Mit Technik stoffwechseln können.

Das wird das gentechnische Ziel der nächsten Jahre, höchstens des nächsten Jahrzehntes sein. Interessant, daß in einem Moment, der die Morphung anderer und seiner selbst zur Mode-Bewegung voranteibt, gesagt wird, es mache sich lächerlich, wer heute diesen Begriff noch v e r w e n d e. (Jedes über längere Zeit akzeptierte Rollenspiel gehört in den Prozeß, namentlich die großen Vampir-Fandoms, deren Anhänger sich von Zahnärzten “echte” Vampirzähne implantieren lassen – eine Neigung zur körperlichen Mutilation, die in Teilen der USA bereits demoskopisch meßbare Ausmaße angenommen hat. Insgesamt drücken die biomechanoiden Tattoos und überhaupt die bleibende Andersgestaltung des eigenen Körpers der Zeit bereits ihren Stempel auf.)




D i e s ist die Revolution, vor der wir stehen: der Körper als Plastik ist das vielleicht sichtbarste, weil in den Trend verkleidete Symptom der anthropologischen Kehre.

[Nachtrag am 9. August, morgens. Zum Beispiel dieser Satz:]


“Es muß alles sauber sein”, sagt der Chirurg. “Blut kann ich nicht leiden, das ist der Feind.”




herbst & deters fiktionäre

12 thoughts on “Mit Technik stoffwechseln können.

  1. halten sie es für möglich, daß parallel zu den von ihnen als anthropoligische kehre bezeichneten entwicklungen sich eine zweite schiene auf kurs gesetzt hat, seit jahrzehnten schon, und zwar eine, die bewußt biomechanische verquickungen möglichst meidet, morphing etc. ablehnt und mehr daran interessiert ist, eigene (auch geistige) fähigkeiten zu entwickeln? das gabs doch schon lange vor der “gegenkultur” des easlen-institutes in den 70er jahren, wie alan watts sie beschrieben und mitgestaltet hat.

    1. Das wird es sicher geben. Aber es ist chancenlos. Wenn jedenfalls von fundamentalen Widerständen abgesehen wird, die meist religiös-dogmatischen Charakters sind und von denen ich überzeugt bin, daß sie gar nicht anders als gewaltsam, ja mörderisch handeln können, wenn sie etwas bewirken wollen. Das ist ein direktes Ergebnis der Globalisierung, zu der mehr als alles andere das World Wide Web gehört. Aber schon die grenzenlose Übertragung von Radioprogrammen richtet Menschen z u, ob im “Guten”, ob im “Schlechten”, das neuerdings wieder “das Böse” genannt wird, und zwar auf beiden Seiten.

      Das also halte ich für einen Sonderfall, nämlich einen wirklichen Widerstand. Der aber nicht der meine ist.

      Ich bin gegenüber den technologischen Entwicklungen – gerade weil es seelisch wirksame sind – ausgesprochen ambivalent. Die Chancen und sich eröffnenden Welten faszinieren mich genau so, wie sie mich erschrecken. (Als ich vor zwei Monaten ins “Gargoyle” schaute – einen kleinen Berliner SM-Club – und mich von hinter der Theke zwei “echte” Vampirzähne anfletschten – lächelnd, aber immerhin -, da war ich doch mehr als nur irritiert.) Letztlich halte ich den technologischen Fortschritt für unaufhaltsam, der im Wortsinn Fort—Schritt ist, nämlich fort von allem, das uns moralisch bislang geprägt hat. Die Entwicklung ist schleichend. Bereits jetzt lernen nicht wenige besonders jungen Leute ihre späteren Partner oft übers Netz kennen, das aufgrund seiner Anonymität ein intimes Sprechen erlaubt, das normalerweise verdrängte oder verschwiegene Sexualfantasien geradezu unmittelbar kommunikabel und schließlich realisierbar macht.

