Ahnen und Schicksal. So beginnt das Arbeitsjournal des Mitwochs, dem 23. Februar 2011. Beginn der Überarbeitung des Jungenromans zur lektoratsbereiten Fassung. Mit Bemerkungen zu Barbara Gresslehners duftender Stille.

5.41 Uhr:
[Arbeitswohnung. Bruno Maderna, Aria.]
Latte macchiato, Morgenpfeife. Erst um fünf aufgestanden, wenngleich ich bereits um Viertel vor zwölf im Bett lag. Aber das Abendtraining gestern hat mich doch ziemlich geschlaucht; das erste Mal wieder seit drei Jahren zehn Kilometer teils gerannt, teils nur gelaufen, aber mit starken Widerstandsintervallen auf dem Crosstrainer; danach dann noch etwas Bauchmuskeltraining und anschließend Sauna. Da merkte ich den Kreislauf, aß nur noch zwei Birnen und einen Apfel, und als ich dann wieder am Schreibtisch saß, gegen 22 Uhr, und von dem sehr guten Rotwein nahm, den ich geschenkt bekommen habe, war ich eigentlich schon nicht mehr völlig auf der Höhe. Unruhig schlief ich dann, mir fielen zwei Zähne aus, und einer von ihnen verschwand in einer Wasserleitung; er war auch nicht mehr einzufangen, obwohl ich sie an zwei Gelenkknien öffnete und die halbe Küche unter Wasser setzte – was, wie mir jetzt eben erst bewußt wurde, der Reflex auf eine Szene in den Fenstern von Sainte Chapelle war. Jedenfalls habe ich zudem enorm geschwitzt, trotz des weit offenen Fensters, das ich auch im scharfen Winter brauche, um schlafen zu können.

Ich wollte sofort an die Überarbeitung des Jungenromans – sofort, nachdem der Latte macchiato bereitet war -, aber dann las ich >>>> Zazies Replik zum Thema Herkunft. Damit beschäftigte ich mich, entwarf etwas zur Antwort, schiebe aber erst einmal diesen ersten Eintrag im Arbeitsjournal vor. Und allerdings muß die Überarbeitung übermorgen abend fertig sein, weil ich den Sonnabend dringend für den Waschsalon brauche und um hier Ordnung zu schaffen und sauberzumachen, bevor ich wieder für drei Tage in die Serengeti fliege. Außerdem brauchen die Mitleser den Text, weil ich gern möchte, daß sie mir Vorschläge für den Programmtext des Verlages unterbreiten. Daß Autoren solche Texte selbst verfassen, ist Usus, aber für mich jedesmal Quälerei; es ist, als sollte man mal eben schnell erzählen, „was in dem Buch geschieht”. Werde ich sowas direkt gefragt, verweise ich nach Möglichkeit, also wenn so einer da ist, auf den nächstsitzenden Vertrauten. Das Problem besteht unter anderem darin, daß dieserart Fragen wie auch solche Programmheft-Texte eine Distanz zum Buch erwarten, die ich meist gar nicht habe. Ich kann in solchen Situationen durchaus ins Stottern geraten oder verhaspele mich sonstwie oder wehre die Fragen mit Arroganz ab; es ist einfach weder meine Aufgabe, noch habe ich die Fähigkeit, meine Arbeit sachlich zu objektivieren. Am besten entstehen solche Programmheft- und aber auch Klappentexte in der Zusammenarbeit von Lektor und Autor; es kann sogar günstig sein, wenn ein ganz-Fremder hinzukommt. Die anderen formulieren vor, und man selbst bringt den Text dann ins Lot.

Ich mag ein wenig wissen, was die >>>> Kulturmaschinen noch so publizieren. Deshalb weiter in >>>> Gresslehner gelesen, als ich spätabends zurückwar. Sie hat eine sehr schöne Sprache, ausgesprochen geschmeidig, weiß vor allem die Psyche von Menschen zu erzählen, die in BDSM-Lieben eingesponnen sind; nie wird sie grob, schaut immer genau hin, und zwar aus sich heraus, dem nachfühlend, gleichsam tastend, was in ihren Protagonisten wirkt. Das gefällt mir sehr. Und doch fehlt etwas – etwas Erzählerisches, Erzählendes. Denn jede der kleinen Kurzgeschichten entwirft eine, so möchte ich das nennen, Betrachtung, doch kein Geschehen, keine Geschichte, die anders gebaut würde, als daß jemand wie schlafwandelnd vor sich hingeht. Da gibt es nicht wirklich Bögen und Zusammenhänge, sondern eigentlich immer nur „Themen”. So daß mir die kurzen Prosastücke eher wie Lyrik vorkommen, momenthafte Gedicht-Eindrücke. Und wo Gresslehner es doch einmal mit einer Geschichte wagt (in der ziemlich weit vorne stehenden „Laufstrecke”, etwa), wirkt die „Pointe” aufgesetzt, also dramaturgisch unvorbereitet. Insofern habe ich den Eindruck eines „rein” autobiografischen Schreibens, das „Befindlichkeiten” sorgsam, klug und sensibel erfaßt, nicht aber eigentlich in Literatur umformt. Ich weiß jetzt gar nicht, ob ich’s noch weiterlesen will; einerseits mag ich, andererseits nicht.

