Dienstag, der 13. September 2005.

4.45 Uhr:
[Wagner, Ring des Nibelungen II, Walküre (ff). Karajan.]

Manchmal kann man nur staunen. Ich lag unruhig, den Nikotinentzug deutlich im Bauch; obendrein hatte ich gestern keinen Alkohol getrunken, ganz bewußt, um sozusagen den Genuß des doppelten Entzuges zu haben: Ich erlebe das gerade überaus personifiziert. Als wäre die Zigarettensucht ein Gegner, den ich besiegen will. Dadurch fällt mir das sehr leicht. Und um mir selbst zu zeigen, wie gewappnet ich bin, trinke ich halt auch nichts. Sitze aber die ganze Zeit wie mit angezogener Bauchmuskulatur da, ständig, als müßte ich jederzeit aufspringen und bereit sein, den stilettspitzen, langen silbernen Brieföffnern, der zum Mitdirigieren (der Schallplattenaufnahme; ich weiß, wie komisch das ist) neben mir liegt, wie ein Florett wehrbereit in der Hand.
Staunen aber tat ich über etwas anderes. Ich verträumte die DVD, die ich mir gestern nacht noch ansah: Einen SF-Spielfilm, deren Mitspieler aus Avataren und tatsächlichen Schauspielern gemischt sind. Darin gibt nun mein Traum auch mir eine Rolle.Ich saß an der Bar. Und sprach mit einer Frau, die aus der Vergangenheit kam und sich noch nicht völlig wieder zusammengesetzt hatte; deshalb war ihr linker Arm bis auf den sichtbaren Knochen durchscheinend, ebenso die Beckengegend: wie ein Skelett sah sie da aus. Aber es befleischte sich mehr und mehr vor meinen Augen. So daß ich lässig blieb und interessiert abwarten konnte. Nein, nicht interessiert. Sondern, so zensier ich Ihnen das jetzt mal zurecht, liebevoll.

Wagner latte macchiato ARGO.

9.33 Uhr:
[Strauss, Sinfonia domestica.]

Immer noch der Entzugsdruck, aber so, daß ich weiß, da ‚passiert’ jetzt nichts mehr. Ich schwitze halt anfallsweise ein bißchen, das ist nicht schlimm, solange ich mit dieser Musik mitsingen kann und von ihr umrauscht werde. Dann fließen auch die Ideen: Fast das gesamte Pensum für heute ist bereits jetzt, nach viereinhalb Stunden Arbeit, getan, alles übrigen kommt als Tüpfelchen oben drauf. Solange der Schreibfluß derart anhält, mache ich mir um einen Rauch-Rückfall absolut keine Sorgen. Das Dumme sind nur die Zeiten, in denen mir nichts einfällt. Denn blöderweise geht meine innere Konditionierung offenbar s o: Ist der Intuitionsschlot versperrt, dann muß entweder eine Frau ihn sprengen – oder aber sehr sehr viel Rauchen. Das hilft, wirklich blöderweise, immer.
(Den Strauss hab ich nur fürs Duschen usw. eingeschoben, damit der Wagnerrausch in Gänze in ARGO hineinfließt.)
Muß und will gleich weg…

… halt, dies noch, weil es ein so s c h ö n e r Satz ist, der mich da gerade erreicht:
Weiche Ikonen schmilzen.

12.44 Uhr:

Im Netz einen Link wegen des verbotenen Buches gefunden, der mir g a r nicht gefiel. So also schon mit etwas mauem Gefühl los, weil ich nicht weiß, ob und was ich da überhaupt tun kann. Tatsächlich war das Treffen mit *** dann sehr viel nüchterner als gestern. Ich spürte sofort die Distanzierung, versuchte, meinerseits zurückhaltend zu sein, aber freundlich öffnend; wollte wiederum diese Sehnsucht nicht zeigen.
Obwohl ich müde bin, bekomm ich dann später nicht einmal den Mittagsschlaf hin, werfe mich hin und her, nicht ein Auge kriege ich zu. Eigentlich möchte ich permanent weinen. Starke Impulse, gerade um d a s wegzukriegen, wieder zu rauchen. Anstrengend, sie beiseitezudrücken oder im Gegenteil: sie fühlen zu wollen. Vielleicht schaff ich’s, zu schlafen nach dem Laufen. Wenn Elisabeth (ich kann ihr heute nur das halbe Geld zahlen – und selbst das ist geliehen) – also wenn sie zum Putzen kommt, zieh ich los. 5 km Lauf Minimum. Haltung gewinnen, ich hab im letzten halben Jahr ganz dünne Oberarme bekommen. Ich erlitt einen richtigen Schrecken, als ich das gestern vormittag bemerkte (durch Zufall, ich legte in der Analyse die Hände darum).

Traurigkeit. Und die Erholung davon in der Arbeit an ARGO. EvL wiederum müßte jetzt eigentlich zurück in B.A. sein; aber sie schweigt. Ich denk mal, sie liest, was hier grad in mir los ist, was hier wieder losgetreten ist; deswegen schweigt sie so vornehm wie zu recht.

16.32 Uhr:
[Martin, Cornet nach Rilke. Lipovsek natürlich.]
Was man sich merken muß: Sport ist ein ebensolcher Stimmungsaufheller wie Schokolade, allerdings spürbarer. Traf tatsächlich, fast war ich mit Laufen und Liegestützen und all dem anderen versuchweisen Zeug fertig, *** erneut; hörte auf der Straße meinen Jungen weinen, spähte, von der Tartanbahn schnell runterglaufen, durch den dichten Buschzaun.
Also raste ich noch quer übern Rasen, schwang mich aufs Rad und fing, neben einer schönen Begrüßung durch den Jungen, nunmehr tatsächlich ein L ä c h e l n ein. Und heimgekehrt konnt’ ich dann schlafen, tief und ruhig, mit einem guten spürbaren Blutfluß in den Schenkeln. Die Lust auf Nikotin ist, wie immer, wenn ich Sport treibe oder ihn gerade getrieben habe, also momentan: gleich Null.
Jetzt schreibe ich erst einmal wieder ein MDTFEB.

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