Nüchterne Elends-Ideologie. Maerzmusik Berlin 2010 (6). Beat Furrers Wüstenbuch in der Inszenierung Christoph Marthalers an der Schaubühne am Lehniner Platz.

Des Schweizer Komponisten >>>> Beat Furrers Musik ist hoch abstrakt, zugleich expressiv wie komplex, dabei nicht ohne Geste, wobei das illustrative, besser: handlungsunterstreichende Moment, das jede Oper braucht, meist durch Wiederholungen zustandekommt, für die wieder Expressivität kennzeichnend ist: sie kennt den Aufschrei zwar, einen hier durchweg schmerzhaften, aber indem dieser Aufschrei ins Material und die seriell wirkende Struktur streng zurückgenommen ist, erreicht er das Gefühl des Zuschauers so wenig, wie sich das Gefühl von Autisten überträgt. Ihre Depression weist ab, sie nimmt zugestreckte Hände nicht wahr, ja erwehrt sich ihrer. Man kann Depressionen als ein Geschöpf begreifen, das, radikal wie die Sucht, eigene Interessen, nämlich solche der Selbstverletzung, verfolgt. Dem kommt Furrers Musik zumal dann entgegen, wenn Christoph Marthaler imgrunde nur immer und immer wieder Ödnis inszeniert: innenmenschliche Ödnis, doch >>>> in dieser Aufführung auch die Ödnis der Räume. Wir sehen in einen nackten, zweistöckigen, rechtkubischen Bau: oben drei Hotelzimmer, bzw. Stundenklitschen mit jeweils Bett und Schrank und, verborgen, Badezimmer; unten ein durchlaufender betonkalter Ort, in dessen Mitte ein Mann am funktionsrohen Schreibtisch sitzt und Arbeiterinnen, bzw. weibliche Angestellten nach Art einer Stech(!)uhr registriert, vielleicht auch was anderes da tut: was tatsächlich, wird nicht klar. Es ist auch egal. Die Frauen spielen keine Rolle, sie kommen in Reihe, gekleidet nach den Sechziger Jahren, Referenz an Ingeborg Bachmann, deren in hochverletzter, wahrscheinlich sogar, in klinischem Sinn, hochgestörter Befindlichkeit verfaßte, Wüstenbuch genannten Aufzeichnungen der Oper zur Vorlage dienten. Sie sind Teil der >>>> Fragment gebliebenen Trilogie „Todesarten” ist. Das ist seelisch gemeint. Damit ist schon die ganze Inszenierung imgrunde erzählt.
Die Frauen nehmen verschiedene, ausweglos einsame Rollen ein, sei’s in den Hotelzimmern, die ihnen der einzig als Opernfigur durchinszenierte Mann zuweist, der das erste Wort in diesem ernüchterten und ernüchternden Musiktheater hat. Marthalers sei es Lust an der Depression, sei es in seiner ständigen Wiederholung bohrende Insistenz auf dem Elend beraubt die Musik dabei um einiges ihrer inneren Expressivität. Langeweile, auch wenn sie einen tragischen Grund hat, bzw. zeigen soll, bleibt Langeweile, ja wird eigentliche Langeweile, schon weil es so überhaupt keine Chance gibt, aus dem Elend auszubrechen, sich vielmehr dieses Elend lähmend auf die Zuschauer überträgt. Dem entspricht die Realität: Depressionen sind ansteckend, sie haben die Neigung, alles um sich her mit sich herabzuziehen: in Lähmung eben, seelische Lähmung. Doch hat sie in Marthalers Inszenierung nicht einmal die Chance, sich zu begreifen, nämlich weil Bachmanns Texte gar nicht, akustisch, zu verstehen sind. Schon der Eingangsmonolog des Mannes ist in sich hineingenuschelt. Wir erfahren also nicht – es sei denn, wir hätten vorher das Programmbuch gelesen – worum es überhaupt geht. Das ist theatralisch mißlich, hat aber Absicht. Indes >>>> Dieter Schnebel, der ja ebenfalls Bachmann-Texte vertonte, dem Hörer musikalische Wege ins Verständnis und, ja, in die Erlösung bereitet und damit auf einem liebenden Verständnis von Mensch beharrt, gibt Marthalers Inszenierung es vollständig preis. Man kann sagen, er verzichte auf jede Möglichkeit der Befreiung. So etwas ist schwer zu ertragen, weil es sich in Unglück, das nicht mehr aufbegehren kann, so selbstgefällig suhlt, daß man froh ist, nach Ende des Stücks hinaus an die Luft zu treten und atmen zu dürfen und selbst die Kühle des leichten Regens begrüßt, der fiel. So etwas kann nicht Sinn eines Theaterstücks sein, schon gar nicht der der Musik. Die Botschaft, daß es Hoffnung nicht gebe, nimmt sie den Menschen. Wer sowas begeistert beklatscht, zeigt nicht nur Abwehr, sondern läßt das Elend schick sein: gesellschafts-schick. Nicht Trauer, die heilte, sondern Ergebung ins Elend als gruppenbildendes, Gruppen stabilisierendes Ideologem wohlbetuchter Kulturlinker, die sich den seelischen Teil ihre Wohlbetuchtheit kommod entgelten. Diese Art Links-Schickeria wurde bedient.
