Abtreibung.

Bei Frauen, die geboren haben, findet eine hormonelle Modifikation statt, die durchaus den Charakter ändern kann: Er fokussiert sich auf den Säugling. Was biologisch, auch psychologisch völlig sinnvoll ist. Religionen, die Sexualität ausschließlich an zu zeugenden Nachwuchs binden, reflektieren das bis heute. Allerdings versuchen sie, dies sozial als endgültig zu fixieren, so daß die Mutter Mutter bleibt. Die Frau wird von ihnen als etwas betrachtet, deren erotischer Sinn ausschließlich im Kind besteht und auch bestehen soll (weshalb sowohl der Katholizismus als auch der Islam die Missionarshaltung als einzig unsündige Stellung normiert haben wollen). Wenn nicht negativ sanktioniert wird, entwickelt sich eine Frau aber immer wieder in eine sexuell begehrende, vor allem fordernde zurück. Die Hormone schlagen sozusagen um. Sofern sie nicht ein Gott würgt.

Ist es aber denkbar, daß etwas ähnliches auch bei Frauen geschieht, die abgetrieben haben? Und möglicherweise für immer an den Spuren tragen? Die sie, weil es so schmerzt, von sich abstreifen wollen? Daß sie sich vielleicht sogar bleibend umorganisieren, und zwar derart weitgehend, daß die Abtreibung selbst nicht nur vergessen (verdrängt) werden muß, sondern sogar f a k t i sc h ungeschehen sein soll? Kann es also sein, daß eine Abtreibung in einen dauernden, irrational haßerfüllten Krieg mit der Vergangenheit führt? Daß es einen „Feind“ gibt, der unbedingt vernichtet werden muß, da er ja Zeuge ist, so lange er lebt… Zeuge für etwas, das nicht gewesen sein darf? Daß der Feind ein „Schuldiger“ ist, der fast-Vater nämlich, weil es ohne ihn zu der Empfängnis gar nicht gekommen wäre? Und, in dieser Logik weiter, wenn denn das Kind schon sterben mußte…

So wäre eine Abtreibung der Beginn einer Kette unentwegt aufeinander folgender Destruktionen, jedenfalls ihres Versuches. Und diese Aggressionsreaktionen liefen erst aus, wenn die Vergangenheit – tot ist. (Damit aber auch, als gewordenes Wesen, man selbst.)

Sofern all das stimmt, was Die Dschungel hier denken.

[Psychologischer Grundentwurf einer knappen Erzählung über Liebe und Haß. Über Verlorenheit. Über die Illusion von Autonomie.]

8 thoughts on “Abtreibung.

  1. nicht nur eine abtreibung ist der beginn einer kette von unaufhaltsamen kausalen ereignissen, jede handlung ist ein solcher beginn, oder?
    sicher nicht jede abtr. muß eine aggressive reaktion(skette) vor sich auftürmen, aber es gibt natürlich schon so etwas wie das “postabortale sydrom”, und hormone spielen sicher auch mit, aber grundlegender bleibt doch der mensch und seine persönlichkeit: seine vergangenheit, seine herkunft, dementsprechend er damit umgeht.
    ich bin überhaupt einer, dem hormone (körpereigene) kein argument darstellen: meine gefühle sind meine gefühle, und nicht folgen meiner gehirnchemischen prozesse (selbst wenn man es so sehen kann).
    die thematik autonomie versus gehirnphysiologie ist eine ganz aktuelle, in deutschland mehr als in österreich wird ein diskurs geführt, den ich mir hierzulande auch stärker wünschen würde. aber man beschäftigt sich mit wadlbeißereien in österreich .. wie fast immer. leider.

  2. Unabhängig auf welche Weise von den betroffenen Frauen solch eine Handlung “versucht” wird zu verarbeiten oder besser gesagt zu verdrängen – sofern dass überhaupt möglich ist. Wenn, dann führen sie in erster Linie Krieg gegen sich selbst und ihre Schuldgefühle – ob bewußt oder unbewußt. Und zwar nicht in Bezug auf ihre Vergangenheit sondern mit ihrer Gegenwart und vor allem ihrer Zukunft.

    Mal von einer Vergewaltigung abgesehen – so ist doch jede Frau (mehr oder weniger) aktiv mit daran beteiligt, ob sie schwanger wird oder nicht. Auch wenn es manchmal den Eindruck macht – wir leben schließlich nicht mehr in der Steinzeit. Jeder trägt letztendlich die Verantwortung für sich selbst. Eine werdende Mutter zusätzlich für das Kind, dass sich ihr anvertraut hat – ob sie es nun zur Welt bringt oder nicht – diese Entscheidung bleibt letztendlich einzig an ihr hängen. Über die Konsequenzen eines Abbruchs sind sich die wenigsten Frauen überhaupt in jenem Moment bewußt – wie auch immer diese letztendlich aussehen mögen.

    Und was die “Zeugen” betrifft – wieviele Männer kennen Sie, die bei einer Abtreibung mit dabei waren? (von denen, die überhaupt etwas davon erfahren haben) Vom Arzt mal abgesehen, kenne ich keinen einzigen. Und was die ausführenden Ärzte betrifft – die beenden ihr Dasein auffallend häufig selbst.

    Und wie erklärt sich die Tatsache, dass es Frauen gibt, die mehrmals abtreiben? Sicherlich nicht durch einen post-abtreibungshass gegen Männer. Dafür liegt der Grund wohl eher bereits tief in ihrer Vergangenheit verwurzelt – auch oftmals verdrängt. An mangelnder Aufklärung oder gar Dummheit kann es wohl ebenso wenig liegen, wie an einem Verlangen, einen solchen Eingriff mehrfach vornehmen zu lassen.

    Allerdings ist dieses Thema so komplex, dass es schlicht den Rahmen sprengen würde, hier darauf näher einzugehen.

    Fest steht jedenfalls eines: faktisch ungeschehen läßt sich solch eine Tat niemals machen – sie läßt sich allenfalls vorab “verhüten”.

    1. sie sind eine frau? ich staune.

      und an sie gerichtet, herr anh., warum so einen mythos machen aus diesem thema. glaben sie mir, es gibt durchaus auch frauen, die vielleicht all das ungeschehen machen wollen im sinne von “nie passiert”, aber auch solche, die noch jahre später zu dieser entscheidung stehen, ihnen jedes detail erzählen könnten und doch nie anders wählen würden. kein “feind”, kein “krieg”, kein “schuldiger”, das leben (und der tod). nichts anderes.

    2. Das glaube ich, June. Und ich kenne solche, sagen wir: normalen Frauen auch, bin mit einigen eng befreundet. Aber mich interessieren die “nicht normalen”, fast mythisch bewegten, die einen schweren Sog ins Chthonische haben, einfach mehr – also gewissermaßen Penthesilea- und Medea-Charaktere. Sie sind mir näher und sowieso für literarische Konzeptionen ergebiger. Mit pragmatischen Menschen läßt sich keine Saga schreiben und eigentlich auch keine Obsession leben. Mit ihnen kann man die sagen wir “Grenzen des moralisch korrekten Anstands” kaum je überschreiten, so daß man nie an eine Leidenschaft gelangt, die auch den Tod mit einschließt, ihn wenigstens berührt: also – r i sk i e r t. Sie sind sozusagen gegen den Rausch immun. Genau der aber lockt mich. Alles andere sind, auch in der Liebe, Fernsehserien.

    3. weil ihre worte, aanderss-aartick, so eine aussenperspektive einzunehmen schienen, die ich in zusammenhang mit siesen themen fast nur von männern kenne.

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