Esra Pound. Pisan Cantos. Übersetzungsversuch. Canto LXXXI. Bamberger Elegien (84). ÜA der ZF, Zweites Motto.

Überliefrung aus Luft | aufgenommen zu haben, in der sie noch lebt (6)
u ngelöscht, die Flamme, dem nobelen Auge des Alters (5)
ist all eitles Tun n i c h t. (2)
Irrtum liegt immer im Nicht-Tun, (3)
immer im Kleinmut, der zagt. (3)

EP:

To have gathered from the air a live tradition (6)
or from a fine old eye the unconquered flame (5)
This is not vanity. (2)
Here error is all in the none done, (3)
all in the diffidence that faltered. (3)

ANH:

Überliefrung aus Luft | aufgenommen zu haben, in der sie noch lebt (6)
u ngelöscht, die Flamme, dem nobelen Auge des Alters (5)
ist all eitles Tun n i c h t. (2)
Irrtum liegt immer im Nicht-Tun, (3)
immer im Kleinmut, der zagt. (3)

Eva Hesse:

Zu lesen aus der Luft lebendige Überliefrung (5)
und aus dem Greisenaug die unbesiegte Flamme (5)
Dies ist nicht Eitelkeit. (2)
Der Fehler liegt im Nicht-tun (2)
Und in dem Kleinmut, der nichts wagte… (4)


1) „to have gathered“ ist sicher nicht „zu lesen“, sondern meint ein fast organisches Einatmen; „aus der Luft aufgenommen zu haben“ kommt dem zumindest näher;
2) „a live Tradition“ l e b t in der Luft noch, aus der man sie nimmt;
3) „This is not vanity“ schlägt einen biblichen Ton an, den ich mit dem etwas manierierten „all eitel“ aufnehme, weil darin dieses „Alles ist eitel“, nämlich vergeblich weltlich, mitschwingt. Diesen Aspekt unterschlägt das profane (moderne) “Eitelkeit” unterdessen im Deutschen. Zumal nimmt mein deutsches “all” das englische “all” auf.
4) „Irrtum“ liegt „error“ hier näher als „Fehler“, weil es etwas Allgemeineres, Menschlicheres meint als bloß eine falsche Handlung, zumal die ja – „none done“ – eben unterbleibt. Dieses „none-done“ müßte im Vers eigentlich s o wiedergegeben werden: „…liegt immer im Nichtgetanen“; einstweilen übernehme ich aber Hesses Wahl, und zwar, um Pounds Versmaß zu entsprechen.
5) „Kleinmut“ ist von Hesse gut getroffen; eigentlich meint „diffidence“ den Mangel an Selbstvertrauen; jedoch, im Verbund mit „none done“ u n d „zagen“ wäre es unnötig redundant, das so auszudrücken. Hesse mag das gespürt und deshalb auch „faltered“ als „nichts wagen“ nachgedichtet haben. Ich allerdings ziehe „zagen“ vor, schon wegen des biblischen Anklangs des dritten Verses.

siehe auch >>>> das.

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14 thoughts on “Esra Pound. Pisan Cantos. Übersetzungsversuch. Canto LXXXI. Bamberger Elegien (84). ÜA der ZF, Zweites Motto.

  1. Aus reinem Nichts dir lebend Tradition zu nehmen
    oder als unbesiegte Flamme aus alter Augenkraft
    ist keine Eitelkeit.
    Hier ist ganz falsch das gar nicht Tun,
    das ganze zaghaft zögerliche Zaudern.

    1. @sumuze. “zaghaft zögerliche Zaudern” – das ist nun gleich dreifach redundant.
      “das gar nicht Tun” ist häßlich. Und woher aus dem “none done” das “gar”?
      Vor allem aber: Pound schreibt “air”; das wäre auch “Flair” usw., sicher aber eben n i c h t “Nichts” – und schon gar nichts ein “reines Nichts”. Überhaupt ist dieser Ausdruck entweder ebenfalls redundant, insofern ein Nichts an sich schon “rein” sein muß, nämlich gar nichts anderes als ein Nichts sein kann, – oder aber er ist insgesamt ein Abstraktum, das Pound eben nicht meint. Seine Formulierung ist körperlich, sie atmet. So ist dann auch “lebend Tradition”, insofern sich “lebend” auf das Subjekt bezieht, das sich die Tradition nimmt, etwas anderes als “a live Tradition”, also etwas Lebendiges; “lebendig” bezieht sich aufs Objekt, die Tradition.
      Abgesehen hiervon stimmt nun das Versmaß überhaupt nirgendwo mehr; das läßt sich auch nicht durch eine, zumal allein im letzten Vers, geballte Alliterarisierung auffangen, die bei Pound ganz fehlt.

