Isabella Maria Vergana (2).

Die Arbeit an der Erzählung läuft erstaunlich gut. Plötzlich der richtige Einfall, dann noch einer, wie so oft ergibt sich der Verlauf einer Geschichte, indem ich mich auf den Fluß der Sätze verlasse, dann tatsächlich zugleich in einer Linzer Kellerkneipe sitze wie vor einer venezolanischen Hütte liege, ich rieche den warmen aufgewirbelten Staub, und schon kapiert man, was man da eigentlich erzählt. Immer wieder lose Fäden, die später abgeschnitten und verkittet werden müssen, damit die Form auf den Inhalt stimmt… aber das laufen lassen und vertrauen.
Ich war ganz benommen gestern nachmittag, als ich den Kleinen vom Kindergarten abholte, war noch ganz befangen in diese eigenartige Welt, in der man sich völlig schuldlos mit Schuld belädt und sie – annimmt.

Die Vergana brach unmittelbar in der Singlinie ab, lachte hell und zuckte gleichsam entschuldigend mit den Schultern. Die etwa dreißig Anwesenden klatschten, jemand juhute ein bißchen deplaziert, weil allzu privat gemeint, und Perez griff zur Gitarre. Rauchwolken stiegen von den Tischen auf. Kleines gläsern funkelndes Vorspiel, dann hub die Vergana wieder an: Oye la historia que contome un día el viejo enterrador de la comarca era un amante que por suerte impía su dolce bien le errebató la parca. Abermals schluckte der gutturale Ansatz alle Kindlichkeit weg, die vielleicht siebzehn, vielleicht bloß fünfzehn Jahre, die die Sängerin bislang auf der Welt war, schienen von Generationen vollgestopft worden zu sein. Was mochte, dachte ich, dieses Geschöpf bereits erlebt haben, durch welches Elend war sie gegangen, welche Wollüste hatten sie gefüllt! Und wieviel schuldlose Schuld mochte ihren Lebenslauf schon säumen, wieviele Herzen waren von ihr, wie oft war ihr eigenes gebrochen woren, daß sie einem alten Totengräber diesen klagenden Ausdruck schenken konnte, ihm, dem stummgewordenen, die Sprache rückerstatten? Was überhaupt hatte sie nach Europa, was ausgerechnet nach Linz gebracht, in diesen barocken BiedermeierOrt, an dessen Modell bis ganz zuletzt ein furchtbarer österreichischer Diktator in seinem Berliner Führungsbunker herumgebastelt hat und in dem nun sie sich durchschlagen mußte mit den vielleicht 150 Euro, die sie und ihr Begleiter für ihre gelegentlichen Auftritte einnahmen? Und dann sah die Vergana mich wieder an… y para siempre se quedó dormido …sah mich an und hielt den Ton.

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