      Abgesehen hiervon hat es ohnedies niemals eine technologische Entwicklung gegeben, die ausgebremst worden wäre; die auf Atomspaltung basierende Energiegewinnung ist da ein gutes Beispiel (etwa im Vergleich zur seinerzeit militärisch nicht nutzbaren und deshalb schnell als “utopisch” gebrandmarkten Fusionstechnologie). Selbst sollte ein einziges Land – oder sogar ein Länderverbund – sich aus dieser Form der Stromgewinnung verabschieden, wären nicht nur die alten Reaktoren zu entsorgen, sondern um diesen Länderverbund herum würde an der Technologie weitergebaut. Ganz ähnlich die Forschung an Stammzellen, für die Israel ganz vorne steht (aus übrigens ebenso religiösen Gründen wie denen, die den islamistischen Widerstand trägt). Die Ergebnisse der von den nationalsozialistischen Unmensch-Ärzten angestellten Experimente wurden – Nürnberg hin und Nürnberg her – nicht etwa vernichtet, sondern unter anderem von den USA für die eigene Kriegführung (oder Landesverteidigung, wie man nun will) ausgewertet und – Lehrstoff. Und Goebbels “verdankt” die Welt nahezu alle Grundlagen des modernen Marketings.

      Da wiederum die von mir so genannte anthropologische Kehre, die eigentlich eine sich unbewußt vollziehende seelische Mutation ist und den Regreß (etwa der Schriftkultur) “bloß” als Zeichen eines neuen Ansetzens auf der Stirn trägt, mir nicht ausgemachterweise ins Unheil zu führen scheint, ist meine Haltung eher die des sehr neugierigen Zuschauers, der, so weit es seine Kräfte und sein Alter erlauben, gerne hier und da ein paar Weichlein stellen möchte. Wer sich der Entwicklung radikal verweigert (wie es einige meiner engen Freunde tun), begibt sich der Chance, das, worauf es uns immer ankam und was wir innig lieben, in das heraufsteigene Neue hinüberemigrieren zu lassen.

      [Ich schreibe auch das, während ich B a c h höre!]

    2. Über das Ganze ließe sich vortrefflich streiten…. Vielem stimme ich zu, bei anderen Dingen habe ich eine gänzlich andere Ansicht. Allein aus den obigen Zeilen könnte man sehr viel, sehr interessantes machen. Auch nur einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, fehlt mir gerade die Ausdauer.
      Aber, eine Sache hat mich sehr bewegt und mobilisert, mich denken lassen “Oha, endlich nochmal jemand, der sich sowas traut, denn nur weil es “unbequem” ist, bleibt es doch zutreffend”. Die Ergebnisse der von den nationalsozialistischen Unmensch-Ärzten angestellten Experimente wurden – Nürnberg hin und Nürnberg her – nicht etwa vernichtet, sondern unter anderem von den USA für die eigene Kriegführung (oder Landesverteidigung, wie man nun will) ausgewertet und – Lehrstoff. Und Goebbels “verdankt” die Welt nahezu alle Grundlagen des modernen Marketings.
      Das ist primär keine W e r t u n g des Sachverhaltes (obwohl die Wortwahl da auch schon Rückschlüsse zuließe, sofern man unbedingt interpretieren wollte), sondern einfach eine Feststellung von Fakten.
      Auch wenn das Kollektiv dazu tendiert, schamhaft zu reagieren, wenn es mit diesen Fakten konfrontiert wird. Insbesondere dann, wenn das Kollektiv auch noch von Vorgängen, derer es sich -vordergründig- schämt doch profitiert.
      Mittlerweile gehört aber manchmal sogar schon Mut dazu, solches auszusprechen. Glückwunsch.
      Beileid dafür, dass im ungünstigsten Fall daraus eine “Gesinnungs-Diskussion” entsteht.
      Jedenfalls bereitet es mir große Freude, in den Dschungeln immer wieder darauf zu stoßen, dass Dinge beim Namen genannt werden, auch wenn häufig “innere Kontroversen” bei mir ausgelöst werden.

