Bin gestanden, Frau

Morgens am Grab Deines Trakls
Ach, wie dann am Abend es mich
Beschämt

(es war sehr viel Schnee
massiv
schaute die Bergwand herunter)

Keinen
Stein ihm dagelassen zu haben
Von Dir auf seinen Namen gelegt

(nie anders empfinden die Toten
den Kuß:
jeder kleinen Last zittern ihre Lippen entgegen)

– so vergessen hatte ich Dich
Als hätte e r, unfaßbar, nicht Deiner
Gedacht

Derart tot ist Dein Trakl gewesen.

[Dem nahsten Orient. 4.]



Nachtrag, 16.1.:
Bin unzufrieden mit der letzten Zeile. Irgend etwas stimmt an ihr noch nicht. Laß ich sie aber weg, was ginge, dann fehlt etwas, sowohl rhythmisch wie im Aufbau. Außerdem ist dann ein göttliches “Er” mitgedacht, das gerade n i c h t gemeint sein soll. Schreibe ich aber, was eine schöne Formklammer zum Titel wäre und außerdem paßte, statt “Dein Trakl” “Dein Mann”, wird das Gedicht privatistisch. Hm.

16 thoughts on “Bin gestanden, Frau

  1. unvergessen ach,
    als dein mund
    so kirschrot und kalt
    die lippen mein gesucht und nicht
    gefunden,
    da hielt ich deine hand und
    herzschlagweit lag das tote land
    zu unsren füßen
    ach,
    wie blau sind heut die schatten
    und schwer die lider
    nach süßem weine

    (frei nach eichendorff)

  2. Je m’arrêtai, ma dame Je m’arrêtai, ma dame

    à l’aube devant la tombe de ton Trakl
    Ah, comme ensuite au crépuscule j’ai
    honte

    (il y avait des masses de neige
    énorme
    la paroi nous toisait)

    De ne lui
    avoir déposé aucune pierre
    De ta part sur son nom

    (c’est ainsi que les morts éprouvent
    le baiser
    ils tendent leurs lèvres tremblantes vers la moindre pression)

    – je T’avais tellement oubliée
    Comme si l u i , inconcevable, T’avait chassée
    De sa mémoire

    Voilà comment fut la mort de ton Trakl

  3. Dieses Trakl memorierende Gedicht hat – mit Verlaub – mehrere kleine “Schwächen”, wenn man das so nennen kann.
    Zum einen sollten Sie sich für einen einheitlichen Satzbeginn bezüglich der Groß- und Kleinschreibung entscheiden. In der vorliegenden Form erzeugt das nur unnötige “Bremsen” und Stockungen im Lesefluss (wirkt bsp.weise fast ein wenig komisch in der vorletzten Zeile: Gedacht). Ich persönlich fände es schöner, wenn Sie einfach den Gegebenheiten der Interpunktion und Grammatik folgen würden (bzw. die Sätze mit Interpunktion ausstatten). In diesem Fall gewinnt der Fluss in den Zeilen (denn Brüche sind mit Vorsicht zu genießen und sollten gezielt eingesetzt werden).

    Zum letzten Satz: Warum nicht > Derart tot ist er gewesen. Impliziert Trakl und den Mann.

    Weiter – wenn schon von “privatistisch” die Rede ist: Dein, Dir, Du im Gedicht klein, denn auch so umgeht man in der Regel diese Verengung, denn diese Du-Bezogenheit nimmt dem Gedicht die Weite. Sie können ja auch jederzeit eine Widmung beifügen und wenn ich das richtig verstanden habe, ist ja der ganze Zyklus einem Du gewidmet, das dann namentlich genannt werden könnte. Aber in den Gedichten selbst würde ich das vermeiden, die persönliche Hinwendung.

    Schön das Bild mit dem Stein zum Kuss.

    Und jetzt ganz ganz persönliche Hinweise: “Ach”, “unfaßbar” würde ich herausnehmen. Je schlichter, ja, “stiller” die Sätze, umso mehr wirken die Bilder. Darauf können Sie ruhig vertrauen.

    *

    Abendgrüße

    m.

