Buchmessen-Arbeitsjournal 1: Mittwoch, der 14. Oktober 2015.





[MöFe Sachsenhausen, 5.56 Uhr]
Jetzt träume ich schon von den Videos! Die ganze Nacht hindurch habe ich versucht, aus dem Standbild eines über einen Fluß setzenden Bootes (Nachens!) einen Film zu zerziehen, der in der Unendlichkeit sich entspitzt. Ich hatte aber keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte, probierte und probierte, bis ich gegen Morgen endlich begriff, daß doch alle Clips längst fertig und bereit sind, täglich am Abend hochgeladen und eingestellt zu werden. Und dich wachte auf.
Die Serie entstand 1980 mit Mikro, Cassettenrecorder und als Tonmeister einem engen Freund, dem Fotografen Andreas Werda, in Bremen. Sie ist Teil eines Projektes, das ich als mein Hörstück op. 1 ansehen sollte; es wurde aber nie gesendet: Kaum gebildeter Mythos Schorf: bezeichnender Titel für meine damalige Denk- und Produktionsweise. Keine anderthalb Jahre später, da schon in Frankfurtmain, würde ich die, ohne sie als solche allerdings schon zu wissen, Pentalogie „Die Konstruktion des Widersinns“ beginnen, die von der >>>> Verwirrung bis zu >>>> Anderswelt III die folgenden drei Jahrzehnte meines Lebens bestimmt hat; bis vor zwei Jahren. Hans Deters träte in mein Leben. In Bremen hätte er das nicht gekonnt. Indem ich diese Stadt verließ, für quasi immer, verließ ich die Themen der Arbeitswelt, des Kleinbürgertums, löste ich mich von sowohl Franz Kafka wie von Arno Schmidt, und löste mich von André Heller. Bleiben allerdings „tat“ die Neue Musik. Aragon und Johnson, vor allem der frühe, brachen in meine Stilistik und Vorstellung ein, wie ein moderner Roman zu bauen sei; hinzu kamen Günter Steffens, Borges & Joyce, Th. Mann ( der des Doktor Faustus) und der Schnurre des Schattenfotografen.

Zu dieser Sechserserie der Webernclips: Ich sprach die Texte quasi automatisch, sprach, was mir beim Hören der Musik einfiel und notierte das jeweils, Stück für Stück, das heißt: schrieb es von der Aufnahme ab und bearbeitete die Texte dann – ich weiß aber nicht mehr, wie intensiv. Diese bearbeiteten Versionen schließlich sprach ich erneut, in Werdas provisorischem Studio, auf die Stücke, wobei die Rezitationen weiterhin allein aus dem Hören quasi improvisiert wurden; auf die Idee, mir die Noten zu besorgen und dann genau aufzusprechen, kam ich gar nicht. Was schon ein bißchen seltsam ist – vor allem, wenn ich jetzt höre, wie ich einzelne Töne – nämlich die „eigentlich“ gemeinten – um Achtelsekunden bisweilen verpasse; ärgerlich bei so konzentrierten, ja kondensierten Musiken.
Eine andere der alten Aufnahmen ist leider verloren gegangen. Da sprach ich Kafkas Kübelreiter auf Mahlers „schattenhaft“ aus der nachgelassenen Zehnten. Ich habe mir vorgenommen, mir dieses kleine Projekt abermals vorzunehmen und den Versuch in den nächsten Wochen noch einmal, über fünfundddreißig Jahre später, zu wiederholen. Denn ich glaube, daß ich damals etwas sehr Wahres erfaßt habe. Hätte ich schon seinerzeit einen ausbaufähigen Kontakt zum Rundfunk gehabt wie knapp ein anderthalbes Jahrzehnt später zum Deutschlandfunk unter Thomas Zenke, die Entwicklung meiner Hörstückarbeit hätte sich möglicherweise noch einmal ganz anders entwickelt. Ich hatte aber nur Kontakt zu Radio Bremen, und als – nach dem mir sehr gewogenen Schmidtke – meine, muß ich sie wohl nennen, Mentorin Heddy Proß den Sender verließ, hat mich ihre Nachfolgerin quasi gefeuert: die von Reich-Ranicki rosenbekürte Lürikerin Ulla Hahn. Ich revanchierte mich in den >>>> Dschungelblättern und nannte sie das schnellste Literaturhuhn Deutschlands. Bis heute ist mir ihr Kleinweibchenblick zuwider, mit dem sie ihre Macht verflort, auf den aber gewisse Machtmänner flogen und wahrscheinlich immer noch fliegen. Man mag >>>> mich „nur einen Aufreißer“ nennen und meinethalben mag ich einer auch sein, am patriarchalen„Spiel“ der männlichen Überhebung über Frauen wie an deren pfiffiger Nutzung des Spiels nahm ich bis heute nicht teil.

Um kurz nach fünf Uhr auf. Ich bin bei der alten Freundin hier nicht nur für Buchmessenverhältnisse geradezu luxuriös untergebracht, habe eine ganze Wohnung für mich und werde nun erst einmal, bevor ich gegen neun zur Messe losziehe, aus dem Netz die für mich wichtigen Standnummern heraussuchen und in den Kalender kopieren sowie in mein Notizbücherl eintragen. Moment, ich hol es eben her. – Ah jà, den ersten „festen“ Termin habe ich heute um 11.30 Uhr. Und am Abend, bitte nicht vergessen, >>>> die Frankfurtmainer Premiere des Traumschiffs. Der quasi ganze Verlag wird dabeisein; es werden wohl auch einige Freunde kommen.
Mit dem Buchpreis, übrigens, habe ich jetzt wirklich meinen Frieden gemacht, einfach, weil >>>> Witzel ihn schlichtweg verdient hat und nachdem mir gestern klargeworden war, daß als gleichwertige Mitbewerber tatsächlich nur >>>> Eckers Fahlmann und mein >>>> Argo infrage gekommen wären; alles andere fällt – in forciert romanästhetischer Hinsicht – ab. Mein >>>> Traumschiff ist hochpoetisch, ja, vor allem in gutem nichtkonservativen Sinn humanistisch, formal aber traditionell. Das habe ich so auch gewollt, weil es in seiner künstlerischen Haltung meinem Thema gemäß ist; den Roman aber als Kunstform bringt es, anders als meine Pentalogie und anders als der Fahlmann, nicht weiter.
(Es ist ein schöner Traum, übrigens, mir vorzustellen, daß Verwirrung, Wolpertinger und Anderswelt I – III als papierweich gebundene Ausgabe zusammen in einem Schuber erscheinen.)

Ah-jà-zum-zweiten: Wenn ich heute abend ins Literaturforum komme, wird da vielleicht schon >>>> die neue „L.“ mit dem überhaupt(:Betonung auf „haupt“)-ersten Abdruck einiger Teile meines Béart-Zyklus liegen.

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