„Orientierungsphase“, sowie der Zweite Tag ohne Dschungel. – Die Arbeitsjournale des Freitags, dem 3. Februar, und Sonnabends, dem 4. Februar 2012.


Freitag, 3.2. –
5.18 Uhr:
[Arbeitswohbnung.]
Mal wieder Trolle. Einen hab ich schon gelöscht, nachdem er eine explizierte Haßnummer anfing, als ich eines seiner Stichversuche wegen freundlich um Argumentation bat. Bei weiteren persönlichen Hämeversuchen, wird die Fangschaltung wieder angeworfen. Das hat beim letzten Mal vorzüglich funktioniert. Man kriegt ja wirklich alles raus, wenn man will.

„Orientierungsphase“, ja: Jedesmal nach Abschluß einer größeren Arbeit sitze ich ein bißchen herum, als wäre ich ratlos, was nun zu tun sein. Dabei weiß ich das immer sehr genau. Dennoch ist da was Gelähmtes… wie jemand sich „auslaufen“ muß nach Zehnkilometersprints, etwa. Und ist man, um sich zu lockern, in den Flirtchats unterwegs, bekommt die Zahl des Lebensalters ein Bedeutung, die sie in der Realität gar nicht hat; das ist so nervend wie banal, weil das Netz ja eigentlich ein Medium der Täuschung, ich aber schon aus Stolz nicht mit „Daten“ täuschen mag. Sprach drüber gestern bereits mit der Löwin und dann noch mal frühnachts mit dem Profi im >>>> Soupanova (wo mir die Bedienung hinter der Theke glatt die Pfeife wollte verbieten; Zigaretten sind aber, nun ja, „erlaubt“: ich dachte, das passe zu einer Zeit, in der ein Fisch nach Schweinefleisch schmecken soll und auch der Eintopf). Gut, wir verzogen uns von der Bar in den Nebenraum, da rauchte ich denn auch vergnügt die mitgebrachte Zigarre hintennach.
Einige Zeit sprach er über seine eigenen >>>> Prägungen, mein Profi; verglichen mit ihm, habe ich noch lange pur-naiv gelesen und viel Zeugs. Mit fünfzehn wiederum er Grimmelshausens Simplicissimus, Travens Totenschiff, Cerams Götter, Gräber und Gelehrte, das ich bei mir ganz vergessen hatte, – aber ja! „natürlich!“ lag das auch auf meinem Bücherstapel und beschäftigte mich lange, gefolgt von „Sinuhe, der Ägypter“ und, du meine Güte, selbstverständlich!, Leon Uris‘ „Exodus“ – so daß ich nachts dann beschloß, der Reihe noch eine NULL nachzufügen, in der ich jene Bücher liste, die keine besondere Erwähnung fanden, aber dennoch wichtig waren. Dazu gehören heute vergessene, ihrerzeit aber sensationell gut verkaufte Autoren wie John Knittel („Via Mala“) und dem deutschen Bestseller Joachim Fernau („Rosen für Apoll“), der ein Leibautor meiner Mutter war, seines Witzes wegen, von dem auch ich heute noch einen Geschmack auf der Zunge habe, der von angenehmer Süffigkeit ist.
Und wir sprachen, der Profi und ich, über Calixto Bieitos Freischütz und >>>> meine Antwort auf Boris Kehrmann Replik. Wobei der Profi von der Beobachtung erzählte, wie verschieden das Verhältnis der Generationen zum Staat sie und zur erwarteten Utopie; man müsse immer schauen, von was die Menschen sozialisiert worden sind: „Sie haben prinzipiell andere Perspektive auf die Dinge, wenn sie noch selbst die Politisierung der Endsechziger/Siebziger Jahre miterlebt haben, als wenn sie erst nach, sagen wir, 1972 geboren worden sind, so daß ihre Jugend in die Endachtziger fällt.“ – Ich hatte mir darüber bislang gar keine Gedanken gemacht, sondern gehe instinktiv immer von einem erreichten historischen Standard aus. Was ziemlich naiv von mir ist, wenn ich bedenke, was psychologisch „Prägung“ bedeutet.
Gut, das werde ich, die „Nullnummer“ angehen. Aber erst einmal ist die eigentliche Reihe auch erzählerisch zum Ende zu führen. Und ich werde mich an die Steuererklärung setzen, sowie der erste neue Text steht. Heute also noch, sagen wir: nach dem Frühstück. Ich gebe mir drei Tage, dann sollte ich durch sein mit dem Zeug.
Außerdem sind zwei Briefe zu schreiben, von denen der eine persönlicher Natur ist. Wegen des Jungenromans II erreichte mich bereits eine Kurznachricht des Lektors:Das erste Kapitelchen gelesen (und da ich fix und alle bin, belaß ich es für heute dabei): das hat Zug, das hat Sog, das hat Pep. Wenns so weitergeht, wird es ganz prima. Habe beim verneudeutschenden Ersetzungslauf schon lustige Straßennamane aufgeschnappt. Bin SEHR gespannt.Ich mache mir auch keine wirklichen Sorgen, weil ich nach dreimaligem Lesen immer noch überrascht war, die konsistent dieser Junge geworden ist, der da erzählt. Der ‚verneudeutschende Ersetzungslauf‘ findet seine Erklärung darin, daß ich bekanntlich die Neue deutsche Recht-genannte Schreibung nach wie vor verweigere; also muß der Lektor den Text auf sie trimmen.

