Domestizierung durch Familie ODER Alles wird der Schönheit verziehen. Richard Strauss’ „Die Agyptische Helena“ in der Inszenierung Marco Arturo Marellis an der Deutschen Oper Berlin.

Wüßte man nicht, wie domestiziert Richard Strauss durch seine resolute, geschäftspfiffige Frau gewesen ist (und wie gern offenbar er sich hat domestieren lassen), die das fraglose Genie ihres Mannes hochgeschickt mit gut geregelter Einkunft auszubalanzieren wußte, man wäre vielleicht geneigt, einigen Schmock zu überhören, den gerade diese Oper musikalisch ich möchte geradezu sagen: ideologisiert; doch man spürt so sehr die Pantoffeln, unter denen zumal der älter gewordene Komponist nicht zuletzt deshalb stand, weil sie ihm die Füße wärmten – – : eine gewisse Neigung zur auch ästhetischen Bequemlichkeit und Süße, die spätestens mit dem Rosenkavalier alle Lust an der Perversion verloren zu haben scheint, jedenfalls sich an die Kette nicht nur gelegt hat, sondern sich in sie hineinschmiegt, wäre vielleicht zu überhören oder gutwillig als ironisches Beiwerk auszulegen. S o wird, mit Gänsechören und sonstiger Operettennettigkeit, eine Heile Familie gefeiert, deren Haus auf allzuvielen Gräbern steht. Es sind auch musikalische Gräber; musikgeschichtlich gesehen, werden sie wenige Jahre nach dem Uraufführungsjahr 1928 zu politischen Gräbern geworden sein. Insofern ist es nicht ganz ohne Gerechtigkeit, daß >>>> gerade dieser Oper ein dauerhafter, vor allem durchschlagender Erfolg nie beschieden gewesen ist. Das wird sich auch mit der brillanten Inszenzierung Marco Arturo Marellis nicht ändern, >>>> deren Premiere gestern abend an der Deutschen Oper Berlin gefeiert wurde. Man fragt sich freilich, w e r da feierte, und man fragt sich, w a r u m – letztlich – gefeiert wurde. Der Inszenierung wegen? Ganz sicher ja. Der Sänger wegen? Sowieso. Doch bleibt eine Skepsis, die sich nach klebrigen Fingerspitzen anfühlt. Zumal es – völlig anders als in der harmonisch nicht sehr verschiedenen Arabella, geschweige als im Rosenkavalier – eigentlich nie wirklich zu einem kathartischen Durchbruch kommt, wenn man vielleicht von dem „falschen“ So steht es geschrieben, so wird es geschehen im zweiten Aufzug absieht. Die Musik klingt vielmehr in einem harmonisch fast dauernden Ausgleich, vor allem wird ihr Schmelz niemals scharf, als träte, würde das geschehen, eine Wahrheit heraus, die gerade vermieden werden soll.
Einerseits.
Andererseits ist auch dieser Strauss von irrsinnig perfekter Faktur: was ich bemäkle, ist ja durchaus gewollt; beide Autoren, Strauss wie Hofmannsthal, schreiben es deutlich, auch wenn sie vielleicht die intendierte Leichtigkeit mit Überzuckerung verwechseln. Dabei gibt Andrew Littons Dirigat dem Orchester eine enorme Durchsichtigkeit – das klingt noch bedeutend klarer als in >>>> Joseph Krips’ Einspielung vom Dezember 1970. Zumal dirigiert er signifikant schneller, im ersten Akt sogar um fünf Minuten, ohne daß irgend ein hastiger Eindruck entstünde. Im Gegenteil. Leider aber hat Robert Chafin zwar einen schönen hellen Tenor, doch nicht die Kraft Jess Thomas’; bisweilen merkte man ihm die sangliche Anstrengung an, die seine Menelas-Partie tatsächlich auch bedeutet. Völlig makellos dagegen, auch darstellerisch, die Aithra Laura Aikins, die mir als Sophie an der Staatsoper Unter den Linden für absolut unerreicht in der Erinnerung ist (das war 1996! – nach nicht wenigen Rosenkavalieren, die ich bis dahin sah und aus der Konserve hörte; selbst Lucia Popp, >>>> bei Carlos Kleiber!!, reicht da nicht heran). Kraftvoll, wenn auch für „die schönste Frau der Welt“ ein wenig zu vollschlank in Stimme und Figur, Ricarda Merbeths Helena – enorm präsent, wenn sie Autorität zeigt, die sich bei Helena doch aus nichts anderem als eben ihrer Schönheit speist, dem ewigen und bleibenden Topos aller Kunst, an dem gerade sie – anders als fast alle realen ewigen Schönheiten nach ihr – n i c h t zugrundeging; in dem Moment aber, da Helena ihre Mutterschaft wieder annimmt, wird auch die Merbeth vollkommen, nämlich zur >>>> Marschallin. Allerdings steckt genau hier eines d e r Probleme dieses Stücks: was ist denn während der zehnjährigen Zeit der helenaschen Vögeleien mit ihrer Tochter gewesen? Hofmannsthal drückt sich herum, denn es geht eben n i c h t um Bachofens Satz, auf den er sich bezieht – Helena sei nicht d a z u mit den Reizen Pandoras (!) ausgestattet, damit sie nur e i n e m zu ausschließlichem Besitz sich hingebe -, es geht hier n i c h t um ein treuemoralisches Problem, das lediglich eines des verletzten männlichen Narzißmus’ wäre, sondern um >>>> die Traumatisierung eines Kindes – und also nicht um den Menelas, sondern um den der gemeinsamen Tochter zugefügten dauernden Schmerz. Menelas konnte, indem er mordete, „sublimieren“, das Mädchen aber nicht. Noch nicht, mag ich hinzufügen und damit eine vielleicht tragende Brücke zur strauss`schen Salome zurückschlagen, in der man eine Antwort finden könnte. Marelli hat das Problem, denke ich, gespürt: selten ist eine Fürstentochter derart eingeschüchtert auf die Bühne hinaufinszeniert worden wie hier das traumatisierte Kind der Helena und des Menelaos. Es schnürte einem rundweg das Herz ab, das arme Wesen anzuschauen, und es p a ß t e, wie ihm sein Singen brach. Hinzu kommt, daß Martelli sehr deutlich macht, wie sehr die Wiedervereinigung mit Helena letztlich nur gelingt, weil Manelas den Vater in sich nicht aus dem Herzen bekommt. Doch eben hieraus nimmt auch die Ungetreue ihre erneuerte Macht: zudem läuft ihr ja, und ihrer Schönheit, schon die Zeit davon; also ist es auch pragmatisch klug, sich neu zu definieren.