    1. Und noch dieses: “Frau” im Titel, das … wirkt… so… hm. Imperativisch?

      Hoffentlich komme ich nicht wie ein Oberstudienrat daher. Verstehen Sie das bitte als Anmerkungen. Ich bin generell der Meinung, dass Überarbeitungen von (und Veränderungen an) Gedichten eine sehr persönliche Sache sind, nochmal ganz anders als bei der Prosa, da schon kleinste Änderungen – ich glaube, ich sprach schon davon – die gesamte Statik, den Rhythmus etc. des Gedichts verändern (können).

  4. “privatistisch” …find ich grade schön, weil dadurch impliziert wird, das noch jemand Drittes (privates eben) im Spiel ist: eine Freundin, eine Geliebte, ein Freund, etc. und gerade das regt die Fantasie an, es zu interpretieren, sich hineinzuversetzen, sich vielleicht auch als Freund(in) angesprochen zu fühlen…

    1. Aber das Private ist ja sowieso gegeben, durch das lyrische Ich, den Schreibenden. Literatur entsteht aus dem Privaten und ihre “Qualität” (welch ungutes Wort), ihre Nachdrücklichkeit erreicht sie eben durch das Herausheben aus der Privatheit. Was nicht heißt, dass sie jemandem zugeeignet werden kann. Werke von unbestreitbarem literarischen Rang zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie sich eben nicht unter einem Glassturz heimeliger Zweisamkeit befinden.

      Findet

      m.

    2. relativ…. …ist dann das aber schon. Das kann man eben so oder so sehen. Was manchem schon zu privat (heimelig) ist, ist mancher gerade recht. Und einige von der Literaturgeschichte gern genannter Dichter (gerade neueren Datums) zeichnen sich dadurch aus, dass sie total unpersönlich, aber schön geschwurbelt daher kommen….ANH ist da nicht gemeint, um richtig verstanden zu werden

    3. Jetzt werfen Sie aber Äpfel und Birnen durcheinander. Natürlich, relativ ist alles, der Regenbogen ist bunt und das Wasser blau. Nein, im Ernst: eingebunden in seinen jeweiligen Bezugsrahmen, in der Referenz auf schon Vorangegangenes und im literarhistorischen Kontext lassen sich schon Relationen herausschälen.

      In diesem Sinne

      m.

  5. Das ist eine gute, sehr hilfreiche Diskussion. Ich danke Ihnen dafür. Zu I h r e m Einwand, lieber Mandragul, mit dem “Du”… das ist, glaube ich, klar gesehen. Der Einwand wegen der nicht-durchgängigen Behandlung der Satzanfänge geht aber fehl: da der Fremdkörper der Klammern diese Behandlung will). Ich selber habe nach wie vor das Problem mit dem letzten Satz.
    (Aus Frankreich höre ich wiederum anderes; Prunier will, daß der Text so b l e i b t – er hat ganz andere Argumente. Weil ich hoffe, daß er heute hier noch kommentiert, stell ich sie – aus der Email herübernehmend – jetzt nicht ein. Unterm Strich ist ohnedies zu sagen: entscheiden muß man selbst. Sonst kommt es zu einem “Fall Bruckner”: der Komponist hat lebenslang auf fast jeden Einwand gehört, was nun zu einer großen Zahl von Sinfonie-Varianten geführt hat, die ziemlich durcheinandrig ist. Eine großartige “Bereinigung” hat zuletzt Harnoncourt durchgeführt, mit der Aufführung der Fragment gebliebenen Neunten.)

    1. Hier stimme ich Ihnen dennoch nicht zu: der “Fremdkörper” der Klammern benötigt ja gerade einen gewissen Ausgleich im übrigen Textkörper. So entsteht Irritation gleich am Anfang: nach der ersten Zeile fehlt der Punkt, es geht “groß” weiter, in der dritten Zeile wieder, dann die Klammern. Da springt hinter dem Gedicht ein Kobold hin und her und wedelt mit einem roten Tuch: “Denk nicht an die Groß- und Kleinschreibung! Denk nicht an die Groß- und Kleinschreibung!” – und schon lese ich gar nicht mehr richtig weiter, weil mich dieser Störenfried nervt und ich kehre wieder in den ersten Teil zurück: nochmal von vorne.
      Na gut, ich übertreibe vielleicht. Aber ähnlich läuft das schon ab. Wie wenn jemand zu Ihnen sagt: “Denken Sie nicht daran, in eine Zitrone zu beißen!” Ob Sie wollen oder nicht: es erzeugt Speichelfluss (ein einzelner Mann könnte damit ein ganzes Bläserorchester bei laufendem Konzert aus dem Konzept bringen, wenn er sich vor die Musiker stellte und in eine Zitrone bisse, jedenfalls sagte mir das einmal mein Musiklehrer in der Schule, ich musste damals herzlich lachen bei dem Gedanken).

