Romane. Im Arbeitsjournal des Montags, dem 13. Juli 2015. Und: Gedichte.


[Arbeitsjournal, 7.35 Uhr
Morgenpfeife, Café au lait]

Wie sehr ich die Zahl 13 schätze, wissen Sie. Aber kann das angehn, daß – hat man einige Zeit zu viel getrunken, viel zu viel, und schiebt dann einen alkohol„freien“ Monat ein – man eben abstinenzhalber aufwacht, als wäre man vornachts betrunken gewesen? Doch zum Sport ist momentan keine Zeit, auch wenn ich gestern bereits, für die bei mir in Auftrag gegebene Anthologie, die Hälfte aller Gedichte zusammenbekam; die andere Hälfte steht heute an; ist das fertig, geht‘s an die Reihenfolge, die ich gestern nur skizzierte. Drei der ausgewählten Texte möchte ich selbst übersetzen, ein Pound ist dabei. Ich habe darauf zu achten, daß sie rechtefrei sind. Vier mir wichtige, noch lebende Lyrikerinnen möchte ich allerdings dazutun und durchsetzen.; es ist hübsch, sie in einer Klassikersammlung mit vertreten zu wissen, auch, aber vielleicht gerade, wenn es sich um eine „Gebrauchssammlung“ handelt, die für ein, sagen wir, „einfaches“ Leser(innen)publikum gedacht ist und darum in jeder Bahnhofsbuchhandlung ausliegen wird.
„UBoote“, sagte Do immer. Vier kleine UBoote.
Jedenfalls hab ich mal wieder verschlafen; erst um kurz nach sieben bin ich auf.
Als erstes gleich noch einmal über >>>> „Das Schwarze Museum“ gehen, Papierkorrerktur, danach Fehlerberichtigung und Ergänzung/Revision in die Datei übertragen und raus damit. Haken dahinter. Und wieder an die Anthologie; übrigens gebe ich sie unter dem Namen einer der >>>> Wolpertinger-Hauptpersonen heraus, was der Angelegenheit einen Pfiff gibt.; zur Zeit liest >>>> Phyllis Kiehl das Buch und hat ihm bei TT sogar >>>> eine eigene Rubrik gewidmet. Zwischendurch sprechen wir immer mal darüber, wobei ich erfahre oder zu erfahren meine, wie quer meine Ästhetik zu den „Leser-“, hm, „-usancen“ steht; es macht mir einiges begreifbar, weniger die Reaktionen als die Nichtreaktionen. Auch >>>> Schnell hat mir letzte Woche, zu nunmehr >>>> Argo, gesagt, wie schwierig er die Lektüre gefunden habe. Das beschäftigt mich. Ich habe diese Bücher ja nicht bewußt-komplizierend, sondern lustvoll und für Lust geschrieben, ihre Verschränkungen und Brüche sollen die Spannkraft e r h ö h e n, ihre gleichsam Körperspannung, und für mich selbst ist dies auch so. Für andere aber offenbar nicht.
Auch deshalb die Erlösung, die das >>>> Traumschiff, scheint es mir, auslöst. Leser:innen, a l s solche (nicht unbedingt auch im sonstigen Leben), sind zutiefst konservativ. „Endlich bleibst du mal bei Person und verläßt sie auch nie! Man muß nicht dauernd umdenken“, ‚umfühlen‘ wird er gemeint haben. So auch Kiehl: „Diese Vielstimmigkeit! Entweder graust es einem vor ihr, oder man will sie sein, nicht nur lesen. Der Bienenschwarm in Ihrem Kopf.“ Immer wieder einzelne Sätze, die man behalten wolle, die nachwirkten, aber eben unter Hunderten anderen, man bekomme gleichsam keine Luft.
Interessant ist dabei, daß es zu solchen Schwierigkeiten nicht kommt, wenn ich selbst die Texte vortrage; dann ist immer, sofort, die Melodie d a und alles, was man mir z.B. an Manierismen vorgeworfen hat und vorwirft, völlig natürlich, ja durchsichtig, gerade auch die Vielstimmigkeit. Beim Selberlesen wird sie als schwierig empfunden. Wie bekomme ich es also hin, daß sich die Klangwelt auch im Kopf, wenn er alleine, lesend, wahrnimmt, herstellt, ohne auf Formen des 19. Jahrhunderts zu regredieren?
Ja, ich wollte und will poetische Polyphonie. Und damit eben Gleichzeitigkeit – so, wie sie um uns herum permanent wirkt. Eine Romanfo<rm, die ihr entspricht, sie ausdrückt und sie außerdem transzendiert.