Zurück zu den Ahnen. Und die >>>> Tagesplanung ist zu entwerfen.

Madernas Musik hat etwas Magisches. Über >>>> diese CD-Edition muß und will ich auch noch schreiben; vielleicht tu ich’s von der Serengeti aus.

[Maderna, Ausstrahlung.]

7.27 Uhr:
[Maderna, Grande Aulodia.]
Das hat jetzt zu formulieren lange gedauert, aber es ist mir sehr wichtig:

>>>> Die (re)projezierte Schuld: Ahnen und Schicksal.
Zum Aristokratischen.
Eine Antwort an Zazie.<<<<

Jetzt aber an den Jungenroman. Lassen Sie mich, bitte, nur noch diese Musik zuendehören. (Zweiter Latte macchiato, zweite Morgenpfeife.)

17 Uhr:
Gegen halb zwölf beim Training gewesen; da rief die Fußpflegerin an, ob ich heute schon früher könne – was mir ganz recht war, weil ich dann den Nachmittag und frühen Abend nicht unterbrechen mußte. Da hin dann also nach dem abschließenden einen Saunagang, den ich an sich gar nicht eingeplant hatte; aber es „hing” etwas Zeit nun „über”; noch schnell etwas einkaufen gewesen, das Essen vorbereitet und, als mein Junge dann zum Schlagzeugunterricht aufbrach, eine tiefe Stunde geschlafen. Mitten drin ruft der Verlag an, es gebe mit den Chapelle-Fahnen ein Problem… ich war völlig verwirrt, halb im Träumen… wir verschoben die Lösung auf später.
Es ließ sich sehr schnell lösen nach dem Aufwach-Espresso.
Jetzt muß ich mit Volldampf an den Jungenroman; bis etwa 22 Uhr werde ich durcharbeiten. Geht n nicht anders. Danach vielleicht noch hinaus auf ein Bier; aber zur Bar ist es mir dann zu spät.
Mal sehn.

4 thoughts on “Ahnen und Schicksal. So beginnt das Arbeitsjournal des Mitwochs, dem 23. Februar 2011. Beginn der Überarbeitung des Jungenromans zur lektoratsbereiten Fassung. Mit Bemerkungen zu Barbara Gresslehners duftender Stille.

    1. @Metepsilonema. Nein, ich kannte >>>> Keuschnigs Rezension noch nicht; erinnere mich jedenfalls nicht dran (den Link lege ich noch einmal kenntlich, weil sie sich, wie das Begleitschreiben oft, lohnt).

      Ich erwarte dergleichen auch nicht, nicht bei Miniaturen; nur ist meine Erwartungshaltung anders, wenn man von “Kurzgeschichten” schreibt. Nur da vermisse ich das Erzählerische, also die konstruierte Geschichte mit Handlung, Aufbau und Lösung im Finale. Ansonsten bin ich von diesen Texten – die ich aber eben “Prosa” nennen würde, “Prosastücke”, vielleicht sogar “Meditationen” – ja ebenfalls angerührt, auch wenn sie mir zu nahe an einem immergleichen Ich bleiben, weshalb ich oben von meinem Eindruck eines “nur”-Autobiografischen schrieb. Mich interessiert ja eben die Verwandlung, nicht die Dokumentation.
      Aber selbstverständlich handelt es sich dabei um eine persönliche Lektüre-Vorliebe, die ebenso selbstverständlich mit meiner Vorstellung von erzählender Literatur zu tun hat.

    2. Vielleicht hätte man besser Prosastücke schreiben sollen, ich kann mich aber an die erzählerische Struktur nicht gut genug erinnern, um das jetzt beurteilen zu wollen/können.

      Mit Sicherheit steckt da Autobiographisches mit drinnen, aber wir wissen nicht was oder wie viel, insofern bleibe ich da zurückhaltend – Sie schreiben ja richtiger Weise auch von einem Eindruck.

      Sprachlich ist es stellenweise sehr schön und das genügt mir manchmal (auch eine Vorliebe).

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