Schwulenästhetik und Opernnetz.

Na da schlagen die Wellen aber hoch! Auf meine Kritik zu Deflos „Manon Lescaut“-Inszenierung im Opernnetz geht dort folgender Beschwerdebrief ein:

Sehr geehrte Damen und Herren,

beim Lesen der Rezension von Manon Lecaut (Berlin), verschlug es mir doch
direkt zu Beginn die Sprache. Was ist denn bitte Schwulenästhetik? Gibt es auch Heterosexuellenästhetik? Folgt man den Ausführungen Ihres Autors, so soll hier der Regisseur versuchen, ein ästhtisches Konzept auf eine Oper zu passen, wo es nicht
passt. Kann man das nicht anders formulieren? Muss es zu solch überflüssigen
Formulierungen kommen???

Der Terminus “Schwulenästhetik” (den ich in sich schon für höchst
fragwürdig halte), bekommt hier einen negativen Beigeschmack, der auf
homosexuelle Lebenskultur abfärbt, ja darauf abzielt, dieser Lebenskultur
einen negativen Anstrich zu geben. Dies finde ich in hohem Maße
diskriminierend und mehr als ärgerlich. Als homosexueller Mann fühle ich mich beleidigt und fordere Sie hiermit auf, eine Entschuldigung oder eine entschuldigende Stellungnahme des Autors dem Artikel beizufügen!

Ich las bisher die Kritiken ihrer Seite sehr gerne, aber das ist zuviel. Vielleicht sollte man in Zukunft doch lieber auf andere Seiten wechseln…

MfG und der dringenden Bitte um Stellungnahme

S. J.

Darauf nun meine Antwort:

Sehr geehrter Herr J.,

das Opernnetz leitet mir soeben Ihren Brief weiter.

Um den Begriff zu erklären: Ich unterscheide sehr wohl zwischen “Schwulenästhetik” und einer homosexuellen Ästhetik. “Schwulenästhetik” ist ein Begriff, der etwas Karikaturhaftes meint. Ich habe das in einem anderen Brief s o erklärt und bin durchaus bereit, das auch öffentlich durchzudiskutieren:

Der Begriff ist, konkret, also realistisch genommen, unscharf. Ich weiß. Er hat aber eine symbolische Aussagekraft, die ähnlich gesehen werden muß, wie wenn man in der Kunst von „weiblicher“ Ästhetik oder von einem machistischen Zugriff spricht. Daß etwas so sei, setzt zum einen nicht voraus, daß der jeweilige Künstler tatsächlich homosexuell ist oder eine Frau oder ein „Macho“, sondern die Erscheinung drängt sich durch. Zum anderen hat Burgess völlig recht, wenn er in „Earthly Powers“ davon spricht, daß es „den“ Schwulen nicht gebe; vielen merkt man ihre erotische Ausrichtung so wenig an wie manchen Frauen, die, würde man sagen, eher männliche Neigungen haben. Dennoch bleiben die Begriffe „männlich“, „weiblich“, „schwul“ in durchaus praktikabler Funktion: Es sind erkenntnistheoretisch nützliche Ideen, also Modelle.

(…) Damit, daß ein Künstler homoexuell ist, hat der Begriff sowieso nichts zu tun. Ich hätte sonst allenfalls von einer „homoerotischen Ästhetik“ gesprochen, die es, in Ansätzen jedenfalls, tatsächlich gibt: durch Proust leuchtet sie in ihrer „weiblichen“, bei Genet in ihrer „männlichen“ Form. Da würde ich niemals von „Schwulenästhetik“ sprechen. Vielmehr hat „Schwulenästhetik“ etwas Karikaturhaftes, das seinen Gegenstand – vielleicht aus Gründen einer Geschlechtsindifferenz – veruneigentlicht und allen anderen Stoff dann gleich mit.

Auf solche Begriffs-Modelle Rücksichtnahmen anzuwenden, die kategorial zur “political correctness” gehören, halte ich für verhängnisvoll. Ich kann ganz gut damit leben, daß auch mir in Kritiken etwas nachgesagt wird – der Machismo nämlich. Wollte ich das immer gleich auf mich persönlich anwenden, käm ich nicht mehr zum Wesentlichen: nämlich dazu zu d e n k e n.

Mit bestem Gruß

ANH

5 thoughts on “Schwulenästhetik und Opernnetz.

  1. …UND ES GEHT WEITER: Sehr geehrter Herr Herbst,

    vielen Dank für Ihre prompte Antwort.

    Ich finde es bemerkenswert, dass sie selbst eingestehen, dass der Begriff Schwulenästhetik “unscharf” ist. Auch wenn ich Ihren Ausführungen (bedingt) folgen kann, so geht es mir im Kern doch darum, dass dieser Begriff und damit der Begriff des Schwulen in einem negativen Kontext erklingt, der (ohne den mitgelieferten und hochdiffizielen Charakter) an dieser Stelle keineswegs angebracht erscheint.

