Kinder und die Dichtung. PP119, 2. März 2014: Sonntag. Ein Brief an Innokentij Kreknin.

Lieber Herr Kreknin,

das ist >>>> eine tolle Arbeit, die Sie da vorlegen! Daß ich bei einigen Thesen Einwände habe, wird sehr klein, wenn man den gesamten Zusammenhang anschaut, in dem Sie argumentieren. Ich habe gestern abend/nacht Ihre Kapitel zu meiner Arbeit ganz gelesen, die zu Goetz und Lottmann überflogen. Interessant ist, daß es zwischen uns, also den beiden und mir, so gut wie keine Verbindung gibt, obwohl zumindest Goetz und ich in derselben Stadt leben. Das hat, m.E., vor allem mit der verschiedenen Szene-Prägung zu tun, also mit der jeweils favorisierten Musik und kulturellen Grundierung und reicht von der Kindheit und Jugend bis heute herauf. Man hat einander tatsächlich gar nichts zu sagen. Anders als die beiden interessiert mich tatsächlich der R o m a n, seine Weiterentwicklung a l s Roman – um von meiner lyrischen Arbeit einmal zu schweigen, die ja insgesamt andere Blickwinkel einnimmt, als es meine Prosa tut.

Ein Wort aber, weil sie wehtat, zu Ihrer Kritik an der Hereinnahme meines Sohnes. Ich verstehe Ihre (moralischen) Bedenken, indes nur theoretisch, bzw. über ein in uns – auch in mir selbst – verwurzeltes So-etwas-tut-man-nicht. Seit ich Vater wurde, haben sich meine Perspektiven radikal verändert, das Kind wurde zum Zentrum meines literarischen Denkens und Fühlens, d.h. ich tat keinen Schritt mehr ohne das Bewußtsein, Vater eben zu sein. Deshalb l i e ß sich mein Junge – er ist jetzt junger Mann – gar nicht ausnehmen, sondern wurde ganz organisch Teil des Werks, schon, weil ich selbst, also sein Vater, ohne mein Werk schlichtweg nicht war noch bin. Dabei habe ich aber sehr wohl darauf geachtet, in Der Dschungel nichts über ihn zu schreiben, was ihm hätte schaden können – es sei denn, man sieht die Veröffentlichung-selbst bereits als Schädigung an. Dies ließe sich umgekehrt aber auch von einer Nicht-Veröffentlichung, einem Übergangenwerden also in den dem Vater allerwichtigtsen Belangen, behaupten. Im übrigen habe ich ihm immer, und bis heute, gezeigt, wenn ich etwas, und was, über ihn/von ihm eingestellt habe. Sie können nun einwenden, aber er war doch noch ein Kind und konnte das gar nicht beurteilen. Daran ist etwas, aber auch nichts. Die Frage ist, wie ernst wir unsere Kinder nehmen. Mir kam es insgesamt darauf an zu zeigen, daß Vaterschaft auch zur ästhetischen Grundlage eines Werkes werden kann, vielleicht sogar werden sollte: meinerseits jetzt moralisch argumentiert; das ist nicht, wie Sie meinen, autoritär, sondern der Wahrheit und Wirklichkeit verpflichtet. Es wird Liebe gezeigt, was mir um so wichtiger war, als ich meine Arbeit eben nicht als ein bloßes Spiel betrachte, sondern tatsächlich als existentiell empfinde; da läßt sich ein Kind gar nicht ausnehmen.
Dennoch, spannend ist, daß Sie offenbar gerade aufgrund Ihrer moralischen Bedenken zu dem grundlegenden Begriff der Aporie kommen, und die nun, in der Tat, ist der grundlegende Zug meiner Arbeit wie meines Erlebens von Welt; ohne sie gäbe es auch die von Ihnen konstatierte und von mir tatsächlich als zentrales Characteristicum der heutigen Moderne empfundene und wirkende Gleichzeitigkeit nicht. Zu ihr gehört, daß ich, anders als die beiden anderen Autoren, in den Romanen und Erzählungen an erzählten Geschichten festhalte, also die „klassische“ Narration keineswegs verabschiede; im Gegenteil; es geht aber in der Tat um eine neue angemessene Form.

Dies nur eben als erste Reaktion auf Ihr auch, scheint mir, in den Ergebnissen höchst intensives Buch. In der Tat glaube ich, daß wir mit den Aporien leben müssen, wollen wir gegenwärtig, also realistisch sein.

Nein, keine Sorge, ich werde Ihre Arbeit vor ihrer Veröffentlichung nicht zugänglich machen und danach, falls ich Auszüge einstellen möchte, selbstverständlich bei Ihnen und dem Verlag nachfragen – auch, wenn man das Problem, das Sie anhand meines Umgangs mit meinem Sohn ausgemacht haben, hier ganz genau so konstatieren kann. Denn es wird ja über mich etwas gesagt, das über mich hinweg gesagt wird; meine Einwilligung ist da weder gefragt noch nötig. Aber auch ich werde mit der Publikation autoritär behandelt. Das liegt an den Grundzügen in diesem Fall wissenschaftlichen Arbeitens und ist nicht von Ihnen zu vertreten. Es gehört aber zu den Grundzügen des literarischen Arbeitens, wenn man es als Existenzform sieht, daß Dichter:innen als allerletztes ihre Kinder “aussparen” können; alles, was sie jenseits von ihnen schrieben, ohne sie schrieben, wäre unwahr, weil auf das extremste verkürzt. Vielleicht komme ich einmal dazu, diese Ansicht – und dieses Empfinden – detailliert zu begründen. Wichtig allerdings war und ist mir in diesem Umfeld, daß ich dabei L i e b e erzähle.

Ihr
ANH


*******

James Joyce. >>>> Kammermusik No XII.
*******

(17.50 Uhr.)
Und da wir nun schon einmal darüber gesprochen haben, jedenfalls habe es mein Sohn und ich eben, als er zum gemeinsamen Espresso (Caffè) herüberkam, hier der Link auf seine eigene Webpräsenz: >>>> Victimfx. Wie sehr wir alle stolz auf ihn sind – ich beziehe Daniello, Deters und die anderen völlig mit ein -, muß hier nicht geschrieben werden. Er geht schon jetzt seinen ganz eigenen künstlerischen Weg und spricht schon jetzt von seiner Arbeit.

Ich selbst derweil bin noch immer mit den O-Ton- und Atmoprotokollen für >>>> das Fahlmann-Hörstück beschäftigt.

*******

3 thoughts on “Kinder und die Dichtung. PP119, 2. März 2014: Sonntag. Ein Brief an Innokentij Kreknin.

  1. Kinder und Dichtung Gerade die tiefe Liebe zu Ihrem Sohn berührt mich immer wieder.. Bewundernswert wie Sie ihm einbeziehen, Teilnahme geben – an Ihrer Welt. Dass dies nicht selbstverständlich war (ist?) kenne ich aus eigenem Erleben..
    Lieben Gruß von der Rosenhöhe und den vergessenen Kindern Ihrer Schriftsteller-Kollegen. Ihre Helga Schirmbeck

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .