Arbeitsjoural. Mittwoch, der 28. Februar 2007. Bamberg und Berlin.

4.51 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Zehn nach halb vier auf – und bin so sehr in der Dritten Elegie, daß ich vor diesem heutigen Arbeitsjournal die zwei nächsten Zeilen tippte, die ein neues Segment einleiten. Zschorschs seinerzeitiger Kritik auf die Erstfassungen folgend, unterteile ich jede Elegie nunmehr in Abschnitte. Woraus aber gegenüber den Rohlingen leicht modulierte Sinngefüge entstehen, die ich je pentametrisch abzuschließen versuche (oder mitten im Vers; dann nimmt die erste Zeile des neuen Segments den offengeblieben Rhythmus auf). Das wiederum schafft Perspektivwechsel.
In der Dritten ist der auch aus der „Vorgabe“ nötig, also wegen >>>> Klingers Amphitrite, die nun ‚irgendwie‘ auf Anahit gedeckt werden muß, die sowieso eine persische Form Aphodites ist. Ich würd hier ganz gern mit der Dreieinigkeit spielen, die als Hekate triformis/Kore-Demeter-Persephone über Saraswami-Laksmi-Kali, bzw. Trimurti bis zur christlichen, restlos unkörperlich gemeinten Dreieinigkeit durch die Religionen zieht. (Deswegen haben Titel, die Dreierfolgen bilden, bis heute große Strahlkraft, z.B. „Götter, Gräber und Gelehrte“, „Berge, Meere und Giganten“). Dann ist aber in der Schönheit immer auch schon ihr Zerfall mitgedacht, den Kunst aufheben will, aber eben nicht eigentlich, um den Zerfall selbst aufzuheben, sondern um den Prozeß aufzuheben, also um etwas herzustellen, das bleibt und n i c h t der Vergängnis unterliegt. Mythisch (= nicht gesellschaftskritisch) argumentiert, liegt hier die Wurzel jeder Verdinglichung, und zwar eben und gerade auch der, die in >>>> Klingers Statue sowohl zum Vorschein kommt, als auch von einem Betrachter in seiner bewundernden Betrachtung wieder verflüssigt wird, der das Unnahbare berühren möchte. Sofort kam mir gestern Merimées Venus de l‘Ille in den Kopf, und auch sie wurde dann in die Elegie hineingenommen. Was wiederum zu einer Umdeutung des Pygmalion-Mythos führte, den Merimées Novelle variiert.
Imgrunde müßte ich noch einen Weg >>>> dahin finden.

Hab jetzt etwa zwei Stunden für die Morgenarbeit, dann pack ich für Berlin und brech für den 9.08er ICE auf, bin aber ja morgen schon wieder zurück; schon, weil abends in der Concordia vor den sich alljährlich hier treffenden rreffenden Bamberger Rotariern vorgelesen werden soll. Was uns (nämlich auch >>>> Marion Poschmann, die mitliest) etwas Handgeld, mir aber zudem die Gelegenheit gibt, ein oder zwei Elegien ‚auszuprobieren‘.
>>>> Dielmann schweigt immer noch. Dabei hätt ich gerade für die Rotarier gerne >>>> die Vorzugsausgabe paratgehabt.

Guten Morgen, Leser.

Übrigens erzählte >>>> Zschorsch gestern abend, man habe meinen, bzw. Poschmans möglichen Nachfolger hier in der Villa Concordia an >>>> Rainald Goetz gedacht; das hätte, dachte ich sofort, einen gewissen inneren Witz gehabt. Er soll aber abgelehnt haben.

7.40 Uhr:
Ein Schwan ist angekommen. Gestern nachmittag schon flog er mit weiten Schwingen tief über der Regnitz an Garten und Schlößchen vorbei. Jetzt schwimmt er vor meinem Blick und verheißt was.

9.10 Uhr:
[ICE Bamberg-Berlin.]
So, im Zug. Den heftig schweren Rucksack abgewuchtet, den Laptop aufgebaut. Zigarrchen da, Zigaretten da, der obligate Liter Milch da. Und weiter mit der ÜA der Dritten, die wundervoll läuft.

Ach, Romy Schneider! Kaddisch der Schönheit. Ach, wie alleine
models sind, in die solche Schönheit hineintrat! Zerschlagt mir
dieses Gefäß – doch wer wagt das und nimmt es auf? Er
nähm‘s nicht mit i h r auf, das spürt er genau; er nähm‘s, selbst so sterblich,
mit einem Ewigen auf, das s i e gar nicht ist. Da scheut er.
(Sie scheuen alle.) K a m p f, Amphitrite, ist Dein Brautbett.

