Daß dieses E n d e funktioniert..! Puccinis „Madama Butterfly“ in Calixto Bieitos gewaltiger NeuInszenierung an der Komischen Oper Berlin.

Nein, ich habe nicht >>>>die Premiere gesehen. Und es wurde bereits mehrfach über diese vorgebliche SkandalInszenierung geschrieben. Wieso dann also n o c h einmal schreiben? – Weil sie das w e r t ist. Und m e h r. Denn was Calixto Bieito und seinen Sängern, die in dieser Aufführung in jeder Minute auch D a r s t e l l e r sind, was überdies Daniel Klajner und dem Chor und Orchester der Komischen Oper Berlin hier gelungen ist, hat absoluten Referenzcharakter: Wäre das Wort nicht so inflationär ver- und mißbraucht, die Inszenierung wäre genial zu nennen.
Da ist das den Kitsch & den falschen Exotismus ausstellende quasi-Geplüsche eines von Konsumgier rosa überwälzten Entertainments in Alfons Flores’ Bühnenbild, – da sind die zwischen Kolonialismus, Happy-Tourismus und Mädchenträumen-in-Weiß changierenden Kostüme Anna Eiermanns, – da sind die hochkonzentrierten, auch die feinsten falschjapanesken Streicherseufzer ausspielenden Musiker unter einem Dirigenten, der sehr wohl der für die Musik gefährlichen Massivität einer solchen Inszenierung etwas – m e h r als etwas – zur Seite zu stellen hat, – und manchmal schlägt sie dann z u, Rücken an Rücken mit ihr, diese Komposition, daß einem das Hören vergeht – doch was man s i e h t, erschüttert noch immer: es ist rein kein Entkommen.
Und da ist ein Regisseur, der Puccinis Partitur so genau ausgehört hat, daß ihm, der vor Einfällen, Vitalismus und politischer Wut ohnedies nur so strotzt, gerade da eine Aussage m i t der Musik gelingt, wo sie sich gegen das Libretto zu stellen scheint, obwohl – und dies ist ein nächstes Wunder – der Text nicht umgeschrieben wurde… von der ihn modifizierenden Tradition der Komischen Oper einmal abgesehen, die jedes Stück auf Deutsch singen läßt. Mich, der ich diesbezüglich furchtbar empfindlich bin, gerade was eine sanglich und rhythmisch fast durchweg scheiternde Transposition des Italienischen ins Deutsche anbelangt – mich hat nicht einmal d a s mehr gestört.
Noch bei Bieitos Entführung aus dem Serail waren, bei aller Klasse auch dort, einige Mätzchen auf die Bühne gebracht, die illustrativen, sogar dekorierenden oder gar klamottigen Charakter hatten – hier nun, in der gesamten Fülle, findet sich fast ausschließlich eine den Atem benehmende Konzentration auf Schicksale, deren Ignoranz und Geworfenheit, finanzielle Großkotzerei und eine aus der Armut quellende, zwar verständliche, aber ebenso eklige Gier, moralische Hochfahrt und sentimentale, aber doch menschlich immerhin wahren Wünsche nach einer Geborgenheit, auf die man aber immer selbst wieder drauftritt, derart unabweisbar ineinander verrührt sind, daß wirklich nur noch e i n Opfer übrigbleibt, e i n e Unschuld – und die kommt um. Wäre sie am Leben geblieben, kein Zweifel, auch das ist Bieitos düstere Botschaft, es hätte sie genau so verderbt wie die übrigen Beteiligten dieses an der Komischen Oper Berlin in seine alten Rechte zurückgesetzten gleichsam spanischen TRAUERSPIELs.
Die eine Unschuld kommt um, sehr wohl, nicht aber die Butterfly. Mehr sag ich hier jetzt nicht. Denn daß das funktioniert, ist schon das dritte Wunder der Inszenierung und das größte der drei vielleicht. Sie gehen, garantiere ich Ihnen, geschüttelt von so viel ästhetischer Wahrheit aus der Oper hinaus, sofern… ja, sofern Sie bereit sind, sich einzulassen und nicht von allem Anfang an die ideologischen Oberschenkel zusammenkneifen. Denn diese ästhetische Wahrheit ist nicht behauptet, nicht dahingeplappert und nicht im Zeitgeist geulkt. Sondern erarbeitet und aus der Dynamik des Stückes selbst gelebt. Darum ist diese Inszenierung mit vollem Recht politisch zu nennen.
Wer jemals wieder eine Butterfly sieht, wird sich an d i e s e erinnern. Vielleicht wird einem die Erkenntnis dann erst zuteil. Denn wie strieselig in dem sowieso kaum zu einem Drittel gefüllten Haus einiges Publikum dasaß und den Sängern noch den Applaus verweigerte, das war zum Ausspucken traurig. A l l e Sänger glänzten, getragen vom Orchester, von der Leidenschaft, von den Ideen. Ah wie d r o h e n d in dieser Inszenierung das Butterfly-Motiv klingt! Man kann nur erschaudern… Und wie verräterisch sich der MelodieKitsch unter das Geschehen drückt… wie geradezu perfide es ist, wenn dazu der Konsul einer allenfalls Zehnjährigen ein Blindekuhtuch um die Augen bindet und das Mädchen dezent mit sich hinwegführt… – Wieso hängen die Leute, statt an so etwas sich intensiv zu regen, so am chrysanthemen Schmock? Bieito und alle Beteiligten haben doch eben gezeigt, wie gerade e r die Menschen erniedrigt…

In dieser elften Vorstellung war, so wurde angekündigt, Juliette Lee, die die Butterfly singt, heiser. Man hörte, wie sie den Frosch wegpreßte, ganz zu Anfang. Dann sang sie mit engagiertestem Ausdruckswillen über ihre Heiserkeit alle Heiserkeit der Welt hinweg.
Danke.

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[Geschrieben für >>>> das Opernnetz.]

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