Kiehl sagt, bei mir müsse man sich schon v o r der Lektüre einlassen wollen, sonst funktionierten diese Bücher nicht, sondern führten zur Abwehr. Dabei, denke wieder ich, ist doch genügend drin an Material der Verführung. Nur lockt eben andere nicht so wie mich: die Fremdheit, sondern sie suchen und wiedersuchen Vertrautes. Das, ganz offenbar, gebe ich ihnen nicht. Dabei kann das Vertraute durchaus eine gemeinsame moralische Überzeugung sein. Weicht man von der aber nur drei Schritte ab, wird eine geradezu instinktive, ich möchte fast „phylogenetische“ sagen, Abwehr gefüttert.
Das Problem ist, daß ich moralische Überzeugungen nicht teile, sondern letztlich dem meisten ambivalent gegenüberstehe und meine Texte das so auch ausdrücken lasse. Jedes Phänomen hat auch moralisch mehrere Seiten, oft zugleich, obwohl einander widersprechend. Mein Leblang habe ich versucht, diese inneren Widersprüche möglichst unvoreingenommen zu gestalten, für sie literarische Formen zu finden. Vielleicht werden erst spätere Generationen beurteilen können, ob es mir gelungen ist. Auch ich selbst kann es nicht, kann es nur glauben oder muß es selber bezweifeln. Täte ich letztres aber, dann müßte ich aufgeben; es wäre irre, damit weiterzuschreiben..
Nun stellt sich aber überhaupt die Frage, ob Literatur, namentlich die Romandichtung, nicht insgesamt eine unserer Zeit nicht mehr gemäße Kunstform ist. Wo sie großen Erfolg hat, hängt sie ästhetisch, von sehr wenigen Ausnahmen abgesehen, tatsächlich im 19. Jahrhundert fest, und genau das wird an ihr genossen; ihr Realitätsbegriff ist ein gänzlich ‚unrealistischer‘., Nur was bringt es, das noch und noch zu wiederholen? So zu tun hat etwas von einer in ihrer sofort erkennbaren Vergeblichkeit lächerlichen Beschwörung.
Ich, nach wie vor, beschwöre den Roman. Rainald Goetz hatte vielleicht recht, als er, zu >>>> Thetiszeiten, in einem Tagebucheintrag ebendas verspottete. Aber der Roman allein, mit dem Anspruch auf seine erzählerische Geschlossenheit – auf, also, „die große Erzählung“ – bei gleichzeitiger Polyphonie, die nicht nur formal, sondern auch auf die objektiven Phänomene mehrwertig fokussiert ist, vermag die Wirklichkeit zu erfassen, ohne sie in jeweilig erzählte Einzelteile zu zerspalten. Ich glaube dies, für die Literatur, nach wie vor. Das hat nicht zuletzt auch eine politische Dimension, umfaßt auch die Bildung, mit der wir umgehen können müß/ssten, also geschichtliche Interdependenzen. Wir begreifen sie nur, wenn wir wissen, und dieses Wissen muß uns Lust sein.
So gesehen, literarästhetisch, ist das Traumschiff ein Regreß – aber einer, hinter dem ich gerne stehe, weil ich über das, was ich mit >>>> Wolpertinger und >>>> Anderswelt geschrieben habe, ästhetisch kaum mehr hinauskann. Es ging mir, im Traumschiff, u.a. darum zu zeigen, daß ich sehr wohl Persönliches, Inniges zu erzählen weiß und daß meine Personen sehr wohl Personen sind, mit denen es sich lachen und mitleiden läßt, ja, identifizierend, aber in den komplexen Strukturen der, von ihrem Umfang betrachtet, „großen“ Romane nimmt man das offenbar nicht wahr, braucht die Fokussierung auf immer nur das Eine. Ich hatte gestern sogar den Impuls, ein paar der in den Romanen erzählten Geschichten aus ihnen herauszulösen und noch einmal je für sich zu erzählen. Aber das ist Unfug, weil‘s mir an neuem Material nicht gebricht und überhaupt noch bestimmt ein halbes Hundert kleinerer Erzählungen hier als Skizzen herumliegen, die ausgeführt werden könnten oder gar sollten.
Die Frage ist, ob man, wenn denn die Rezeptionsweise entwickelt genug sein wird, überhaupt noch Bücher lesen wird, überhaupt noch Romane. Momentan denke ich, wenn überhaupt eine Literaturgattung, die zeitgenössische Formen entwickelt, Überlebenschancen hat, dann ist es die Lyrik – genau das, was derzeit am allerwenigsten gelesen, jedenfalls gekauft wird. Dennoch, das ist tatsächlich nicht ohne persönlichen Wahn, mache ich mit den Romanen weiter.

