektion, besteht die Gefahr von Einklemmungen, die wiederum zu solch lebensbedrohenden Unappetitlichkeiten wie Darmverschlüssen führen können. So daß nun meine Operation bereits Mitte der nächsten Woche stattfinden wird.
Ich war gestern bei meinem Operateur.
Blöderweise ist die OP nicht laparoskopisch zu machen, sondern der unterdessen zusammengewachsene Bauchschnitt muß noch einmal ganz geöffnet werden. Dann wird ein Netz, das für spätere Stabilität sorgen soll, eingezogen und neu vernäht – ein Vorgang, der mir von meinem Leistenbruch her noch bekannt ist. “Routine, Sie müssen auch nicht auf die Intensivstation nachher. Irgendwie”, mit Blick auf die covide Situation, “schieben wir sie schon in einem der Zimmer dazwischen.”

So ist nun allerdings im Vorfeld einiges zu tun; Einweisung besorgen, von der Krankenkasse genehmigen lassen, noch einmal ein CT (das aber eh zum Abschluß fällig war) sowie, unterdessen ein quasi running gag für mich, der dritte Coronatest innerhalb dreier Monate. Ich bin nur froh, daß die → Béart-Arbeit erst einmal erledigt ist; an die letzte Durchsicht wird meine Lektorin erst nach dem 15. kommen, und das zweite START-Seminar wird erst am Ende dieses Novembers stattfinden. Insofern paßt alles. Und ich kann überdies, womit ich heute beginnen werde, endlich die fällige Steuererklärung für 2019 angehen, deren Abgabetermin das Finanzamt – Liligeias wegen – auf Ende Dezember aufgeschoben hat. Nun bekomm ich’s schneller hinter mich, werde direkt vor der OP abgeben können. Das wirklich Ärgerliche an allem ist, daß ich mein Training werde erneut pausieren lassen müssen. Dabei bin ich wieder bei 10-km-Läufen angelangt und habe sogar meinen Ruhepuls auf fast wieder die für mich normalen 50 runter. Schon spannend, sich die Entwicklung seit Wiederaufnahme des Trainings anzusehen:

Am 21. Oktober habe ich das Training nach der OP und der vorher langen Pause wieder aufgenommen, und schon ab dem 29. fiel ging der Ruhepuls auf unter 60. Nur noch vier Wochen weiteres Training, und ich hätte die 50 wieder stabil. Auch einige verlorene Muskulatur wäre wieder zurück. Ich war immer in einem zutiefst vertraulichen Verhältnis mit meinem Körper und kann ihm dafür gar nicht genug danken; daß ich ihn werde nun wieder vernachlässigen müssen, ist übel. Aber andrerseits eben auch zu seinem Schutz.
Wie auch immer, es nervt mich. Bis zur OP allerdings trainiere ich erst einmal weiter, wenn auch mit, nun jà, “Bedacht”.

 

Leider, leider wirkt Liligeia nach; noch ist sie nicht wirklich besiegt.

 

Ihr ANH
[Anthony Braxon, Composition no 16 (101)]

[15.40 Uhr
France musique contemporaine:
Paul Mefano, Ondes espaces mouvants]

Schreibt mir aus Wien meine Lektorin, die mir zuvor schon von den Attentaten erzählt hatte (sie war vornachts mit den anderen Besuchern unter Polizeischutz aus dem Burgtheater geführt worden), aus Wien: aber solltest du nicht ruhe geben? Worauf meine iMessage antwortet: Eigentlich … aber da wär seelisch die Belastung zu groß. Nach der Neu-OP nächste Woche werde ich ja trainieren gar nicht können; also bis dahin dann halt … Aber ich bin vorsichtig, trainiere um den Bauch sozusagen herum. Versprochen.

Wobei wir heute geradezu ein Frühjahrswetter haben in Berlin; vom Lockdown war kaum etwas zu merken, abgesehen von den Schildern an den Restaurants und hier und da rauchend plaudernden Polizeigrüppchen, die eher nach Sonntags-Abchill’n wirken.

Nach dem Duschen eine tiefe Stunde siestageschlafen.

 

Und jetzt:

DER STEUERERKLÄRUNG ERSTER TEIL

Dazu die, seht unten rechts im Bild, wahrscheinlich unerreichte Madama Butterfly des Teatro dell’Opera di Roma unter → John Barbirolli; Renata Scotto in der herzbeklemmendsten Titelrolle der Welt. So wird selbst eine Steuererklärung, bzw. ihr Vorbereitungsprozeß, zum Seelenereignis.

 

(Allerdings nehme ich das LP-Behältnis nun wieder vom Tisch.)

 

3 thoughts on “(Nach)Krebstagebuch. Am Dienstag, den 3. November 2020: Der Narbenbruch ff. Später auch Steuererklärungsbeginn mit Puccini im Ohr Barbirollis.

  1. Habe gelesen, dass so ein Narbenbruch eine nicht seltene Folge einer Bauchdeckenöffnung ist, also gibt es auch eine entsprechende Routine. Aber warum wird so ein Netz nicht gleich vorsorglich eingezogen? Das Gute dabei: die diffusen Schmerzen in dem Bereich gehen dann beim neuen Heilungsprozess bestimmt weg. Das wäre schön. Die Narbe sieht an sich schon ganz gut aus, jetzt wo das Fell wieder nachgewachsen ist. Kein schlimmer Anblick! Dann wird die zweite noch besser.

  2. Oh, habe gar nicht mitbekommen, dass Paul Méfano am 15.09. verstorben ist. Am 20.09. erschien sein Album “Luftklang”, das ich mit Bewunderung gehört habe und das ein würdiges Epitaph für ihn abgibt. RIP.

  3. *Das* Kabinettstück auf der CD ist vielleicht “Der Geier” nach Kafka – mehrkanalig (sprech)gesungen und auf der Viola (eh klar) begleitet von Olga Krashenko.

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