Briefe nach Triest, 30: Überlegungen 3.

 

Der Briefautor >>>> hat recht: Unterbrechungen stören den Fluß. Kommt dann noch etwas anderes hinzu, eine Kleinigkeit nur, über die ich mich ärgere oder die mir Sorgen bereitet, ist es irre anstrengend, den intensiven Ton wiederzufinden. Allerdings zeigt die Erfahrung, daß besondere Anstrengungen zu besonderen Bildeinfällen führen – als wären sie nötig, um in den Fluß wieder einzusteigen.
Innert der Blog-Veröffentlichung ist das an sich nicht problematisch, da die Triestbriefe zugleich Der Dschungel als neue Arbeitsjournale dienen; deshalb die Erwähnungen der Verlagskorrespondenz bezüglich >>>> Traumschiff und Lektorin, ebenso des Hörstücks. Für das Buch ist all sowas entbehrlich, wenn nicht sogar störend. Darauf wird sich die Überarbeitung zur Ersten Fassung fokussieren, bei der ohnedies gekürzt werden muß. Ein erster Überschlag ergab, daß ich bereits jetzt bei über 300 Buchseiten bin, was mir entschieden zu viel vorkommt – vor allem, weil ich erzählerisch manche Szene noch ausbauen, sagen wir plastischer gestalten will: sinnlicher. Außerdem werden einige Texte in den Buchtext mit hineingenommen werden müsse, auch sie freilich bearbeitet, auf die im Netz ein Link reicht. Dabei bin ich gerade bei zwei Dritteln der neununddreißig Briefe angelangt.
Nun werden es der Unterbrechungen aber in nächster Zeit mehrere werden. Morgen kommt meine Wiener Sprecherin an, abends werden sie, ein weiterer Sprecher mit sehr kurzen Passagen, sowie Chohan und ich im ARD Hauptstadtstudio aufgenommen werden, von 18 bis 22 Uhr; danach muß ich bereits mit der Schneidearbeit beginnen, also dieser Tonfiles, wenn ich denn zwischen den Jahren produzieren will. Meinen „angedachten“ Italienaufenthalt habe ich innerlich gecancelt; sehr wahrscheinlich werde ich auch in der Silversternacht an dem Kreuzfahrt-Hörstück arbeiten, will aber zu Silvester-selbst unbedingt einen Triestbrief schreiben. Insofern wird es wieder einmal sinnvoll weden, die Tage zu halbieren: morgens Triest, ab mittags bis in die Nacht das Hörstück; ganz sicher aber werde ich nicht jeden Tag einen neuen Brief schaffen, möglicherweise, wie schon die letzten beiden Male, Briefe über einzwei, vielleicht sogar mehrere Tage schreiben, bevor ich sie einstellen kann. Die „Normal“arbeit wird erst wieder beginnen können, wenn ich das Hörstück abgegeben haben werde. – Überdies stehen, mit der quasiFamilie, die Weihnachtstage an.
Weiters habe ich überlegt, ob ich die Triestbriefe schon jetzt, parallel zu ihrem Entstehen, überarbeiten soll, im Rohling also. Ein erster Versuch ging, ich schrieb es Ihnen, glaube ich, schon, erstaunlich einfach von der Hand. Dennoch habe ich die Idee verworfen. Ein solches Verfahren nähme zu den jetzt anstehenden Unterbrechungen hinzu Emotion aus der Arbeit. Diese aber ist ein Eisen, das heiß geschmiedet werden muß; einzig, es zu schärfen, erlaubt – und verlangt sogar – kalkulierende Kälte, insbesondere dort, wo simultan mehrere, aber einander ausschließende Geschichtsversionen erzählt werden, die magischen, mythischen wie „realistischen“, und ihr Ineinanderübergehen, dem die Spiegelfiguren der Personen entsprechen. Ich möchte einen Schwebezustand erreichen, der aber stets in die Trennungsarbeit des Briefautors geerdet bleibt, den ich auch im Buch weiterhin eng an mir selbst entwerfen will, Und nach wie vor habe ich ein Happyend im Auge, jedenfalls als eine der verschiedenen Möglichkeiten, die solch eine Verfallenheit hat, Mit ihm soll das Buch schließen. Ich weiß sogar schon den letzten Satz, werde ihn aber noch nicht verraten, nur so viel, daß er sich völlig organisch aus einigen der längst durchgespielten Motive ergibt.
