„Ein Atemzug – Die Odyssee“. Eine Uraufführung von Isabel Mundry. An der Deutschen Oper Berlin.

De natura recordationis.

Bereits die Ouverture läßt erhören: hier kommt jetzt magische Musik. Dabei ist Tonalität nicht im Spiel, alles sind wie frei stehende, im Raum stehende Klänge, sind wandernde Klangflächen, die die Komponistin „Klanginseln“ nennt: Denn nicht nur der Orchestergraben, sondern auch der gesamte vordere zweite Rang ist von Musikern besetzt (eine architektonische Eigenart der Deutschen Oper, daß Musik von dort als von hinten erklingt); ebenso sind es, in geringerem Ausmaß, die Seiten. Bisweilen weht eine Klarinettenstimme herauf, die etwas von kultureller Erinnerung hat, nämlich hier, sax-ähnlich, an den Klang der Zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. So später auch die oft gestopft geblasene, Odysseus zugeordnete Trompete. Spielt wiederum das Akkordeon auf seinem dem Orchestergraben vorgelagerten Podest, Penelope, die dort webt, zu Füßen, dann wehen einem Buenos Aires’ Nebel aus >>>> Solanas Spielfilm „Sur“ durch das Herz – auch „Sur“ war ja durchsetzt von Ungefährem und Orten, die sich verloren hatten, war ebenfalls mythisch: Bebilderungen von Suche, Vergessen und Trauer. Aber das sind bei Mundry keine collagierten Zitate, keine bewußten Retrospektiven, sondern der Eindruck ergibt sich rein aus der Wahl des Instrumentes und aus der Struktur dieser, höre ich, hochgradig sensiblen und genauen Komposition. Zumal sind solche Momente selten; es sind projektive Haltegriffe des Ohrs in einer Musik, die ganz bewußt auf sonstigen Halt verzichtet. Ich hörte zuweilen Penderecki heraus, den früheren von „De natura sonoris“, und manchmal etwas, das nach dem Free Jazz von Bley und Mantler klang – aber auch das war eher eine Assoziation meines kulturellen Gedächtnisses, als daß es sich, wahrscheinlich, objektiv analysieren ließe. Dazu, gekleidet wie Kampftrupps der Al Fatah, zwei kleine Instrumental-Ensembles auf der großen Bühne, die deutlich in die getanzte, von Reinhild Hoffmann choreografierte Spielhandlung eingreifen. Insgesamt wird selten dargestellt, allenfalls symbolisiert (Penelopes immer wieder über die gestreckten Hände beieinandergezogenen Leinenfäden, die, um die Zeit zu dehnen, wieder gelösten – oder der übermannsgroß wirkende Counter, der mal transvestit, mal hahnenartig schreitet und die nichtmenschlichen Schicksalsgeber personifiziert). Eine Handlung verlagert sich ganz in die musikalischen Ensemblestücke oder den bisweilen karikierenden Tanz. Vom reinen Atmen übers Zerlegen von ohnedies meist nichtverständlichen Texten Unica Zürns bis zur über Lautsprecher beigespielten Dokumentation aus Gebieten Kriegshinterbliebener reicht das verarbeitete sprachliche „Material“ – aber zum einen stutze ich schon bei diesem Wort, das, so sachlich richtig auch immer, die Seele nicht faßt, die von Mundry damit gemeint und auch komponiert worden ist, zum anderen wird es nie Masche, fast alles ist angedeutet und schon wieder vorbei. So verlieren die Personen ihre Gegenwart völlig. Nur einmal, bei der Wiederbegegnung Penelopes und Odysseus’ – und auch dann nicht gleich – ist etwas erreicht, das ist. Es ergreift. Aber verliert sich ebenfalls wieder. Schließlich bleibt Odysseus ganz alleine zurück, denn gleichsam fährt das gesamte Bühnenbild von ihm fort, wird immer kleiner und verschwindet, mit ihm auch Penelope, in der Ferne. Er aber geht vorne. Und singt zum ersten Mal „Ich“: Wo g a r kein Du mehr ist.

Isabel Mundry, Reinhild Hoffmann und, als Dramaturgin, Theresia Birkenhauer haben in langjähriger, sich letztlich des leider ziemlich übel von der Deutschen Oper gegangenen Udo Zimmermanns verdankender Arbeit eine Oper geschrieben, deren Musik und auch – teils – deren Inszenierung ins Wesen der Erinnerung tastet, des Flüchtigen, des Ungefähren; es tut gut daran, Homers Odyssee zu kennen, wer die oft nur angedeuteten Szenen verfolgen will. Aber vielleicht ist das auch gar nicht nötig, weil es um Erinnern und Finden und Wiederverlieren an sich geht und sich diese Musik außerordentlich intensiv dem eigenen Erleben einfügt. Sie strahlt dazu oft einen seltsam s c h ö n e n Eindruck aus. Bernd Leukert sagte einmal: „Dallapiccola ist der einzige 12-Ton-Komponist, der immer schön klingt.“ Davon hat nun auch Mundrys Musik etwas. Nur wird ihre Odyssee klanglich tatsächlich mythisch – der Mythos aber stand, als kollektiv-subjektive Erinnerung, am Beginn der ‚objektiven’ Geschichtsschreibung, deren Widersacher sie eigentlich ist – darin dem Wesen vieler unserer persönlichen Erinnerungen vollkommen gleich. Vielleicht macht d a s diese Musik – eine Neue Musik – derart menschlich.

[Geschrieben für >>>> Opernnetz.]


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