    Selbst mit der Kenntnis Ihrer Ausführungen, liest sich die “Schwulenästhetik” immer noch sehr abfällig und auchw enn sie den Begriff schwul sehr speziell definieren (oder auch eben nicht), so geht es mir auch darum, was sich dem “normalen” Leser erschließt. Auch dies sollte man als Journalist nicht außer acht lassen!

    Ich fordere Sie daher nochmals eindringlich auf, eine entsprechende Erklärung dem Artikel beizufügen. Diese Mail geht in Kopie erneut auch an opernnetz.de. Desweiteren sehe ich auch durchaus die Möglichkeit, diesen Fall mit der Ruhr-Universität Bochum zu debattieren.

    MfG

    S. J.


    Darauf wieder ich:


    Sehr geehrter Herr J.,

    das ist nun wirklich albern. Wenn Sie die Angelegenheit mit der Uni Bochum debattieren möchten, dann steht Ihnen das selbstverständlich – verzeihen Sie, wenn ich lache – absolut frei.

    Ich würde an Ihrer Stelle auch versuchen, wenn es das gibt, den Schutzverband Deutscher Homosexueller um Hilfe zu ersuchen. Schon als Mitglied einer bedrohten Gruppe und selbstverständlich aus Quotengründen. Des weiteren empfiehlt sich eine Eingabe an das Familienministerium.

    Ich habe mir erlaubt, diesen Briefwechsel (selbstverständlich ohne Ihren Namen) in mein Literarisches Weblog einzustellen.

    Mit den besten und immer noch lachenden Grüßen

    Ihres ANH

  2. Und er droht und er schäumt! Sehr geehrter Herr Herbst,
    wer zuletzt lacht, lacht ja bekanntlich am besten! In der Tat werde ich die Sache dem LSVD mitteilen, sowie den leitenden Stellen für das Projekt Opernnetz. Ich sehe es nicht ein, dass derlei Diskrimninierung förderndes Geschmiere unkommentiert veröffentlicht wird.
    Ihr Häme ist hier vollkommen Fehl am Platz, da sie sich der Reichweite Ihrer Äußerung offenbar (als vermutlich nicht Betroffener) nicht bewusst sind.
    Ich finde dies sehr bedauerlich, aber wir werden sehen…
    S.J.

  3. Lieber Alban, wenn Sie »Fummeltuntenästhetik« geschrieben hätten, hätte ich mir etwas darunter vorstellen können. Schwulenästhetik hingegen ist so unspezifisch (wie auch weibliche Ästhetik, by the way), dass es diskriminierend aufgefasst werden muss, weil die Gruppe der Schwulen so heterogen ist, dass es schlechterdings unvorstellbar ist, dass diese Gruppe EINE bestimmte Ästhetik haben sollte. Für »Fummeltuntenästhetik« hätten Sie auch Leserbriefe bekommen, aber immerhin wäre das spezifisch gewesen. Die eigentlich hier angebrachte Kritik am Autor wäre gewesen, ungenau formuliert zu haben.

  4. Lieber Benjamin, wenn wir alles aus der Welt schaffen wollten, das irgendwie “aufgefaßt” werden kann, dürften wir zwei Drittel aller Bücher abschaffen, um fortzusetzen, was in den USA mit Mark Twain schon durchgeführt worden ist. Es gibt aber in der Tat Erscheinungshöfe sowohl hetero- wie homosexueller Milieus, die schlichtweg da sind, ohne daß ich, wenn ich sie nenne, damit sogleich eine Wertung verbände. Aber nennen dürfen muß ich sie können. Daß im vorliegenden Fall der Begriff unscharf war, wie ich auch selbst schrieb, spricht eher für seine Verwendung, gerade weil, wie Sie schreiben, EINE bestimmte Ästhetik der genannten Gruppe unwahrscheinlich ist. Vielmehr wissen auch diejenigen in ihr, die der genannten Ästhetik nicht zuneigen, durchaus genau, was gemeint ist.
    Ob es eine weibliche Ästhetik gibt, ist meines Wissens übrigens nach wie vor in der Diskussion. Ich kann mir aber gut vorstellen, daß Frauen aufgrund ihrer organischen, von denen von Männern unterschiedenen Disposition andere Ästhetiken entwickeln als eben wir. Notwendigerweise muß auch dieser Begriff, also weibliche Ästhetik, unscharf sein und es auch bleiben, eben wegen der genannten Einwände. Daß etwas unscharf sei, heißt aber nicht, daß es nicht sei, sondern nur: daß wir nicht funktional definieren können, und wir können es in manchen Fällen nicht, weil etwas mehr sein kann und meistens auch ist, als das, was es funktional bedeutet. Genau deshalb habe ich auch immer wieder von Bedeutungshöfen gesprochen, und genau deswegen bin ich gegen die Durchreglementierung unserer Welt.

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