NETZFRAUEN. § 1.

Wir führen in unsere Untersuchung über das Geschlechter-Verhältnis von Realität und Fiktion nunmehr den Begriff „Netzfrauen“ ein. Er meint nicht Fakes, also läßt all jene teils bizarren, teils banal wirkenden Fälle außer acht, in denen Männer in eine weibliche Rolle schlüpfen. (Tatsächlich ist auch das durchaus ambivalent zu werten und bedarf der Differenzierung. Es könnten sich nämlich Dynamiken darin verbergen, die einerseits mit mangelnder Geschlechtsidentität, andererseits mit einer Tendenz des Zeitlaufs zur Androgynität oder einfach nur mit Spottlust zusammenhängen.) Vielmehr sind die Netzfrauen wirklich, aber möglicherweise w i r k l i c h anders. Man hat nämlich telefoniert, hat oft vor der Webcam gesessen, sich angeschaut, hat gemeinsam gelacht, bisweilen flossen Tränen. Je intensiver ein solcher Kontakt wird, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Netzfrau ihn nicht mehr realisieren will. Die rechtfertigenden Argumente sind – im psychoanalytischen Sinn – fast durch die Bank Rationalisierungen. Nahezu immer schwelt das AIDS-Argument, sehr oft wird die Menses vorgeschoben, ein Zahnarzttermin, auch eine plötzliche Erkrankung des Kindes kommt durchaus gelegen.
Interessanterweise sind Netzfrauen nicht solche, die vor allem ein sexuell definiertes Interesse haben: diese sind sofort und zu konsequentem Treffen bereit. Sondern diejenigen absolutieren den kybernetischen Raum, die nach Seele u n d Körper rufen, die Seele und Leib verbinden, sich im gewünschten Partner verwühlen wollen; sehr oft mit devoter Konnotation. Dahinter wirkt eine im Wortsinn perverse Verhinderungsstrategie, die ihre Lust letztlich aus Versagung zieht. Nicht selten hat man fernmündlich stundenlang gesprochen. Meist kam die Idee für ein Treffen von ihnen… sehr schöne, sehr poetische Ideen sind das mitunter, man ist ganz berührt. Aber wird – in letzter Minute – zurückgeschubst und auf ein nächstes Mal gelockt. Das dann ganz ebenso abgesagt und auf das wiedernächste Mal verschoben wird.
Das ist sicher kein bewußter Prozeß, das spielt sich zwar im K o p f der Netzfrauen, doch h i n t e r ihrem Geist ab; der ist in aller Regel eindrücklich gebildet. Der Kopf indessen, instinktiv, läßt Abhängigkeiten entstehen. „Ich w i l l Sie, Alban!“ „Ich habe von Ihnen geträumt.“ „Ich könnte sofort w i e d e r anrufen!“ Ich habe Hunderte solcher Rufe gehört und gelesen, meine Dateien bersten vor files eines sich geradezu schmerzhaft hinausrufenden Begehrens, das sich den Schmerz indessen erhalten will: Gemeint ist eine sich zunehmend steigernde masochistische Erregung, ein „Schlag mich! Schlag mich!“ der Fantasie. Ein Mann, der in diesen Strudel gerät, der sich also verliebt, kann, will er nicht unglücklich werden, gar nichts mehr anderes tun, als die Beziehung aber auch s o f o r t zu beenden und jede weitere Kommunikation einzustellen. Denn Netzfrauen sind vampirisch: Sie schälen von der Mannesseele den Körper und trinken von ihr…. doch nie zuviel: Sie soll sich ja regenerieren. Sie soll halten. Deshalb der ständige Aufschub, der das sich auszehrende Begehren des Partners aufpäppeln will. Hoch virtuos beherrscht die Netzfrau einen Spaltungsprozeß, der über reine Projektionen läuft.




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10 thoughts on “NETZFRAUEN. § 1.

  1. ent-täuschung gut geschriebener beitrag. danke! ich fürchte aber, dass auch ein grund für dieses verhalten nicht lust, sondern geschäftemacherei ist, vorausgesetzt, die damen waren nur unter merkwürdigen telefonnummern zuerreiche. es ist wirklich abstoßend und faszinierend gleichermaßen, dass betreiber von 0190-er-nummern und sms-service sich genau der gefühlswelten bedienen, die sie beschreiben. es wird sich scheinbar über vertrautheit ausgeliefert. die leute wissen, dass es funktioniert, weil diejenigen, die das aufziehen intelligent genug sind, um die zusammenhänge und die bedürfnisse einsamer männer zu verstehen. es wird nicht über sex geredet, denn das führt nahc wenigen minuten zur beendigung des gesprächs. über gefühle, scheinbar unwichtiges oder irgendwelche themen zureden dauert länger und schafft eine verbindlichkeit, eine beziehung und oft sogar abhängigkeit

    ich hatte allerdings noch nicht darüber nachgedacht, was frauen leitet, die das nicht kommerziell machen. vermutlich ist es das gefühl der macht, das sie zufrieden stellt. einen mann in ihre fänge zu locken und dann zappeln zu lassen. diese macht mehr zu genießen alss den vollzug, vor dem sie möglicherweise angst haben.

    PS könnten sie die schriftgrößeoder die schriftart im kommentarfenster verändern. ich kann meinen beitrag kaum korrektur-lesen.

    1. Nein, eine 0190-Nummer oder ähnliches ist bei meinen Feldforschungen n i e im Spiel. Nicht einmal verdeckt, dazu bin ich zu gewieft. Es handelt sich in sämtlichen Fällen um reale, für die Befriedigung ihrer Wünsche nichtfinanziell orientierte Damen. Um sehr kluge, sehr gebildete und auch schöne Frauen oft. Das Alter reicht von ungefähr zwanzig bis in die Vierziger.

      P.S.: Das können Sie selbst tun, da die Vorgaben für meine Schriftgrößen prozentual angegeben sind. Das stellt jedem Leser an die Hand, sie für sich zu verändern.

    2. Nachtrag zur Diskussion. Nein, an das “Gefühl der Macht” als Born von Wunscherfüllung glaube ich nicht. Die Dynamik ist sehr viel komplizierter und hat sich in dieser reinen Form überhaupt erst übers Netz kristallisiert. Und zwar deshalb, weil einerseits Anonymität und andererseits die direkte Affektion von Gedanke und Screen zu einer Lockerung der Verdrängungsmechanismen führt. Die Dschungel untersuchen Anthropologie, nicht etwa soziales Verhalten, zu dem ökonomische Interessen g e h ö r e n.

      Etwas ähnliches gilt, denke ich, für den sich realisierenden Sadomasochismus, von dem ich selbst durchaus nicht frei bin. Das hätte sich aber in dieser Weise ohne das Netz weitgehend versteckt gehalten und wäre verwandelt, surrogiert, in Erscheinung getreten: entweder autoaggressiv oder im Wege einer Verschiebung nach außen.

    3. sehr spannend (keine ahnung, wie das mit der schriftgröße geht, aber jetzt ist sie größer als vorhin *wunder*)

      ehrlich gesagt habe ich keine antwort. mir ist das auch schon x-mal passiert, denn ich liebte jahrelang das chatten. irgendwann beschränkte ich mich auf chats bzw. blind-dates mit leuten aus meiner stadt, weil ich sie wirklich treffen wollte. und ich habe sie getroffen. und wie oft habe ich eine ent-täuschung erlebt. aber warum dir frauen nicht kommen, würde mich wirklich interessieren!

    4. Ich hab oben eine Antwort g e g e b e n. Sie ist spekulativ, selbstverständlich. (Mich interessiert bei der Wahrheitsfindung immer, ob die Geschichte stimmt.) Letztlich gehört die Lust an der Versagung, die dem Gesetz der Perversion folgt, das immer noch eine Drehung weiter muß, in den SM-Komplex – auch und vielleicht gerade dann, wenn die Körper nicht real aufeinandertreffen. Anders als bei der wirklichen Begegnung Dominanter mit Submissiven, in der sich die Traumata b e a r b e i t e n, soll genau diese Bearbeitung nicht stattfinden… sei es, daß frau eine reale Furcht davor hat, sei es, daß sie den Höhepunkt scheut,weil sie fürchtet, danach nicht wieder in diese permanente Erregung zu kommen.