>>>> Robert HP Platz rief an. Er möchte nun bald meinen Text für sein Viertes Streichquartett haben; die Uraufführung ist für 2017 avisiert. Und >>>> Mathias Bothor hat mir zwei seiner Fotografien freigegeben. Danke dafür.

9 thoughts on “Romane. Im Arbeitsjournal des Montags, dem 13. Juli 2015. Und: Gedichte.

  1. sprache als schwelle so wesentlich und entscheidend die sprache als werkzeug für den schriftsteller ist, so schwer tun sich oft (auch durchaus wohlmeinende leser) mit dem zugang zu derselben. wenn sie etwa, lieber herr herbst, ihre eigenen texte vortragen, dann feiern sie jedes wort und den zusammenklang mit nachher erklingenden und bereits verklungenen worten. der gemeine leser vermag das bei einer lesung zu genießen (und findet so auch für die zeit der lesung dank ihrer interpretation in das werk), kann diesen im besten sinne elaborierten zugang für sich selbst aber danach oft nicht finden.
    mir ging es damals mit doderer so. der erste versuch, die strudlhofschwarte zu durchmessen scheiterte nach 100 seiten. der zweite nicht minder. erst während des dritten versuches, als ich doderer selbst von einer CD eine seite seines romans vorlesen hörte, verstand ich (durch seine sehr manirierte und unfassbar überdehnte aber auch durchrythmisierte lesart) den sprachlich-vergnüglichen teil des ganzen und kam so in das buch.
    ich könnte mir denken, dass viele leser gerade bei sprachlich sehr geschliffenen romanen diese schwelle als sehr hoch empfinden und daher abgeschreckt sind – sie erwarten sich ihre eigene sprache (wobei dieser wunsch zwar nachvollziehbar, aber auch schade ist), wollen hineingeführt werden in die verflechtungen und vielschichtigkeiten – oder aber haben schlicht und einfach nur das bedürfnis eine geschichte erzählt zu bekommen und sind an sprachlicher geschliffenheit gar nicht interessiert – wollen also in ein anderes bauwerk.

    das alles ist bedauerlich. aber auch nachvollziehbar: die wellenkämme bleiben oben, nur wenige können sie erfassen; unter der oberfläche spürt man ihre bewegung, ihre gewalt. aber man kann sie nicht begreifen.

    1. @david ramirer. Dafür spricht in der Tat vieles, und es läßt sich auch keiner/m verübeln – außer vielleicht Berufslesern, insoweit sie öffentliche Urteile fällen. Selbst denen ist freilich zuzugestehen, daß sich manches oft erst im historischen Abstand errfassen läßt. Die Leser und Kritiker etwa Kleists waren ja keine dummen Leute, sondern durchweg hoch gebildet; dennoch vermochten sie zu erfassen, außer dem großen Wieland quasi niemand, was ihnen da vorlag. So etwas mag für heute nicht minder gelten. (Denken Sie, um die uns beiden nahe Musik zu nehmen, wie Joachim über Brahms’ Violinkonzert schrieb und für wie nebensächlich Bach galt, um von den ersten Kritiken zu Mahlers Sinfonien besser ganz zu schweigen.)
      Schmerzhaft ist, welch spröde Weise man sich das einsam fühlt, ausgeschlossen quasi, weil übertragungs-, vor allem aber hilflos, wenn man sieht, welcher Art Prosa im allgemeinen der Vorrang auch von denen, gegeben wird, die es besser wissen könnten, ganz besonders aber, wenn selbst nahe Freunde nicht wirklich verstehen. Immerhin, einige von ihnen glauben, doch grosso modo ohne tatsächliches Verständnis, bzw. emotionales, das ist extrem wichtig, Einverständnis. Denn was wir nur denken, ist letztrangig: immer Rationalisierung.

