Wien 3: Und dann zu je einsfuffzich der Abschiedscafé Mitte. Als Tagebuch im Arbeitsjournal des Montags, den 25. Juli 2022. Mit einer enormen Wende in Triest. Briefe nach Triest, 48. Wiederaufnahme, Überarbeitung 8 (vierter Durchgang).

 

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Draußen Platz nehmen vor der offenen Zugangshalle der Züge. Espresso und Café sind ausgezeichnet. Ich nur, ausnahmsweise, kurze Kahkihose, kurzärmliges Khakihemd und Chucks, sie sieht nach Hawaii aus, wir müssen beide lachen. Da der Junge, gewachsen ist er, fällt mir stürmisch um den Hals. Das hatte ich nicht erwartet, bin von Glück geflutet. Immer wieder, auch als ich die zwei zum Bahnsteig bringe, sucht er meine Nähe, umarmt mich noch und noch; kurz gehen wir Arm über Schulter. Vater wieder sein.
Die beiden steigen ein, finden ihren Platz. Ich, außen, lege je meine Hände an die Scheiben, sie darunter die ihren. Der Zug ruckt kurz, setzt sich in Bewegung, und ich winke.
Lange, sehr lange in dieser Intensität nicht mehr gehabt: Wir waren kurz Familie.

A., 9.44 Uhr

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Mein Abendzug zurück nach Berlin geht um 18.43 Uhr, also erstmal die SBahn bis Meidlingen, danach wird in den Intervity umgestiegen, der bis Gesundbrunnen durchfährt. Deshalb konnte ich mit den zweien nicht mit; zuviele nicht planbare Zugausfälle auch der ÖBB. Ich wäre allzu nervös gewesen. Dazu kam, daß gestern eine riesige Wende in der Planung der Triestbriefe geschah; etwas Unheimliches, das mir einfiel, enorm Konsequentes, aber halt auch Übertritt – genau in dem Sinn, in dem auch das Traumschiff Übertritt war. Es riecht nach einer Blasphemie, doch ist sie unabwendbar. Symbolisch gesprochen, riskiere ich mich selbst. Daran will ich gleich weiterarbeiten, muß ich weiterarbeiten. All das ist nicht ohne Irre; der Weg wurde frei, als ich einen Fehler in den Briefdatierungen bemerkte und versuchte, ihn zu beheben. Er streckt sich in der Zeit nach vorne, aber auch nach hinten. Und weil es hervorgehobene Daten sind, Daten eines wichtigen Festes, mußte für die Verschiebung eine Überleitung gefunden werden. Ich stand im Hausflur die Pfeife rauchend am Fenster, neben mir das Glaserl Wein, als der Schauer über mich ging.
Zurück zu meinem Verlegerfreund, der über Druckfahnen saß. “Du, ich habe da plötzlich eine Idee, die aber ganz gespenstisch ist.” “Erzähl.” (…) “Das ist es!” “Aber es ist unheimlich.” “Aber es i s t es.” — Jetzt muß ich Spuren legen und Übergänge schreiben. Auch das noch, bevor ich den Erzähler beginnen lasse, meinen dreiunddreißigsten Brief zu formulieren. Der dem sechsundzwanzigsten Brief nun neu voranzustellende Übergang, den ich gestern nacht noch notierte, klingt einstweilen so:

 

Es war, schöne Frau,

28. Dezember, montagmorgens 6.15 Uhr

Stille seit über einer Woche – etwas, das aber, Sídhe, mit Dir nicht zusammenhing, sondern mit den Feierlichkeiten. Sie mögen getrennt sein, Sarah und Lars, doch gegen alle Unbill haben sie selbst in zerstrittensten Zeiten daran gehangen, Larssohn ein Zuhause zu bewahren, das auch eines ist. Mein, also Lars’ens, letzter Brief datiert vom 22., ab dem 23. war das Fest vorzubereiten, da ist für anderes nicht Zeit. Und auch ich selbst war durchaus verhindert, Judiths und der Zwillingskinder wegen, die von ihren Elten noch weitergehend abhängig sind, als der schwer – aber klug – pubertierende Larsson es ist. Ich also auch hatte mich um meine Familie zu kümmern, Du, so weit weg, fielst, verzeih, in den Hintergrund weg. Vielleicht wäre es anders gewesen, hättest Du nur ein einziges Mal reagiert – wobei ich unterdessen denke, diese Pause jetzt habe Dir die Hoffnung gemacht, es fände mit meinen Briefen vielleicht überhaupt ein Ende. Dem, wie Du jetzt liest oder zumindest zur Kenntnis nehmen wirst, ist nicht so. Denn wie wundervoll auch immer ein gemeinsam verbrachtes familiäres Weihnachtsfest ist, so wenig hält es danach den eigentlichen Erfordernissen, schon gar den Entwicklungen stand, die sich seit den Trennungen – einerseits Lars’ens von Sarah, andererseits Judiths von mir – geradezu notwendigerweise ergeben haben. (…)

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