Dienstag, der 15. November 2005.

4.44 Uhr:
ARGO, Teil III: Überarbeitungsphase von der Rohfassung zur Ersten Fassung. Das bedeutet, daß keine Musik während der Arbeit gehört werden darf. Der Blick auf die Struktur, auf Überflüssiges, Heraushängendes usw., vor allem aber das auf den Klang gerichtete Ohr verlangt Stille, bzw. ein Raunen, das der Alltagshintergrund von hinter mir durchs Fenster (Kinderschreien von der Schule her, Baulärm, ferne Stimmen) und per Computerrauschen bereitstellt. Jeder andere direkte Laut würde stören.

Lange gestern noch mit U. und G. im TORPEDOKÄGER gehockt und meine alkoholfreien Biere getrunken. Gespräche über Die Dschungel und über meine Liebe zu meinem Jungen und zu ***. „Probier esdoch einfach mal aus, ob du ohne dein Kind überhaupt sein kannst,“ sagt Ursula, „ich weiß, das klingt schrecklich, aber so kannst du erfahren, ob die Gedankenlast, die du mit dir herumschleppst, überhaupt mit einer möglichen Realität Kontakt hast. Nutz doch das Bamberg-Stipendium nächstes Jahr, bleib mal einen oder zwei Monate weg und schau, wie sich das anfühlt.“ Und wegen *** sagt sie, nachdem ich von dem Zusammenbruch am Sonntag und dem Gespräch danach erzählte: „Schau mal, wenn sie ein harmonisches, leises, nach innen gekehrtes privates Leben möchte, wenn sie Leichtigkeit möchte: das kannst du ihr doch gar nicht geben. Du b i s t öffentlich, die Arbeit eines Künstlers ist i m m e r öffentlich, und gerade du stehst in ständigen Kämpfen, wirst angefeindet, wehrst dich, m u ß t dich wehren… das ist alles ganz richtig, wenn du und w e i l du Avantgarde bist und es auch sein willst: aber mit einem glücklichen privaten Familienleben, wie sich *** das offensichtlich ersehnt, hat das nichts zu tun. Du k a n n s t sie gar nicht glücklich machen; selbst wenn sie dich tatsächlich weiterliebt und wenn ihr wieder zusammenkämt: überleg mal, ob das tatsächlich zu ihrem Besten wäre.“ Und dann sagte sie noch: „Frauen sind anders als Männer; sie lassen sich nie 100%ig auf eine obsessive Liebe ein, vielleicht 90%ig, vielleicht 98%ig, aber 2 % sind da immer in ihnen, die sind nicht-Obsession. Und diese sagen: Sei vorsichtig und guck schon mal, wo du den Karren später wieder aus dem Dreck fahren kannst. Männer lassen sich oft v ö l l i g ein, aber wenn es vorbei ist in ihnen, dann sind sie auch ganz schnell wieder weg. Die Frau aber steht da mit dem Kind. Potentiell ist sie nämlich immer Mutter, sie hat i m m e r das Kind, auch wenn sie k e i n e s hat, und deshalb verwahrt sich vorsichtshalber ihr Instinkt. Ein Teil in ihr schaut immer nach Feinden und nicht nach dem Mann.“

Und jetzt kreisen meine Gedanken noch und wieder um die anonymen Angriffe aus dem Netz, mich betreffend, dieses Tagebuch betreffend, meine Vaterschaft betreffend: Es scheint mir immer klarer zu sein, daß versucht wurde und werden soll, mich zu provozieren, damit ich hier etwas schreibe, das im Prozeß gegen mich verwendet und vor allem gegenüber *** gegen mich ausgelegt werden kann, das zudem dazu führt, daß ich dieses Weblog schließe. Es soll weg: wie mein gesamtes Werk wegsoll und ich als Person wegsoll. Aber die Leute täuschen sich über meine Kraft. Ich gehe bis an die letzte Grenze, und das kann dauern, denn ich habe viel Energie. Sie derart einsetzen zu müssen, macht mich manchmal suizidal, das ist wahr, aber es gibt genug Gegenmächte, die mich am Leben halten: mein Sohn sowieso, aber eben auch die Vision eines fertigen unübersehbaren großen Literarischen Werkes, und zugleich und nicht zuletzt mein hartnäckig gesunder und durchtrainierter Leib, der immer wieder diese eigenartige, fordernd glühende Lebenslust aus mir hervorbrechen läßt.

Dreieinhalb Stunden Schlaf waren das heute nacht. Mein Körper macht das erstaunlich gut mit, nun schon wieder über ein halbes Jahr. Oder länger. Dabei ist heute der erste von zwei Monaten ohne Alkohol geschafft; er fehlt mir eigentlich nur zu Gelegenheiten eines gemeinsamen Essens, wenn hinterher gefragt wird, ob noch jemand gern einen Grappa hätte. Und ans Rauchen d e n k e ich gar nicht mehr.

Latte macchiato.
ARGO.

15.10 Uhr:
Man bekommt bei so vielen Atacken schnell mal eine Art Paranoia. Deshalb hab ich wohl >>>> den mir zugesendeten Virus für eine abermalige persönliche Attacke gehalten. Ist er aber nicht. Leser haben sofort reagiert und sich über die MailAdresse der fiktionären Website gemeldet.

9 km gelaufen, Krafttraining gemacht, aber rein hier in der Arbeitswohnung, was bestimmt komisch aussah. Doch begann es draußen zu regnen; was keine Freunde macht, wenn es zugleich kalt ist und man durchgeschwitzt ist. Dann geschlafen. Tief geträumt. Insgesamt leicht gedrückt, so auch wieder erwacht. – Es ist schade, daß ich mich von außen zwingen lassen muß, in die Ästhetik Der Dschungel einzugreifen. Aber es gab einen beruhigenden Briefwechsel drum:

ja, ich finde die entscheidung absolut richtig. es ist ihr blog. sie stehen damit für ihren namen und auch mit ihrem gesicht, die kommentatoren tun das weitestgehend nicht. sie machen von ihrem hausrecht gebrauch und das ist richtig.
Mit der ARGO-Korrektur weitergemacht, ist einigermaßen zäh; ich spüre deutlich die Anfangsschwierigkeiten bei diesem Dritten Teil. Immerhin hatte ich fast ein halbes Jahr lang seit dem Ende des Zweiten Teils nicht mehr an dem Roman geschrieben. Nun knüllt es sich in den Formulierungen, einiges ist unklar, überhängend usw. Da muß L i n i e rein. Was aufhält. Aber der Text ist ohnedies viel zu lang.