    2. sprache als musik sie sprechen naheliegend die musik an – und sprache ist, wenn sie einen so hohen grad der perfektion erreicht wie bei ihnen, wohl nicht ohne auch einem tieferen musikverständnis bei den lesern erfahrbar – diesfalls auch emotional. all das, was sie wissen, was sie sind, herr herbst, emaniert ja durch ihre sprache in ihren büchern… und das ist nicht wenig, und es erfordert vom leser keine geringere hingabe als sie als autor sie beim schreiben hatten.

      es ist diese “andere seite des spiegels”, der ja vor allem dann, wen man sich in weit ausgreifende ebenen vorwagt, nur wenige gegenüberstehende finden kann… eben weil jedes wort in einem umfange an seinem platz ist, dass das werk in die zukunft und die vergangenheit ausstrahlt. da ist man gezwungenermaßen stark alleingelassen, weil kaum wer so weit zurückzutreten imstande ist.
      die viele arbeit baut den turm.

    3. schwellenangst vor sprache (@anh&david ramirer): vor ihr, der ungewohnten, vielleicht unbekannten sprache zurückzuschrecken, kann passieren. doch wie fast jeden schrecken lässt sich auch dieser abbauen. man kann sich und andere trainieren die schwelle zum ungewöhnlichen zu überschreiten. so trainieren, dass man die schwelle irgendwann sucht, dass einem alles, was übergangslos oder mit minimalem anstieg zugänglich ist, zu absurd trivialem wird.

      das achtzehnte jahrhundert hätte von geschmacksbildung gesprochen.

      wann immer ich mit jungen lesern zu tun habe, versuche ich, ihre neugier auf das zu wecken, was hinter solchen schwellen liegt: schwellen zur sprache, zu figuren-konzeptionen, vielleicht sogar zur “fremden moral” (unter denen Ihre, anh, ja nicht einmal die fremdeste ist).

      zum schluss ein statement, das wiederholt, was der eine oder die andere schon weiß: ich habe sowohl den wolpertinger als auch die anderswelt, insofern sie zwischen zwei deckeln auftritt, mit großer lust gelesen. beides, anders als mein lehrer und mancher andere professionelle leser. — und lese immer noch! die in der dschungel oft berufenen jean paul, niebelschütz, thelen sind nicht nur gedroppte names. wie ihre großen romane kann ich auch das blau, thetis-buenos aires-argo immer wieder irgendwo aufschlagen, mich festlesen und einen aspekt herausgreifen, an den sich ganze gedankenketten, eben lustvoll, knüpfen lassen.

      schwellen-training, allerdings, ist vor allem bei lyrik dringend erforderlich. obwohl es ja meist kurze texte sind, obwohl einem also “so viel” gar nicht passieren kann; obwohl auch genug lyrik im netz abrufbar ist: zu wenige lesen (geschweige denn kaufen) sie.

      lesen, laut lesen und HÖREN!

      A.

  2. Gern hätte ich mich an den heutigen Überlegungen nicht nur als Zitierte beteiligt – leider war zuviel anderes.

    Der Wolpertinger, übrigens, ist ja beruhigend dick. Da sind noch viele Schwärme drin, die meine Grenzen aufmischen dürfen. Und können und sollen.

    Grüße!
    Phyllis

    1. klar hat es nach 19hundert in der musik keine polyphonie mehr gegeben.
      klar ist auch, dass alles geschriebene melodie sein kann.
      nun, klar, man muss halt aufpassen, oder die tonart wechseln, oder die tonhöhe, will man repressiver, durchsetzungsfreudiger sein

      mit den üblich-verdächtigen grüssen

    2. was ist denn wirklich an ‘ antioedipus’ dran, von mir aus an ‘mille plateaux’
      ( guattari / deleuze )

      das entkörperlicht seinde, das frei-flottierende kapital, was eine eigendynamik entwickelte die dem “körperlosen” – sich nur noch in wie auch immer verlaufenden denkbewegungen befindlichkeiten einer schizophrenie ( ich : künstler ohne werk, nur am improvisieren, nur möglichkeiten durchspielend ohne aufzeichnungsanliegen ) …
      oder ist das echt das analogisieren ( anders : not the machine, maybe the cockroach )

      was ist an antioedipus dran, ausser dass die verantwortung nicht bei oedipus liegt sondern die eifersucht es vaters ( von oedipus ) darstellt, der weiss, dass ein nachkomme nur besser informiert sein kann ( nicht unbedingt handweklich besser ist )

      bitte um aufklärung

      warum sich durch voluminöse text körper quälen, wenn geist ( als teil des körperlichen ) nur ein haufen scheisse ict, was sich durch seminare durchrudert um dann irgendwo zwischen laotse und horkheimer durchhängt.

      por favor –

    3. musik hatte doch weder kraft noch eindeutigkeit : und das – also die kraftlose uneindeutigkeit der musik – wollen sie ernsthaft reklamieren, sie träumer ?

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