Selbstmitleid in der Kunst. Pettersson-Requiem. Allan Pettersson (16).

Der Skandal, für den Pettersson steht, ist ein objektiver: Es genügt nicht, daß einer Musik macht, die spricht, es genügt nicht das Eigene an ihr und schon gar nicht ihr Bekenntnischaracter; er ist dem Betrieb sogar hinderlich. Sondern sie soll handwerklich dem Anspruch genügen, einem akademischen und, vor allem, kunstideologischen. Tut sie es nicht – obwohl sie unvergleichlich umfassender klingt und sehr viel direkter greift, als das meiste dessen, d a s ihm entspricht -, tut man sie mit Hinweisen auf eine Selbstmitleidigkeit des Komponisten ab, also mit einem moralischen Urteil über einen körperlich Schwächeren, der zudem keine Lobby hat – als wäre eben diese körperliche Schwäche, als wäre Krankheit ein Vergehen, das jemanden dann als nicht satisfaktionsfähig disqualifiziert, wenn er von ihr nicht absehen kann. >>>> Trojahn schreibt dazu – und fühlt damit das unterschwellige Unbehagen genau heraus: „…scheint mir (..) vieles in seinem kompositorischen Werk eine Schuldzuweisung zu enthalten an den, der gerade nicht leidet“. In der Tat. Die Musik hat den Blick der Darbenden auf dem Steg zum Grabmal Hadji Ali Dargahs in der Mahim Bay vor Bombay. Diese inszenieren ihre Versehrungen auch, aber sie h a b e n sie und haben sie nicht etwa nicht. Übersehen wird bei solch moralischer Abwehr zweierlei, eines davon ist für Künst selbstschädigend: Unterhaltende Formen, denen Komplexität und Genauigkeit egal, ja zuwider sind, scheren sich von vornherein nicht um den Akademismus und wirken deshalb unmittelbar, und zwar durch Kitsch, auf die Hörer. Der Kitsch seinerseits verrät seinen Anlaß und schändet ihn sozusagen zum zweiten Mal, weil er ihn aufs pekuniäre Interesse des Marktes erniedrigt, das Leiden also zur Ware macht. Das genau tut Pettersson nicht, seine Musik wirkt, obwohl er beim eigenen Leiden b l e i b t, und zwar t r o t z ihrer enormen Komplexität. Das gibt ihr diese besondere Wahrheit. Zum anderen, und das ist wichtiger, wird übersehen, daß es einer großen Kunst sehr wohl gelingen kann, das dennoch bestehende persönlich-Eigene – individuell eigenes Leiden, eigene Schmerzen, eigene Not – in ein Allgemeines zu transzendieren, und zwar unabhängig davon, ob das Eigene bewußt verlassen wird oder ob der Künstler sich, wie wahrscheinlich Pettersson tat, zu seinem persönlichen sekundären Krankheitsgewinn daran festklammert – dem einzigen Gewinn, den er wohl kannte. Es gehört zur einfachsten Menschlichkeit, das einem derart Geschlagenen zuzugestehen. Die Transzendenz ergibt sich (oder ergibt sich nicht) rein unabhängig davon. Sie s e t z t sich: mit jedem Hörer mehr, der bereit ist, sich einzulassen. Dafür spricht, daß man über den Komponisten überhaupt nichts wissen muß und meist auch wirklich nichts weiß, legt einem diese Musik ihre Hände – immer beide! – um die Schädelseiten und drückt sich durch diese Hände für immer hinein. Sie läßt sich fortan nicht mehr vergessen, nur noch verdrängen. Das spürt >>>> Trojahn ebenfalls und affirmiert – „vorläufig“, schreibt er – die Verdrängungsbewegung: „Mein Abschied von Pettersson ist also der Abschied des zu nahe Gekommenen, dessen, der auch eigene Unvollkommenheiten entdeckt hat an ihm und gleichsam den Auslöser des Unbehagens flieht, um noch selbst überleben zu können.“ ‚Klassischer’ läßt sich psychische Abwehr gar nicht beschreiben. „Pettersson ist nicht“, konstatiert Trojahn, „der letzte Vertreter einer großen Tradition, er ist der einzige Vertreter einer gigantischen Individualität, die den verbrennt, der sich ihr nähert.“

Angst vor dem Feuer.

[Poetologie.]


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