Guten Morgen, Leser:innen.

6.37 Uhr:
Ich kann in Der Dschungel weder mehr Beiträge einstellen, noch kommentieren. Friemle hier seit einer Stunde rum, komme aber nicht weiter. Notmail an den ‚heimlichen Webmaster‘ geschrieben, der schon für die Fangschaltung sorgte -.

8.25 Uhr:
Immer noch keine Möglichkeit, etwas einzustellen. Aber ich habe mit der Erzählung der achten Prägung begonnen. Ich werde sie heute vormittag fertighaben, in jedem Fall.

20.11 Uhr:
[Kancheli, Sinfonien VI.]

Immer noch kein Zugang zu Der Dschungel; irgend etwas ist bei Twoday passiert; irgend ein Chaos. Seit gestern bei mir wieder einer meiner Haß-Trolls war, hab ich sofort was Paranoisches gedacht, aber dann lachen müssen. Es funktioniert ja nicht nur bei mir nicht, sondern auch >>>> TT ist betroffen.
Ärgerlich ist besonders, daß >>>> Kehrmann antworten wird, und dann kann er seine Antwort nicht einstellen. Eine kleine Sorge habe ich, er könne meinen, ich hätte ihn ausgesperrt.
Seit drei Uhr nachmittags dann an der Steuer. Erst mal Belege von 2010, 2011 und das bißchen 2012 auseinanderklabüstern; die liegen bei mir alle zusammen in einer Kiste; da werf ich sie immer nur rein. Ist aber bereits erledigt. Dann an die Ordner. Vor allem: nach Datum sortieren usw.
Vorarbeit. Bis 22 Uhr mach ich damit weiter, und morgen früh um fünf werde ich‘s fortsetzen, weil es sinnlos ist, dann bereits den Prägungstext für die Neun zu schreiben, solange die Acht noch nicht im Netz steht.

[Kancheli, Sinfonie IV.]
Lange nicht mehr gehört, diese Musik. Sie hat was Magisches, das allerdings, hört man es öfter, flach wird. Nach so lange Zeit wirkt es aber nicht mehr flach. Also: einmal hören, dann gleich wieder wegstellen und weitere drei Jahre warten. Ich erinnere mich, daß mich die Sinfonien nach anfänglich höchst berührender Faszination zu öden begonnen hatten ganz ebenso wie nahezu alles von Arvo Pärt.
Statt Dschungel etwas Facebook. Ein entzückender >>>> Wechsel mit Sabine Scho, die ein hinreißendes Bild dazugestellt hat. Ich klau das mal, weil „Otter“ einer meiner Kosenamen war und für Do immer noch ist:

Aber zurück zu den Belegen. So lange die beiden derart friedlich schlafen, ist‘s halb so schlimm.

Sonnabend, 4.2. –
5.09 Uhr:
[Arbeitswohnung.]
Latte macchiato (die neue, bzw. aus zwei alten reparierte Pavoni zischt nicht mehr, erfrischter Dichtung!en halber), Morgenpfeife. Seit zwanzig vor fünf Uhr auf.
Immer noch komme ich nicht in Die Dschungel, doch twoday‘s anderswo läßt sich‘s nirgends auch nur kommentieren. Zugleich geht das Hilfe-Forum nicht mehr. Noch bin ich allerdings nicht nervös, werde indes eine nachfragende Mail nach Knallgrau schicken, Wien; oder ich bitte die Löwin, direkt mal dort vorbeizugehen: vielleicht läßt sich das mit ihrem Arbeitsweg vereinbaren. Ich habe nie nachgeschaut, ob Twoday in der Umgebung des Kunstquartiers sitzt. Ansonsten will ich mich mit der Angelegenheit nicht aufhalten, mich auch nicht ärgern, sondern mache sofort mit der Steuer weiter.

Bevor nicht >>>> meine Erzählung zur Acht in Der Dschungel drinsteht, schreibe ich nicht >>>> zur Sieben.

[Křenek, Orpheus & Eurydike, Akt II.]

7.51 Uhr:
Seit soeben ist Dir Dschungel wieder am Netz. Meinen Prägungstext zur Acht werde ich im Lauf des Vormittags einstellen.

17.08 Uhr:
[Leise. Nur mein Getippe und des Jungen bisweiliges „Hè?“,
wenn er was in Mathe nicht versteht.]

Nun also endlich der Text zur Acht: >>>> Hans Henny Jahnn und die schwülen Mysterien. (Mit der Steuer vorübergehend aufgehört; der Junge brauchte dringend warme Stiefel -. er lief nach wie vor mit den Chucks herum. Doch die Kälte hat ihn jetzt überzeugt.)

3 thoughts on “„Orientierungsphase“, sowie der Zweite Tag ohne Dschungel. – Die Arbeitsjournale des Freitags, dem 3. Februar, und Sonnabends, dem 4. Februar 2012.

