Donnerstag, der 22. Juni 2006.

7.30 Uhr:
[Miłos Bembinow, Seven Gates to Wildness für Cembalo solo.]
Knappe drei Stunden geschlafen, die Augen albinorot; erst denk ich: Scheiße, du hast die Kontaktlinsen dringelassen… hab ich aber nicht. Doch mit >>>> Titania bis morgens um vier telefoniert, als Zschorsch wegwar und auch die andren, von ihrem Fackelchenausflug aus dem Park rückgekehrt, schlafen gingen und es allmählich ruhig wurde. Da ist was Heikles, worüber ich auch noch mit >>>> June gesprochen hatte, heikel in dieser Situation, nicht an sich. Also, D. hat sich von ihrem Liebsten getrennt („ich k a n n das nicht, eine Frau zweiter Wahl sein, die immer zurücktritt, wenn die andere da ist; ich will das auch nicht sein“) und ist einerseits erlöst, weil sie entschieden hat, aber doch grundtief-traurig, voller Liebeskummer. So biet ich ihr an, nach Bamberg zu kommen, um zu sprechen, um Abstand zu gewinnen, was sie auch tun wird am Freitag. Mir ist das aber auch meinetwegen lieb, weil Freitag abend ein Concordia-Auflug in eine nahegelegene sogenannte „Kunstmühle“ stattfindet und es das Geschick so wollte, daß die Freunde alle verreist sind, quasi nur die Schotten mitkommen und halt eben auch die Kampflesbe. Ist nun eine so schöne Frau an meiner Seite, wird sich die Hardlinerin, denk ich mir, zurückhalten, zwar grrmpfend, aber doch so, daß wir nicht abermals aufeinanderknallen. Ansonsten wäre ich versucht, gar nicht erst mitzufahren. Problematisch ist der Besuch aber wegen der Frau, weil sie und D. enge Freundinnen sind, weil jene zu D. sowieso schon mal sagte: „Ich nehme doch keinen von dir Abgelegten!“ Und gar keine Frage, lägen wir zu zweit beisammen im Bett, forderten die Körper, was wir beide eigentlich je von jemandem anderes begehren. Auch das wäre okay, wenn man es weiß, stünde ich nun nicht gerade in diesem, ja, Kampf (Bloch: “KAMPF, NICHT KRIEG!” – ein erdenschwerer Unterschied). Meine einzige Beruhigung jetzt ist, daß mein Junge da sein, daß er zwischen oder neben uns liegen wird und daß uns das beide disziplinieren wird. Wäre dem nicht so: Leser, ich will den Begriffen >>>> Wutvögeln und >>>> Substitutionsvögeln nunmehr das zärtliche Wort eines Trostvögelns an die Seite stellen.

(À propos Sprache: Können Sie mitspüren, daß Composita wie „Wutpoppen“ oder „Trostpoppen“ nicht funktionierten, daß sie gänzlich hohl wären, bildete man sie, und daß deshalb der Begriff „poppen“ schon für sich gänzlich neben den Vorgängen liegt, absichtsvoll vielleicht, möglicherweise unbewußt – aber daß er verdrängen will, worum es eigentlich geht?)

Ui, ist diese Musik gräßlich. Polnischer NeoImpressionsmus. Sowas zwischen slawischer Folklore und Respighi, aber halt nicht mehr fin de siècle, und hat ohnedies nicht Respighis Kraft (>>>> “La Fiamma”!).. Es die Musik eines ehemaligen Villa-Concordia-Stipendiaten; die CDs kamen gestern ‚frisch’ im Sekretariat an, und ich schnappte mir gleich eine.

13.09 Uhr:
Bis eben an dem Gedichtband gefriemelt. Jetzt drucken die Seiten gerade aus. Ich werd sie lesen, dann etwas essen, dann eine Stunde schlafen.
In mir rumort’s ziemlich widersprüchlich herum. Mal Magendrücken, mal Triumph, mal Wut. >>>> Deswegen. ARGO ist grad so fern. Und ich fange an einem Gedicht für die andere Frau zu feilen an, für die erste, da erreicht mich genau in dem Moment eine SMS von ihr wegen einer Finanzgeschichte. Ich handele, regele, gebe entsprechend Bescheid. Darauf sie: „He Alban, wie das, so schnell! Du bist immer so schnell!“ Klar bin ich’s, schnell und zäh.
Im übrigen ist mir durchaus bewußt, an welchem Ast ich nun wieder säge, wenn ich eine Lyrikpublikation >>>> „Z w e i Frauen“ widme. Andererseits will der ästhetische Entwurf genau d a s, das private Interesse (auch und gerade meines) hat zurückzustehen. Und aber abermals vibriert in mir dieser Vorwurf: „Du stellst deine Literatur über alles, auch über Menschen.“

16.27 Uhr:
Außerdem kapier ich nicht, woher ich eigentlich den Mut nehme, ausgerechnet Gedichte zu veröffentlichen. Ich meine, ich bin dieser Form immer ausgewichen. Und habe programmatisch gesagt: „Ich bin kein Lyriker.“ Was Gefühle, wenn man sie zuläßt, mit einem machen können!
Hab fast eine und eine viertel Stunde geschlafen und, um das zu können, in einen Pornofilm hineingeguckt, hatte vorher die Gedichte schon mal durchgesehen (nicht alle, nur die ausgesuchten), auf dem Papier korrigiert und jetzt abermals verändert. Ich würd gern ein weiteres schreiben, aber mir fällt grad nichts ein, weil ich wegen des Parfums so taub bin, weil sie in dem Duft mit dem andren geschlafen hat und ich nicht weiß: ist es fühllose Stillosigkeit oder willentliche Profanierung, ist es vielleicht ein Akt des emotionalen Exorzismus oder vielleicht doch der unbewußte Ausdruck einer Sehnsucht gewesen. Vielleicht sollte ich gerade diese Zwiespältigkeit in einen Text hineinbekommen, ein inverses Liebesgedicht schreiben vielleicht, einen Haß- und Wutausbruch. Etwa auch, was e r gedacht haben mag… im Sinne von: >>>> Ich schwemme dir diesen Geruch mit meinem eignen vom Leib!

19.09 Uhr:
Die ersten Blicke wieder auf ARGO: mich einlesen, den Anschluß finden. Fertiggericht bereitet, auf der Steinbrüstung, auf die der Teller gestellt, in mich reingelöffelt, ein halbes Glas Wein dazu. Zwischendurch immer wieder Blicke auf die Gedichtseiten: Distanz herstellen, was in zweifacher Hinsicht wohltuend ist, wenn einer korrigiert: sowohl Fehler werden erkannt als auch s c h ö n e Stellen, die man wegen der ständigen Beschäftigung gar nicht mehr wahrnehmen konnte oder gar öde fand. War wieder einmal völlig von den Socken wegen der >>>> kleistschen Sprach- und Stilkraft: wie allein aus dem Rhythmus ein Bild entsteht!