Marelli hat die Oper ausgesprochen vorsichtig „modernisiert“, ihre Handlung nämlich aus der Antike in die ägyptische Kolonialwelt nach 1914 verlegt. Ägypten war bis 1922 britisches Protektorat und stand noch bis 1936 unter britischer Kontrolle: aus Hofmannsthal/strauss’scher Sicht hat er also ein Gegenwartstück aus der Oper gemacht. Das entspricht rundweg Hofmannsthals psychologischen Intentionen und schlägt außerdem zu >>>> Götz-Friedrichs nach wie vor stehender Rosenkavalier-Inszenierung einen hausinternen Bogen. Die Intarsien der Zauberwelt Aithras und des erzauberten Jenseitsortes für die Liebenden spielen wiederum auf surreale Bildwelten an, also der nahezu selben Zeit; hübscherweise lassen sie einen zugleich an >>>> Bomarzo denken. Mit solcherart Zitaten, zu denen auch eine der Zeit gemäße >>>> Lust an Arabesken gehört, geht Marelli ganz aus dem Handgelenk um, und wenn man von zweidrei etwas albernen Pistolenszenen absieht, führt er die Personen liebevoll und genau bis in den justen Moment, da die aus den Pumps geschlüpfte Zauberin ein wenig erschöpft, doch des Erfolges voll, sie zu Boden fallen läßt, als hätte sie die Nacht lang durchgetanzt, und ihre Füße täten weh. Es sind dies durchaus inszenatorische Höhepunkte eines „Konversations“stücks, das harmonisierend über den Leichen Zehntausender schwebt. Entschieden für Marelli spricht des weiteren, daß er all dies durchaus in den Blick nimmt; imgrunde reißt diese Inszenierung immer wieder Neues an, das in vielen weiteren Inszenierungen herausgearbeitet werden könnte. Vielleicht wird es eines Tages dann d o c h eine Aufführung geben, in der auch das musikalische Zuckerwerk nicht mehr stört, weil es dann öffnet, statt die Wahrheit zu verleimen: es wird zu G i f t werden und deshalb dann vielleicht nicht mehr ganz so rasend bejubelt werden – aber sich eine Wirkung entfalten, von der wir jetzt nur eine Ahnung haben. Bis dahin bleibt sie hinter den blauen Vorhängen verborgen, die in dieser Inszenierung wehen – lockend wie Helenas Atem.

[Nächste Vorstellungen:
18. | 22. | 30. Januar 2009
03. | 14. Februar 2009.

>>>> Karten.]

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