  2. – ja, dreifach ist richtig gezähl, aber: na und? Vergessen Sie über die Form doch nicht, WAS er das sagt! Der Mann trumpft auf und verkriecht sich nicht irgendwo. Und ‘diffidence that faltered’ ist eh schon redundant.
    – ‘gar nicht Tun’ ist häßlich, auch richtig, kommt aber aus ‘is ALL in the NONE DONE’
    – ‘reines Nichts’ ist nicht unbedingt redundant, hier jedoch wohl. Ist redundant denn aber immer und überall äbäh? Und: ‘air’ meint im Englischen durchaus ‘Nichts’.
    – ‘live Tradition’: da haben Sie Recht, aber es klang mir schöner, und so ganz abwegig ist es nicht.
    – Daß E.P.’s Formulierung ‘körperlich’ sei, ist Ihre Meinung, die mir aber nicht einleuchtet. Woher nehmen Sie ihre Meinung?
    – Versmaß: da haben Sie auch Recht. Aber, ohne Ihnen auf die Zunge treten zu wollen, Ihre und Frau Hesses Übersetzungen klingen meinen Ohren einfach nicht. Da ist mir das Versmaß schnurzpiepe egal. Bei E.P. gibt’s bei ‘unconquered’ und ‘none done’ je einen Stolperer, aber ansonsten braust er doch ziemlich rasant daher. Lesen Sie mal laut!

    1. @sumuze. Pound ff. Sicher lese ich ihn laut – wie denn sonst? Aber sein Daherbrausen entbindet eben nicht von der Form… schon deshalb nicht, weil es sonst genau in d i e Falle tappte, in der Sie sich bis zu den Ohren verfangen haben – nämlich im Kitsch.
      Daß meine Übersetzung in Ihren Ohren nicht klingt, kann ja auch ganz gut an Ihren Ohren liegen. Wo etwa bei “unconquered” und “none done” ein Stolperer liegen soll, ist meinen rhythmischen Ohr völlig unbegreiflich – es sei denn, ich nähme an, Ihnen seien Synkopen Stolperer – sie aber geben Pounds Text gerade die Würde und die Kraft. Ich hab versucht, das in dem quasi-Spondeus von “Luft” zu “aufgenommen” gleich nach vorn zu ziehen, damit eben das nicht verlorengeht. Und wenn Sie “air” mit “Nichts” übersetzen, vor allem in dieser kitschigen Dopplung mit “rein”, dann w i r d eben, was Pound sagt – d a ß da noch Tradition lebt -, kurzerhand durchgestrichen.
      Unterm Strich meine ich, daß Sie es sich zu einfach mit diesen Versen machen – es klingt und ist wahrscheinlich zu gut gemeint, also das, was Benn das Gegenteil von Kunst nennt. Es sollte auch nicht vergessen werden, daß Pound die Pisaner Cantos quasi in dem Käfig schrieb, in den man ihn als bekennenden (mussolinianischen) Faschisten eingesperrt hatte – es ist enorm wichtig, diesen Hintergrund nicht zu “vermenscheln”, sondern an der wirklich fürchterlichen Ambivalenz festzuhalten, die die Spannung seiner politischen Haltung und seiner poetischen eben m i t ausmacht. Das bedeutet, man darf eine Übersetzung nicht so gestalten, daß sie einem selbst möglichst entgegenkommt, sondern – und da genau hilft die Form, die ich in diesem Fall übers Versmaß spiegele – auch das muß Raum behalten, das einem selbst nicht zusagt. Was nun die Körperlichkeit anbelangt, da reicht, den ersten aller Cantos zu lesen – man bekommt es da als Seewind auf die Haut, und es ist nicht der Wind einer Sommerfrische in, sagen wir, Kühlungsborn oder Ravenna.