      Aber das nur am Rande und mit einem Augenzwinkern in Richtung Bruckner.

  6. Du Mandragul ist ohne Zweifel ein sehr guter Kritiker.
    Er hat wohl recht mit dem grossen Buchstaben: Du… aber ich denke trotzdem anders.
    Der grosse Buchstabe deutet auf etwas Persönliches… und je intimer, desto besser.
    Die Wahrheit liegt nicht im allgemeinen; der Leser sieht tief ins Innere des Dichters, und dann ändert er seinen eigenen Blick. Die Bewegung vom Dichter zum Leser, soll nicht neutralisiert werden. Sie behaupten sich als Person, mit einer Schwierigkeit, die Sie überwinden sollen, und der Leser ist fasziniert, weil er mit seinen sofort einen Vergleich anstellt.
    Je tiefer man gräbt, desto höher wird der Wasserstrahl in den Himmel steigen … sagt ungefähr Proust. Er vergleicht diese Bewegung mit einem Geysir.
    Ich habe ausserdem meine Übersetzung völlig verändert.
    Den gesuchten Rhythmus habe ich signalisiert. Dann haben Sie zwei Fassungen: eine mit dem Rhythmus und eine provisorisch endgültige…

    1. “Die Wahrheit liegt nicht im Allgemeinen”.

      Der Satz ist bedenkenswert. In seiner Umkehrung allerdings lässt er die Folgerung zu:
      “… aber auch nicht im Besonderen“. Es gibt viele Wahrheiten. Das macht für mich die Faszination der Kleinschreibung aus, jedenfalls bezogen auf das “Du”. Ohne damit Beliebigkeit oder Allgemeingültigkeit implizieren zu wollen. Es liegt darin sowohl die Großzügigkeit einer Geste, als auch zutiefst Intimes.

      Aber wie sagte schon der große Arno Schmidt ganz treffend:

      Die Welt ist groß genug, daß wir beide darin Unrecht haben können.

      (…windet sich elegant aus den Verschlingungen der Diskussion mit schönen Grüßen)

      m.

  7. eine provisorisch endgültige Übersetzung Je fis halte, ma dame

    Le matin à la tombe de Ton Trakl
    Ah, comme ensuite vers le soir
    J’ai honte

    (il y avait tant de neige
    écrasante
    la paroi nous toisait)

    De ne pas
    lui avoir déposé quelque pierre
    De Ta part sur son nom

    (c’est ainsi que les morts s’approprient
    le baiser
    léger lest vers leurs lèvres tremblantes)

    – je T’avais à ce point oubliée
    Comme si l u i, inouï, T’écartait
    De son monde

    Voilà telle fut la mort de ton Trakl

  8. Gedicht mit Zahl der Silben Je fis halte, ma dame

    Le matin/ à la tombe/ de Ton Trakl (3×3)
    Ah, comme ensuite/ vers le soir (Ah+3×3)
    j’ai honte (1×2)

    (il y avait /tant de neige (2×3)
    écrasante (1×3)
    la paroi /nous toisait) (2×3)

    De ne pas (1×3)
    Lui avoir /déposé /quelque pierre (3×3)
    De ta part / sur son nom (2×3)

    (c’est ainsi /que les morts / s’approprient (3×3)
    le baiser (1×3)
    léger lest /vers leur lè/vres tremblantes) (3×3)

    – je T’avais /à ce point/ oubliée (3×3)
    Comme si l u i, /inouï,/ T’écartait (3×3)
    De son monde (1×3)

    Voilà telle /fut la mort / de ton Trakl (3×3)

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .