Piropo und Programme ODER Ein Lehrstück in kultureller Codierung. Dieses nacherzählt am Sonntag Voritalien, dem 30. Dezember 2012, im hiermit vierten RauhnachtsTages- und Arbeitsjournal.

9.16 Uhr:
[Arbeitswohnung. Mozart, La clemenza di Tito (Kožená unter Mackerras).]




Es wurde spät mit dem Profi. Die Walnüsse, die Sie neben meinem Botanic Handshake sehen, einem gefährlichen Getränk, waren noch viel gefährlicher, nämlich zwei Tage in purem Whisky eingelegt. Wir wurden Zeugen, wie das von Nußaroma gesättigte Wasser zur weiteren Verwendung abgekippt wurde; die Nüsse selbst stellte uns der Barkeeper zum Knabbern hin.
Kurz standen wir draußen, zum Rauchen, in der nachweihnachtlichen Frühlingsnacht – die hohen Heizpilze fand ich völlig überflüssig -, als in einem Taxi ein Damenpaar herangefahren wurde. Es hielt, da war der Profi in maullosem Gespräche mit einer baslerischen Schweizerin, und die beiden Damen stiegen aus, die eine ältere, die andere jünger und von atembenehmender Schönheit. Nun mochte ich nicht weiterrauchen, zumal die Japanerinnen die Tür nicht aufbekamen, die in der Tat ausgesprochen metall- und glasesschwer im Rahmen hing. Man breitet dann, als Chevalier nun sowieso, unter den Füßen dieser Damen den Hineingang sozusagen aus. Dieses getan, wollt‘ ich aber nicht gleich folgen, sondern wartete, plauderte noch einen Moment, dann folgte ich aber doch. Da hatten sie unsere Plätze eingenommen und die Barkeeper unsere noch gar nicht ausgetrunkenen Gläser fortgeräumt. Hm, dachte ich. Ein Platz war noch frei. Der Profi kam und kam nicht, sondern blieb in seiner intereuropäischen Völkerverständigung engagiert, worin er ja ohnedies tätig ist. Ich bestellte nach und warf über die Schulter der Älteren und an ihrer Schulter, der rechten, vorbei immer wieder einen sanften Blick zur Jüngeren, die strikt japanisch selbstverständlich nicht reagierte; so unbewegt ihr Gesicht.
Wie auch immer, irgendwann kam der Profi wieder herein, irgendwann kam die Schweizerin dazu, die er schließlich heimfahren wollte, denn irgendwann brachen wir jeweils heimwärts auf. Und jetzt beginnt das Lehrstück.
Wenn mir jemand wirklich gut gefällt, ich aber nicht eigentlich auf Jagd bin, äußere ich mein Gefallen immer so, daß die Dame sich nicht beengt fühlen muß; aber auch andernfalls soll sie immer genügend Rückzugsraum behalten; es sind Komplimente bereits im Fortflug, die ich dann mache. Jedenfalls war ich bereits in Lammfellweste und Lederjacke und hatte den Schal um, als ich mich der schönen Japanerin näherte, um ihr, nach Art des spanischen Piropos zuzusprechen, aber über die Schulter, wie wunderschön sie sei, nur zu lächeln, mich leicht zu verbeugen und zu gehen. Sie aber nun? Selbstverständlich kein Lächeln, vielmehr ein Vorwurf: „Aber Ihr Freund ist unhöflich.“ „Oh“ – und indem ich links und rechts Ihre Schulter berührte: „Was hat er denn getan?“ „Darüber will ich nicht sprechen. Und ich will nicht angefaßt werden.“ Woraufhin ich meine Hände, es waren nur die Fingerspitzen, sofort von ihren Schultern fortnahm, sie aneinanderlegte und mich mit einem „Entschuldigen Sie vielmals“ kurz verbeugte.
„Was hast Du getan?“ fragte ich den Profi, als wir uns draußen vor der Tür, uns verabschiedend, umarmten. „Ich habe“, antwortete er, „keine Ahnung.“ Was ich ihm glaubte. Es wird irgend etwas gewesen sein, das in unserer kulturellen Codierung gar kein Problem ist, in der eines anderen Volkes aber sehr wohl; ein Blick kann es gewesen sein oder eine einfache Armbewegung, ein anders als bei uns besetztes Heben einer Braue. Was wiederum meine Berührung anbelangt, so hat die Frau sehr wohl etwas Richtiges gespürt, etwa Intimes, das sie als übergriffig erlebte, wenngleich niemand andres es so wahrnehmen würde; deshalb sprach sie, was hart grob zurückgegeben ist, von „angefaßt werden“, auch wenn es wirklich nur eine fast fliegende Berührung war. Die Härte ihrer Abwehr war nun ihrerseits verletzend, vor allem, weil sie sich auf ein Verhalten des Freundes bezog, das ich nicht eigentlich zu vertreten habe – in fremder Codierung aber vielleicht sehr wohl, weil der Freund für den Freund mitverantwortlich ist und verantwortlich auch gemacht wird: Was e r tut, tue dann auch ich. Wir haften füreinander, auch in der Versehentlichkeit.
Darüber dachte ich nach, als ich wieder auf dem Fahrrad saß und doch immerhin, nach Durchqueren des in die Nacht gesunkenen Tierparks, mit diesem Blick entschädigt wurde:


Noch jetzt und jetzt wieder denke ich über das Vorkommnis nach und bin eigentlich, wiewohl ein wenig bedrückt, dankbar für die Zurückweisung. Denn sie gibt mir eine ganze Szene der Yüen-Ling-Erzählung vor, vielleicht mehr eine Stimmung als eine Szene: dieses Gefühl, seelisch auf den Zehenspitzen gehen zu müssen, wenn ich mich der südchinesischen Dichterin nähere und zugleich, eben, in der Distanz bleibe, die den >>>> Akt des Abschreibens in der Erzählung ganz besonders spannen wird.

Noch einmal zum Piropo. Dies, ich schrieb in Der Dschungel schon drüber, ist ein auf der offenen Straße meist nur geflüstertes Kompliment im Vorübergehen, das Männer fremden Frauen widmen. Bisweilen sind es poetische Gebilde der innigsten Flüchtigkeit. Ich begegnete ihnen zum ersten Mal in den Mitachtzigern in Barcelona, wobei nicht ich ihnen begegnete, sondern Do, und zwar, wann immer sie alleine spazierenging. „Dann ist es, weißt du, als würde man dauernd kurz geküßt… unverbindlich, niemand dreht sich um, aber man ist von Komplimenten wie u m w e h t. Das hat eine solche Selbstverständlichkeit, ich bin ganz berückt.“ – Weil mir dies immer nachging, sprach ich dreivier Jahre später die große Spanisch-Übersetzerin >>>> Elke Wehr darauf an. Sie lächelte, bekam einen verklärten Blick und klärte mich dann auf. – Der schönste Piropo, übrigens, den ich kenne, geht so:

Wie gern ich eine Ihrer Tränen wäre! Ich würde in Ihren Augen geboren und
lebte auf Ihren Wangen. Auf Ihren Lippen aber stürbe ich.

Und nun Mozart mit Kožená. Aber Mozart, ich weiß nicht, warum, ist wirklich nicht „mein“ Komponist – abgesehen freilich von Il nozze und Così und einigen Orchesterstücken. Das meiste tändelt mir zu viel, immer seh ich Rüschen an den Manschetten.

Zweiter Latte macchiato, erster Morgencigarillo. Ich werd mich jetzt an die Reisevorbereitungen machen. Heute abend noch einmal Familie und zum letzten Mal der Weihnachtsbaum. Ansonsten Vorbereitung der >>>> Giacomo-Joyce-Texte und vielleicht Frau Yüen-Ling. Und der Essay steht aus; noch immer aber weiß ich nicht, wie lang er eigentlich werden soll, bzw. darf. Dazu das Sterbebuch, für das dieses ausführliche Exposé geschrieben werden muß; >>>> mare wartet drauf. Ich bin aber scheu. Irgendwie ist es mir unheimlich, daß ich ein Sterbebuch schreiben will:

Guten Morgen.

3 thoughts on “Piropo und Programme ODER Ein Lehrstück in kultureller Codierung. Dieses nacherzählt am Sonntag Voritalien, dem 30. Dezember 2012, im hiermit vierten RauhnachtsTages- und Arbeitsjournal.

  1. So schnöde … … über Mozart? Das erschüttert mich.
    Wie heißt es doch in meinem Gedicht

    “Come in quest’ ora bruna”
    ….
    Die alten Opern
    noch einmal gehört.
    Den Mozart ganz,
    auch Verdi, Gluck und Haydn.

    Bis Stimme sich auf Stimme türmt
    und unversehns dich ein Sopran betört.
    Mein Gott, wenn jetzt die Callas sänge!
    Du würdest dich entscheiden.

    Für heute und für manches Jahr,
    im großen Operhaus der Welt,
    ein Abonnent zu bleiben.
    —-
    Ich wünsche Ihnen eine gute Reise und dass Sie sich eines anderen besinnen, was Mozart betrifft.

    1. @PHG. Ach, mein Verhältnis zu Mozart… das ist eine lange Geschichte und immer wieder unentschieden. Es gibt Stücke, die ich von ihm liebe, das Requiem, selbstverständlich, die beiden moll-Klavierkonzerte, die späten Sinfonien und, wie geschrieben, Così und Nozze. Anderes geht nur in bestimmten Interpretationen an mich, etwa von Gould. Aber das meiste halt ich einfach für Pop. Es berührt mich nicht, erzählt mir auch nichts.

      So, und jetzt muß ich los.

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