Kunst.

Entsteht unabhängig von der Intention ihrer Arbeit. Was diese will, muß sich in jener nicht zeigen. Es kann sich sogar das Gegenteil zeigen. Aus diesem Grund taugt für die Kunst nicht die moralische Absicht. Sie kann vorhanden sein oder fehlen, das spielt rein keine Rolle. (Deshalb kann zum Beispiel jemand eine Bach-Messe genießen, ohne im geringsten gläubig zu sein. Und jemand kann einen liebevollen Roman über Kinder schreiben, der sie im wirklichen Leben unausstehlich findet.)

7 thoughts on “Kunst.

  1. also ich persönlich stimme beim Kinderroman zu, würde aber die Bach-Messe anzweifeln. WIDER BESSERES WISSEN.
    Denn Anton Bruckner hat den Tristan gehört und vermutlich ausschließlich die Musik genossen ohne den Inhalt wirklich zu kennen.
    Aber meine These ist. Es ist möglich, aber das Höchstmögliche wird dabei nicht ausgeschöpft. Den Anspruch habe ich aber an die Kunst.

    1. Hector Berlioz. Requiem, Grande Messe des morts, op 5.

      Wohl das beeindruckendste Beispiel für die These dieses Notats.

      [Die Bach-Messe – ich dachte an die in h-moll – ist als Beispiel für die Rezeption gemeint; so steht das oben auch da und bezieht sich auf meine eigene Erfahrung. Daß Bruckner im übrigen den Inhalt des Tristans nicht gekannt haben soll, ist eine geradezu abenteuerliche These. Bereits 1868 lernte Bruckner Wagner kennen, er dirigierte selbst Wagner, und es ist schon von daher höchst unwahrscheinlich, daß er nicht in die Partituren geschaut haben soll. Wahrscheinlicher ist, daß er sie studiert hat – und zwar grade die Partitur eines solchen musikalischen Initiatonserlebnisses, wie “Tristan und Isolde” für ihn ganz offenbar gewesen ist. Da es sich bei Wagners Partituren nahezu durchweg um Opernpartituren handelt, ist Textkenntnis unermeidlich.]

    2. Die Musikkenntnis ist unbestritten, natürlich hat Bruckner die Musik in- und auswendig gekannt. Doch in Liebesdingen war er recht unerfahren und das im Tristan enthaltene Konzept gehörte nicht zu seinen Vorstellungsbildern.
      Ich muss einmal suchen, wo die Unterlagen sind, aus denen dies hervorgeht. Es ist ja gerade die These, dass er den Text nicht einmal angeschaut haben muss.
      Und offen gestanden ist der Tristan auch ohne Text von solch einer gewaltigen musikalischen Bedeutung (es gibt Leute, die behauptet haben, dass man nach dem Tristan nicht mehr tonal komponieren könne), dass ein Musiker sich hier durchaus an den harmonischen Neuigkeiten festfressen könnte.
      Gut, die Leitmotive sind noch mit einer semantischen Bedeutung zu unterlegen.
      Aber es soll auch in anderen Bereichen vorkommen, dass sich Leute an bestimmten Aspekten begeistern und den Gesamtüberblick darob aus den Augen verlieren.
      (Ich bin übrigens sowohl Bruckner als auch Wagnerfan, mein Kommentar sollte zB keinesfalls der Bedeutung von Bruckner Abbruch tun..)