    2. Sie betonen falsch. Deshalb habe ich die Betonungen ja eigens angegeben. “unconquered” ließe sich zwar auf “un” o d e r auf “con” betonten lassen, letztres stellte aber die Bedeutung auf den Kopf, bzw. schwächte sie ab. Gemeint ist aber (weshalb ich statt “unerobert” “ungelöscht” schrieb), daß sie noch brenne

    3. Inhaltlich haben Sie recht: die Flamme brennt, immer noch, formal aber nicht: ‘unconquered’ läßt sich einfach nicht auf der erste Silbe allein sprechen (nicht im Englischen, vielleicht im Küchenenglisch deutscher Provenienz)
      Ihr ‘ungelöscht’ aber gefällt mir gut, das trifft es viel besser als das ‘unerobert’.

  3. Ich kann’s nicht sein lassen, aber auch wenn ich Vieles nicht teile, was Sie sagen, hat es mich doch weiter angeregt. Wenn Sie Zeit und Lust haben, fallen Sie doch über diese ‘Dreistigkeit’ her. Wenn nicht, dennoch meinen Dank für die Diskussion.

    Die Worte der Alten, sie leben in Luft
    Nie gelöscht ist die Flamme der Zeit
    Das ist nie Eitelkeit
    Im Nehmen wär’s falsch, still zu halten
    Sich zaudernd allein zu entfalten

  4. Der Musikalität wegen würde ich Pounds Verse so betonen:

    To have GAthered from the AIR a LIVE traDItion (4)
    OR from a FINE old EYE the UNconquered FLAME (5)
    THIS is not VAnity. (2)
    Here ERRor is ALL in the NONE done, (3)
    ALL in the DIFFidence that FALtered. (3)

    – und die Verse wie folgt übersetzen:

    AUFzunehmen aus der LUFT leBEND’ge TraditiON (4)
    aus einem SCHÖnen alten AUG’ die UNgelöschte FLAMme (4)
    DIES ist nicht VAnitas. (2)
    Das IRRen liegt EINzig im NICHT-Tun, (3)
    EINzig im ZAUdern und ZAgen. (3)

    1. ja, das klingt sehr gut und ist bis auf das ‘Vanitas’ (aber Eitelkeit klingt tatsächlich seltsam schräg hier), und das ‘schön’ für ‘fine’, und daß auch hier das ‘here’ wieder unterschlagen wird, alles sehr passend. Ich sehe aber auch wenig, wie das alles unter einen Hut zu bringen wäre.

      ‘fine old eye’ wäre vielleicht eher als ‘tapferes auge’ zu übersetzen, wie das Auge eines die alte Fahne gegen alle Widerstände hoch haltenden Veteranen. Was auch mit der von Herrn Herbst angedeuteten aktuellen Lebenssituation Herrn Pounds im Einklang läge. Obwohl ich darüber auch anderes meine gelesen zu haben, mir jedoch gerade nicht ganz sicher bin.

    2. Ich habe mich sehr bewußt für das schöne alte Aug’ entschieden, weil es dem deutschen Sprachgebrauch entspricht, in diesem Kontext wieder seine alte Kraft zurückbekommt und den Leser nicht auf eine Interpretation (des Übersetzers) festlegt. Und Vanitas? Ist aus der Barockliteratur wohlbekannt; klingt außerdem besser als alles andere. Und darauf zu achten halte ich beim Übersetzen von Lyrik à la Pound für eminent wichtig. Deshalb auch hatte ich kein Problem damit, ‘here’ oder ‘or’ unter den Tisch fallen zu lassen.

    3. Vanitas ist sicher ‘aus der Barockliteratur’ bekannt, wenn Sie wieder einmal unter sich bleiben wollen. Ihre Wahl. Meine nicht.
      Das ‘deshalb’ hängt leider ohne Begründung herum. Ich hätte schon Probleme damit, den Quelltext bei einer Übersetzung ‘unter den Tisch fallen zu lassen’, wenn mir nichts besseres (und stichhaltigeres) als ‘Und darauf zu achten halte ich beim Übersetzen von Lyrik à la Pound für eminent wichtig’ als Argument einfiele.

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