      [Möglicherweise gilt für Männer etwas ganz ähnliches, aber aus naheliegenden Gründen habe ich damit keine Erfahrung. In aller Regel ist aber bei Männern das Selbstbild derart positiv verzerrt – Frauen tendieren eher zum Gegenteil -, daß sie auch dann zu einem Blinddate gehen, wenn sie imgrunde nicht wollen. Sie sind ja auch dumm genug, die erotische Frau in die Küche zu stellen und sich Knöpfe annähen zu lassen.]

  2. vampires on line “Die rechtfertigenden Argumente sind – im psychoanalytischen Sinn – fast durch die Bank Rationalisierungen. Nahezu immer schwelt das AIDS-Argument…”

    Sie wollen also einfach sich nicht ficken lassen. Komisch – wieso haben sie sich dann auf einen Netzflirt eingelassen? Gibt es doch nur eine Form der Erotik.
    Nein? Stimmt. Schreiben Sie auch:

    “Interessanterweise sind Netzfrauen nicht solche, die vor allem ein sexuell definiertes Interesse haben…”

    Doch dann scheint mir die Perspektive wieder extrem subjektiv, als sei im Allgemeinen der Mann der Mensch, dem im Internet skurrile Objekte erscheinen:

    “Denn Netzfrauen sind vampirisch: Sie schälen von der Mannesseele den Körper und trinken von ihr…. doch nie zuviel: Sie soll sich ja regenerieren.”

    Ich lese sie gerne, Ihre Beobachtungen zum Frauen-Kennenlernen im Internet. Zumal mir solche Erfahrungen fehlen. Bzw. ich habe sie eben nicht. Der besondere Reiz liegt für mich in dem radikalen vor-Internet- oder außer-Internet-Standpunkt. Das führt zu Verwechslungen. Meine Freundin z.B. hielt Sie für Frauen-missachtend und ging damit auf diesen Leim.

    1. “Frauenmißachtend.” Ja, das höre ich bisweilen. Und ich muß damit leben. Der Grund liegt aber einfach darin, daß ich SM-Erfahrungen habe, bisweilen in diese Welten eintauche, hier im Netz, aber auch real, und dann darüber ohne moralischen Vorbehalt berichte. Viele meiner Erfahrungen drehen die Erfahrungen derer, die solche Szenen und Lüste teils nicht kennen, teils nicht zulassen oft in die Ambivalenz. Wer indes meine Texte genau liest, wird, denke ich, sehr schnell bemerken, wie sehr mich sexuelle Dynamiken berühren, und daß es wirklich nicht um Denunziation oder gar Machismo geht. Vielmehr leitet mich ein Interesse, das nicht verdecken, also nicht verdrängen will.

    2. Ein Wort noch nachgetragen. “Frauen mißachtend” oder “Frauen verachtend” ist natürlich eine ideologische Worthülse, die letztlich inhaltslos ist. Selbstverständlich gibt es Frauen, die ich verachte, etwa Mrs. Albright, und es gibt Frauen, die ich geradezu verehre, etwa Christa Reinig… und viele solche, die mir egal sind, oder die ich einfach nur mag – in sämtlichen Abstufungen. Geschlecht an sich e i g n e t sich gar nicht zu Formen von Verachtung oder Ehrung, es sei denn polemisch. Die Frage wäre also zu präzisieren: W e l c h e Frauen verachtet ANH (und die Frage ist nachzuschieben: warum)? Und: Welche verachtet er n i c ht? – Von den devoten Frauen, die ich bislang kennenlernte, und es sind einige Hände voll, war keine darunter, die mir nicht letztlich höchste Achtung abrangen. Allein schon ihres Mutes wegen.

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