    3. Unerfahrenheit schützt nicht vor leidvoller Kenntnis. Um nur an Schubert zu denken, dessen Umgang mit Frauen so vergeblich wie auch tragisch war, dem dennoch mit die schönsten Liebes- und Begehrenslieder gelangen, die wir – als Menschenart – überhaupt haben. Um es so zu sagen: Schubert hat verdammt hart für unsere Erfüllung bezahlt. Was wiederum Wagners Konzept im Tristan anbelangt (“unbewußt,/höchste Lust!”), mögen Sie sehr richtig liegen, da eine solche Erlösungsvorstellung eine heidnische, fast buddhistische ist, für deren ziemlich genaue Gegenposition die Auferstehung im Fleische steht. Im Parsifal, Sie wissen das sicher, nimmt er das allerdings durch eine christliche Reinheitsvorstellung wieder zurück, die die schuldlos-schuldhafte Verstrickung sowohl Isoldes als auch Tristans vermittels eines “keuschen Toren” ersetzt (Nietzsche hat das ganz zurecht auf die Palme gebracht). Wie dem aber immer auch sei: gerade bei Wagner, dessen Musikkunst nicht zuletzt eine psychologische ist – und nicht zuletzt macht gerade das seine Modernität aus -, lassen sich die verwendeten Kunstmittel n i c h t von der Semantik trennen; es ist k e i n e ‘absolute Musik’, wie sie etwa Brahms (und seinen Anhängern) vorschwebte und wie sie dann in der Zweiten Wiener Klassik und später der Seriellen Schule Darmstädter Provenienz weiterentwickelt werden sollte. Sondern immer in der einen und/oder anderen Weise auf Welt rückgebunden und damit auch in der Verleugnung aufs Fleisch. Interessanterweise nimmt ausgerechnet einer wie >>>> Allan Pettersson diesen irdischen und damit semantischen Aspekt in die Musik wieder hinein.

      [Allan Pettersson (3).
      >>>> AP 4
      AP 2 <<<< ]
    4. Lieber ANH,
      alles das, was Sie schreiben, versuche ich bei persönlichen Gesprächen an die Gesprächspartner heranzuführen. Lange Jahre war ich nicht imstande, jemandem zu glauben, der mir von irgendeiner Musik vorschwärmte und dann zugab, dass er von der semantischen Unterlegung der Musik (sei es Oper, sei es Lied) gar keine Ahnung hatte. Wohlgemerkt, für mich war es unvorstellbar, dass man Musik so hören könne. Den Begriff des Musiktheaters kenne ich seit 45 Jahren, ich glaube damals hat mir mein Vater das erste Mal Wagner näher gebracht. Um dem Anlass dieses Diskurses Rechnung zu tragen, Bruckner traue ich das Verständnis von “unbewußt/höchste Lust” gar nicht zu, denn er hatte mit seinen eigenen Dämonen zu kämpfen, seiner Zähllust. Wäre Bruckner ein Liebhaber gewesen, hätte er seine Frauen zur Weißglut treiben können. Vier Stöße, 8 Stöße, das ganze Repertoire verkehrt, etc. etc. Bruckners Musik lebt von der Vorhersagbarkeit, selbst dann, wenn nach einer tiefen Generalpause ein ganz anderes Thema begonnen wird. Ich sage das nicht, um Bruckner schlecht zu machen. Gerade heute habe ich wieder beim 2. Satz der 7. Symphonie Gefühle empfunden, die ich nur bei Bruckner haben kann. Ich habe die Bruckner Symphonien vierhändig mit meinem Vater gespielt, da kann sich ein unheimlicher Funktionstrieb befriedigen, und ich spiele heute ganze Akte von Wagner aus den Klavierauszügen herunter.
      Es kommt letztlich ja auch nicht darauf an, wer von uns Recht hat. Es geht um das Vorstellungsvermögen. Sie meinen, dass Bruckner gar nicht anders konnte. Und ich meine, dass Bruckner die Musik auch ohne Semantik verstehen konnte, weil seine Welt der Kontrapunkt und die Polyphonie und die Lust nach Neuem in der Musik war, wozu er selber zu stark in Regeln eingefangen war. Genossen hat Bruckner den Tristan sicher.
      Ich darf hier noch zwei Links auf Erlebnisse des heurigen Sommers anfügen:
      Tristan
      http://steppenhund.twoday.net/stories/2437709/
      Parsifal
      http://steppenhund.twoday.net/stories/2469806/

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