  1. Lieber Herr Herbst,
    stöbere in einem Anfall von Narzissmus und Arbeitsflucht mal wieder auf Ihrer Seite herum und lese, was so alles über mich geschrieben wird. Dabei treffe ich auf Ihre Nachtwanderungsgespräche über Calixto Bieitos Freischütz und meine Meinung dazu.
    Ganz verstehe ich die Meinung des “Profis” zu Utopie und Verhältnis zum Staat nicht. Aber am Generationenunterschied kann es nicht liegen, dass mir der Staat der liebste ist, der sich am wenigsten in meine Angelegenheit einmischt und dass die bürgerlich-humanistische Utopie der Menschenliebe, die Agathe oder Fidelio verkörpern mir lieber ist, als die robespierristisch-materialistische eines vormundschaftlich-parternalistischen Staates, der das Wohl der Landeskinder auf Teufel komm raus regeln will. (Ich gebe zu, dass die bürgerlich-humanistische Utopie blauäugig ist. Die Geschichte hat das bewiesen. Die Gegenwart auch. Es ist eben eine Utopie. Mich hat Ernst Blochs Erfindung der Nah-Ziel-Utopie immer sehr gerührt. Aber sie macht mich auch schaudern. Dahinter stehen Guillotinen und Umerziehungslager: Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein. Da ist mir die utopische Utopie der Blauäugig Sanften dann doch lieber als die Nahziel-Utopie der Staats-Terroristen.)
    Ja, aber dieses – sicher anfechtbare Denken – hat nichts damit zu tun, dass ich die 68-er Bewegung nicht miterlebt hätte. Im Gegenteil. Ich wurden Anfang 1963 geboren. Einer meiner frühesten Eindrücke in Hamburg waren die Studentendemonstrationen vor der Uni. Wir fuhren damals – ich war 5 oder 6 – die Rothenbaumchaussee zum Dammtor hoch als ein Langhaariger uns ein Flugblatt hineinreichen wollte und mein Vater ihn “Kommunstenschwein” anfuhr und das Fenster zumachte. Mein Vater war aus Thüringen geflohen und hatte natürlich genug von den Kommunisten. Das ist einer meiner lebendigsten Kindheitseindrücke. Weil ich mich fragte, was das für ein seltsames Tier ist, ein Kommunistenschwein. (Ging mir beim Lustmolch übrigens genau so.) Als Heranwachsender in den 70er Jahren galt ich dann als “Salonkommunist”, weil ich russische Musik liebte und mir ständig die Ariola-Eurodisc/Melodyia-Aufnahmen zum Geburtstag wünschte, die so schlecht gepresst waren, dass ich jedesmal mindestens dreimal zum Geschäft musste, um sie umzutauschen, weil sie schief waren und nicht funktionierten. Außerdem las ich mit Wonne die kleineren Schriften von Marx, Lenin, Enzensberger, Kropotkin, Sainkov usw. (Kommunistisches Manifest, Was tun), kaufte ständig Bücher vom Aufbau-Verlag und ärgerte meine Eltern, indem ich ihnen den einen oder anderen provokanten Satz daraus vorlas. Nicht weil ich davon überzeugt war, sondern weil das Mittel einfach wie ein Knopf wirkte: Man konnte sicher sein, dass sie sofort ihren Humor verloren und wie HB-Männchen an die Decke gingen. Das hat mich damals als Jugendlicher sehr amüsiert: dass man Menschen so 100 % sicher manipulieren kann, indem man ihnen kurz auf die Hühneraugen tritt. Mit 16/17 wurde dann Ernst Bloch meine große Entdeckung – ausgelöst durch seinen Fidelio-Aufsatz. Bloch wurde dann mit 21 von Georg Büchner abgelöst: ich habe 1 Jahr meines Lebens alles von und über Büchner gelesen, um herauszufinden, ob Danton oder Robespierre recht hat. Ich weiss es bis heute nicht. Aber das hat mich aus der hypnotischen Faszination Blochs befreit. Ich bin einfach gegen die Robespierres dieser Welt. Auch wenn die Dantons dieser Welt Schmarotzer sein sollten, haben die Robespierres nicht das Recht, die Welt durch ihr eigenes Blut zu erlösen. Seit ich als freier Publizist im Arbeitsleben stehe, bin ich der Meinung, dass Karl Marx die Arbeitsverhältnisse mit seiner Theorie der Arbeitskraft als Ware richtig beschreibt und hellsichtiger als jeder andere Theoretiker. Sie sehen, ich bin nicht ganz unbeleckt vom Geist von 1968 und bin deshalb der Meinung, dass die Theorie Ihres Profis etwas zu kurz greift (oder zu mechanistisch ist). Woher es kommt, dass ich keine Sympathie für Staatsorgane und solche, die es werden wollen, habe, weiss ich nicht. Aber sicher nicht daher, dass ich 1968 nicht rezipiert hätte. Das gilt übrigens auch für einen Staat, der von sich behauptet, er hätte die Utopie gepachtet. So sehr ich viele von Brechts Erkenntnissen und Formulierungen bewundere. Der Satz “Wir müssen grausam sein, damit ihr menschlich sein könnt” verabscheue ich genau so abgrundtief wie die Reden der Auschwitzleugner. (Und bitte fordern Sie jetzt nicht von mir, dass ich hier den Grad des Abscheus differenziere. Solche Sätze bewegen sich in Regionen der Menschenverachtung, in denen ich mich weigere, Nuancen der Verworfenheit abzuwägen.)
    Herzliche Grüße
    Ihr Boris Kehrmann

    P.S.: Und bitte sorgen Sie sich nicht, dass ich mich ausgesperrt fühlen könnte. Ich finde, auch im Blog hat jeder Mensch das Recht, auch mal nicht zu antworten, ohne dass das Gegenüber dann gleich eingeschnappt ist.

    1. Lieber Herr Kehrmann, ich antworte Ihnen auf jeden Fall. Warum nicht heute, möchte Ihnen bitte >>>> das da erklären.
      Vieles, übriges, teile ich, was Sie schreiben. Nur erstmal so viel/wenig. Und: Sie sind mir wertvoll als Gesprächspartner.
      ANH, verkatert.

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