    3. Solche Kontroversen lösen meine Beiträge auch in mir selbst aus. Es ist, glauben Sie mir, nicht leicht, manche Sätze, die die eigene, innere Moral zensieren will, dennoch zu schreiben – einfach, weil der G e d a n k e so klar ist. Deshalb habe ich mir den Grundsatz zueigen gemacht, etwas im Zweifel für die Formulierung stehenzulassen, auch wenn die Sanktionen, die einen treffen, sofort absehbar sind. Was meinen Sie, weshalb die Fiktionäre, namentlich ich (denn Deters, Daniello und die anderen sind nicht fokussierbar), im Kulturbetrieb derart unbeliebt sind? Es gibt Leute, die haben eine dezidierte – schlimme – Meinung über mich, wiewohl sie mich nie sahen und schon gar kein Buch von mir lasen. Als mir Wilhelm Kühlmann, der viel für meine Arbeit stritt und streitet, obwohl er den Internet-Weg nicht mitgehen mag, zum ersten Mal begegnete, da trat er vor der Lesung in Mannheim, ohne mich je gesehen zu haben, auf mich zu und sagte: “Sie sind Herbst. Ich kann Ihnen sagen, warum Sie keiner mag: Sie haben nicht die Spur von Stallgeruch.”
      Das war und ist sehr wahr, ich mag in keine Familie gehören. Die Familie habe ich aus sehr guten Gründen geflohen und mag mir nun keine andere, auch keine aus dem Literaturbetrieb, surrogieren. Daß mein Herz politisch nicht rechts schlägt, ist schon aufgrund meiner Herkunft sicherlich klar; aber ich halte mich ebenso vom Corpsgeist jeder Linken fern: Man muß sich nur anschauen, wie wenigstens 2/3 der einstigen Genossen nach Mauerfall in die Umarmung des militanten – verzeihen Sie – US-Liberalismus renegierten, die Spanne reicht über Hans Christoph Buch bis zu Michael Schneider. Von den korrupten Hypothekenzahlern sprech ich da nicht einmal. Man kann eigentlich nur dauernd kotzen, hätte man nicht – dank der Frauen, dank der Musik, dank meines Sohnes – viel Grund, so heißblütig es irgend geht weiterzuleben. Sich eines bewahren: “Ergriffen sein” geht eine wundervolle Zeile in Othmar Schoecks “Venus” nach Prosper Merimée. Ich hab leider nicht das Programm, um hier die Noten hineinzusetzen, – und mein Scanner wird gerade repariert.

    4. nun ja, es ist nicht nur falsch sondern auch langweilig, die nazionalsozialistische zeit zu dämonisieren. fakten sind fakten, leni riefenstahl etwa ist mir eben eingefallen, sie müsste ebenfalls einen ehrenplatz in einer bestimmten branche bekommen. oder die brillanten rötgenaufnahmen (die “patienten” trugen auch schwerste schäden/den tod davon) besagter folterärzte, die an universitäten als anschauungsmaterial für mediziner verwendet – zumindest wurden. (r.d. laing)

      sie schreiben chancenlos – ich meinte hier aber keinen “kampf”, aus dem dann eine richtung gewissermaßen als sieger hervorginge, sondern einfach etwas, was auch da ist, was wachsen kann und sich entwickeln kann …
      meine gefühle den technischen entwicklungen gegenüber sind ebenso ambivalent, und ich sehe mich auch als beobachter; der zwar die geräte benützt, sich aber ihrer genese bewußt ist und ihrer gefahren. am wohlsten fühle ich mich ohne sie, ganz ohne technischen klimbim.
      ja, ihre worte “als Zeichen eines neuen Ansetzens auf der Stirn trägt, mir nicht ausgemachterweise ins Unheil zu führen scheint” gefallen mir ausgezeichnet. 🙂

    5. Laing ist ein sehr gutes Beispiel. Ich bin hier ja schon einige Male auf ihn eingegangen. Weiterhin wären Bateson und vor allem der große Bion zu nennen… alle sie sind aber keine Deutschen (und auch nicht jüdische Deutsche) und fallen nicht unters Verdikt. Aber der Autorin eines großartigen Romanes über Guantánamo hat man in Klagenfurt den Mund verboten: “Sie machen wohl auch vor Auschwitz nicht Halt!” warf ihr Iris Radisch vor. Und es spielte die K u n s t dieser Dichterin überhaupt keine Rolle mehr. Es sollen – jedenfalls von Deutschen – bestimmte Themen nicht berührt werden, und sie werden ausgeschlossen, wenn sie sich dem nicht beugen. Das Ganze ist im Innersten schuldhaft religiös angetrieben. Syberberg ist auch so ein Beispiel, der großartige Syberberg des Hitler-Films.
      (Übrigens gibt es so etwas nicht nur “bei uns”; in den USA funtioniert ein ähnlicher Verdrängungsmechanismus in Zusammenhang mit Sexualthemen. Die wirklich großen Bücher Philip Roths hätten nicht erscheinen können, wäre er eben nicht jüdischer Herkunft. Sehr geschickt hat Thomas Pynchon diesen Konnex umschifft: durch Verschwinden.)