Idee: Jede der in Verlassenen aufsteigenden, sei es die wahnhaften, sei es die faktischen Umständen entsprechenden Vorstellungen zum Kern einer neuen Geschichtsversion machen, sie also poetisch ernst nehmen und eben nicht verwerfen, wie man es normalerweise täte und tun sogar müßte. Sondern sie „wirklich“ durchleben, so sehr es einen immer auch quält: genau aus der Qual wird die poetische Intensität destilliert. (Daß all dies einiges von einem Selbstexperiment hat, liegt auf der Hand. Es ist nicht unspannend zu beobachten, wann und ob überhaupt es zu auch körperlichen Reaktionen kommt, oder ob gerade die poetische Arbeit davor schützt. Zu denken etwa an meine in den letzten Wochen aufällig häufigen Fluchtschlaf-Anfälle. Mich erinnert diese Arbeit insgesamt an die Zeit meiner Psychoanalyse, nur daß Übertragung und Gegenübertragung keine Prozesse zwischen zwei Subjekten, sondern der inneren Instanzen selbst sind, deren eine sich als Text objektiviert.)Einiges ist noch offen – etwa, wovon Lenz in seinem Grenzhäuschen eigentlich lebt; Geldmittel stehen ihm ja nicht mehr zur Verfügung. In diesen realistischen Aspekten mochte und mag ich nie schummeln, es mir auch nicht zu einfach machen („Erbschaft“ usw.); noch weiß ich keine Lösung. Außerdem muß ich aufpassen, gerade nach der gestrigen Schlußszene, Lenz nicht zu einem zweiten >>>> Fichte zu machen. Das ist er nicht und wird er nicht und soll er nicht werden. In den Briefen ist Meere ohnedies schon fast zu präsent. Auch da ist später bestimmt der Rotstift anzusetzen. – Außerdem erzählt werden muß unbedingt noch der Lydierin erster Besuch bei Lenz in Zürich, also in der Zeit, in der er seine Ehe noch aufrechterhielt, vielleicht auch sein Ausweichmanöver, als seine Frau ihn nach dem Verbleib des Eherings fragt. Ich meine, sie ist ja nicht blöd. Und ausgesprochen reizvoll wäre eine Begegnung der beiden Frauen. Auch die ließe sich – in einer möglichen Version – ins Mythische drehen: Sie treffen sich zu dritt in einem Café, bzw. würde es mir einigen Spaß bereiten, das Restaurant „Zum Roten Keuz“ zu nehmen, in dem sich seinerzeit James Joyce und Carl Gustav Jung getroffen haben, während Wolf-Ferrari am Klavier spielte; nur weiß ich nicht, ob es diese Gaststätte überhaupt (noch) gibt oder ob sie schlichtweg eine Erfindung >>>> Anthony Burgess‘ war… das „Schwesternhaus Zum Roten Kreuz“ spricht sehr dafür. Gut, dann wäre der Witz um so hübscher. Jedenfalls bindet sich auf der „Anspielungsebene“ der Zürcher Joyce nett in den Triester zurück, was, um an den >>>> Giacomo Joyce zu denken, der gesamten Brieferzählung einen zusätzlichen, nur für Kenner freilich, Boden einzieht. Also bei diesem Dreiertreffen könnte es passieren, daß Lenz, sofern er den Mumm hat, seiner Frau die Lydierin vorstellt; dumm ist nur, daß sie sie nicht sehen kann. Zum Beispiel.
Des weiteren will ich das Wiebke-/Gerald-Motiv noch stärken; die beiden brauchen entschieden mehr Kontur, vor allem die junge Frau, auf die es mir eigentlich ankommt. Wobei mir grad einfällt und ich es hier mir selbst zur Erinnerung festhalte, daß mir in einem der Briefe noch ein viertes Paar vorschwebte, von dem ich bis jetzt noch gar keine Ahnung habe.
Mal sehen.

ANH, Berlin.
19. Dezember 2014.

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