11.05 Uhr:
[ICE Bamberg-Berlin. Halt in Naumburg.]
Die ÜA der Dritten Elegie zur ZF soeben abgeschlossen. Aber ich geh nicht gleich an die Vierte weiter, sondern lese abermals, dämmre etwas, lese neu – um einfach zu schmecken, wo da noch überwürzt ist, wo vielleicht eine Prosaphrasierung dem Hexameter guttut; es gibt auch immer noch einzelne Wörter, für die ich Varianten finden möchte. Was jetzt, finde ich, geschmeidig läuft, das ist, daß nahezu alle Partizipialkonstruktionen verschwunden sind, zu denen einen das antike Versmaß immer wieder so verführt.
Vielleicht hol ich nun auch den Mittagsschlaf vor.

13.52 Uhr:
[Berlin, Arbeitswohnung. Gluck, Iphigénie en Tauride.]Wieder da, wohin ich gehör. Den Rucksack erstmal abgehalftert, dann Musik angestellt, um mich daheim willkommen zu halten (dieser Klang!). Auf dem Weg hab ich für das Treffen mit Kühlmann abends eine Flasche Weißwein besorgt und für mich jetzt, schimpfen Sie nicht, Erbsensuppe in der Dose: darauf hatte ich plötzlich einen mächtigen Appetit. Die werd ich jetzt also futtern, dann den Rucksack leeren, die Bücher schon mal weitgehend einordnen, danach in die Väter-WG fahren, um nach Internetpost zu schauen und dies hier einzustellen.
Die Dritte Elegie ist tatsächlich fertig, und es war auch noch Feines dran zu richten; also schlief ich nicht. Der Nachmittag wird Kindertag werden. So, ich dreh mal die Musik n o c h lauter. Juben soll sie! (Außerdem hat sich Dielmann endlich gemeldet, der wirklich s c h w e r krank gewesen sein muß und Entwarnung auf der ganzen Linie gab. Wenn >>>> Ihre Bestellungen noch nicht ausgeführt wurden, dann bitte Nachsicht üben.)

17.42 Uhr:
[Wieder Arbeitswohnung. Britten, Nocturne op. 60.]
Bin noch mal für eine halbe Stunde, während der mein Junge in der Musikschule ist, hierher gefahren, aber weniger um zu arbeiten, als um diese herrliche Musik anzuhören. Allerdings werde ich nun doch schon mal in die Vierte schauen, aber eher meditativ, aufnehmend, da sich rhythmisches Arbeiten nicht mit Musikhören verträgt. Oder ich schließe einfach nur etwas die Augen.
Dann geht‘s zur Familie, dann für Viertel vor acht abermals hierher, um Wilhelm Kühlmann zu empfangen. Hab Lust, ihm die fertiggewordene Dritte vorzulesen; seine Meinung ist mir enorm wichtig, da er Altphilologe und also extrem genau ist, ein Puler geradezu. Er hat seinerzeit einiges für meinen >>>> WOLPERTINGER getan; den ANDERSWELT-Weg allerdings ging er n i c h t mehr mit, war fasziniert, aber blieb bis heute skeptisch.
Seltsames, schönes Gefühl, wieder hierzusitzen und das Eigene wieder eigen zu machen. Ich habe den alten warmen Hausmantel angezogen, den Do mir vor Jahren, fast Jahrzehnten geschenkt hat, und schaue, während ich aufs „Ding… Ding… Ding…“ Peters Pears‘ höre, behutsam um mich. (Und sehen Sie: so willkommen bin ich, daß sich hier sogar ein freier Hotspot geöffnet hat. Selbst das Netz begrüßt mich daheim.)

Ist aber elend zäh und funktioniert vielleicht d o c h nicht…

0.33 Uhr:
[Berlin, Küchentisch.]
Er hat mir erst einmal alles, rhythmisch, zerpflückt. In der Sache selbst war er begeistert. „Aber schreiben Sie bitte nicht: reine Hexameter. Das stimmt nämlich nicht.“ Also schloß sich ein Schnellkurs in Verslehre an. „Aber Sie m ü s s e n das nicht so streng handhaben.“ „Doch, m u ß ich.“ Und werd also nochmal drübergehen für eine Dritte Fassung. Hab viel gelernt heute abend. Wieso gab mir vorher nie jemand diese Ausbildung?
Nacht, Leser.

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