    6. der klagenfurt auftritt war irre – ich klappte den mund auf und zu, als ich radischs reaktion aus dem bildschirm sog. dorothea dieckmann hat radisch aber gut gekontert, und man konnte deutlich sehen, wer hier klar im kopf ist bzgl. dieser angelegenheit.
      ja, es ist eine ungeheuer großes tabu, und wird es wohl noch lange bleiben. man kann daraus auch viel profit schlagen, weltweit …

    7. Es geht nicht um Profit. Es geht um poetische Wahrheit.
      (Keiner hat die Radisch deshalb später angeschossen, keiner, abgesehen von Den Dschungeln, auf denen nun auch permanent über google “Iris Radisch Herbst” abgefragt wird oder – das müssen Eingeweihte sein – “Iris Radisch Dschungel”… – ich kann das hier ja gut verfolgen. Dabei, ich wiederhole mich unentwegt, ist die Radisch trotz allem immer noch eine der Besten. Ich schätze Ihren Mut, ich schätze ihren Geist. Allerdings ist sie geprägt und deshalb voreingenommen. Sie kennt nicht die lustvolle Neugier. Weshalb das so ist, darauf hätte ich allenfalls eine private Antwort. Und die gehört nicht hierher. Eigentlich auch nicht die Rhetorik, die mich das so schreiben läßt. Ich muß deretwegen um Nachsicht bitten. Aber auch ich habe meine Verwundungen. Sollte sie das hier lesen, wird sie wissen, was ich meine.)

    8. natürlich geht es um poetische wahrheit. bei der dieckman-lesung ging es aber auch um politik, und tabu; und wenn es um tabus geht, hängt der profit dran (man kann an tabus viel verdienen: sex/pornographie, (nazi)verbrechen, mord/krieg)

    9. Nicht n u r, ferromonte. Tabus sind auch ein – – – Schutz. Man muß nur wissen, wann er notwendig ist. Dies zu entscheiden, hat etwas von dem Fingerspitzengefühl, das in graphologischen Gutachten “hohes” von “niederem” Formniveau zu unterscheiden sucht… oft bei gleichen, zumindest ähnlichen Handschrifttypen. – Ich bitte, mich recht zu verstehen. Ich bin kein Anhänger der, wie Dr. Lipom sagt, “physiognomischen Charakterologie”… aber sie eignet sich als Modell. In diesem Zusammenhängen ist eigene Haltung erfordert, und die muß jemand, wie auch immer, gelernt haben. Starke Väter (oder Mütter), die man, psychoanalytisch gesprochen, nicht “umgebracht” hat, sind da um so hinderlicher, je besser sie waren. Und Adorno gehört meines Erachtens zu den a l l e r besten. Es ist schmerzhaft und gelingt nur wenigen, die von ihm tranken, auf diesen Genuß zu verzichten. In dieselbe – höchste – Kategorie gehören Kafka und Beckett.

    10. Nicht die Spur von Stallgeruch ist ein sehr großes Lob.
      Wie bereits geschrieben, wollte ich auf keinen Fall irgend eine Form von “Politikum” daraus machen. Warum ich das jetzt schreibe, weiß ich gar nicht so genau, denn mein Eindruck ist, dass Sie es so aufgefasst haben, wie ich es meinte. Manchmal neige ich zu Redundanzen.
      Am Begriff des militanten US-Liberalismus gibt es nichts zu verzeihen. Es ist m.E. eine recht angemessene Formulierung. Ich schätze Nordamerika als Land. Als Nation erfüllen mich die USA mit kaltem Grausen.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahren Sie mehr darüber, wie Ihre Kommentardaten verarbeitet werden .