Das ist schade um Furrers Musik, macht sie klein, beugt sie. Hört man sie nämlich ohne Szene wieder, wie jetzt ich, entfaltet sie enorme Kraft. Da wird einem klar, welche Bilder zu ihr möglich gewesen wären. Marthalers Szene aber verdoppelt das Elend und zwingt die Musik, ihr Geheimnis zu verleugnen, das doch in ihr vibriert. So gesehen, verletzte Marthaler sie in derselben Weise, in der die Protagonisten der Oper und ihres bachmannschen Grundtextes verletzt worden sind. Nur einmal während der Aufführung wurde ihr utopisches Moment laut, nämlich in dem grandiosen Dialog Sopran-Kontrabaß, der durch die durchaus nicht schönende Schönheit des Vortrags eine Spannung aufbaute, die das schließliche, währende Unglück transzendiert und damit ermöglicht, daß man hinauskommt. Es überwindet.
Dies will Marthaler nicht. Er will, scheint es mir, die Perversion vermeiden, die im Lustgewinn durch Elend liegt. Doch gerade sie ist die Grundbedingung von Theater: Katharsis. Sie ist aber auch die Grundbedingung von Musik, nur daß wir es ihr, ihrer semantischen Unbestimmheit wegen, nicht immer anmerken. Jedenfalls kann das „letzte Ziel” von Musik so wenig wie das von Menschheit das hilflose Verstummen sein, auf das hin nur noch der Selbstmord übrigbleibt, wenn man die Würde wahren will – und zwar auch und gerade dann nicht, wenn das Sujet der Kunst Verletzung und Verletztheit immer s i n d. Kunst muß Verletzung und Verletztheit verwandeln, umwandeln. Selbst >>>> der Gesang der Klageweiber dient(e) der Erneuerung von Lebenskraft. Marthalers Inszenierung gefällt sich darin, deren Verlust für statisch zu erklären. Damit gibt er Bachmanns Texten künstlerisch nicht etwas hinzu, sondern benutzt sie, indem er ihrer Depression, dem selbstzerstörerischen Willen ihres klinischen Ichs, auf den alles Leben verneinenden Leim geht.
Mir wurde das besonders klar, weil ich mit meinem zehnjährigen Jungen die Aufführung besuchte. Es waren für ihn nicht nur deshalb anderthalb lähmende Stunden, weil er den Text nicht verstand – den verstanden auch wir Erwachsene nicht; mehr noch als >>>> bei Sciarrino wäre es nötig gewesen, ihn als Übertitel einzuprojezieren; daß das aber nicht geschah, war nicht Arroganz, nein, es war von der negativen Intention des Regisseurs verschuldet -. Sondern, auf meinen Jungen zurück, weil ich mich fragte: Was wird dem Kind da angetan? Welch eine Art von Trauma will das Stück übertragen, und warum? Anstelle daß ihm ein Anlaß gegeben würde, ein Glaube, sein Leben in die Hand zu nehmen und mitzubestimmen. Bei Beckett, sicher auch kein angemessenes Erlebnis für Kinder, ist da immerhin die absurd genannte, höchst bizarre Komik, mit der der Mensch – ecco: – sich wehrt, und zwar selbst da noch wehrt, wo er faktisch wehrlos ist. Genau daraus bezieht auch der jüdische Witz seine Kraft und flößt sie, kräftigend, in jene, die diesen Witz erschufen. Bei Marthaler gibt es davon nichts – – doch, einmal: als der Mann sagt „Morgen kommt Imgeborg, hoffentlich kann ich trotzdem arbeiten”, Betonung auf „arbeiten”. Da lachte das Publikum auf, das ansonsten rein zum Komplizen der Depression gemacht wurde; nicht einmal ihr Grund wurde begreiflich und also kein Weg wenigstens angedeutet, aus ihr herauszukommen. Für Ingeborg Bachmann war er die brutale Männergesellschaft. Ob diese Analyse, die eher eine Behauptung aus erlittener Erfahrung ist, letzten Endes stimmt, sei dabei dahingestellt. Immerhin ist sie eine Grundlage, die uns Probleme angehen und vielleicht auch, eines Tages, lösen läßt. Dieser Tag s c h e i n t bereits, wenn auch in der Zukunft. Wir nennen ihn Hoffnung. Auch Furrers Musik, in aller Dunkelheit des „Wüstenbuch”s, kennt sie. Marthaler aber setzte den Ballen seines regietheatrigen Stiefels drauf und drehte lange und ausgebig. Bis alles flach zermatscht war. Mit großem Jubel ward ihm gedankt.

Maerzmusik 2010 (5) <<<<

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