Montag, der 26. Dezember 2005.

8.23 Uhr.
[Abdullah Ibrahim, Cape Town Revisited.]
Um halb elf bereits ging ich schlafen, mußte vor lauter Müdigkeit den Spielfilm unterbrechen, den ich am Computer sah. Dann habe ich >>>> diesen Traum geträumt. Als ich erwachte, war es zwanzig nach vier: zehn Minuten vor dem Weckerklingeln. Ich wollte weiterträumen, ich schaltete den Wecker aus, träumte auch weiter, aber etwas völlig anderes.Und wachte endgültig kurz vor acht auf. Es schneit. Ratz Jonathan wirbelt in seinem – hier in der Kinderwohnung sehr großen – Bauer, ich zieh mir was über, schalte in der immer noch völlig chaotischen Küche den Laptup ein, um meine ersten Einträge zu tippen: von Stuhl zu Stuhl, denn unsere provisorischer, aber sehr gestreckter Tisch steht momentan vorm Weihnachtsbaum im Kinderzimmer. Ich erwärme mir in einem Topf den Rest erkalteten Kaffee, der noch in der Glaskanne des Kaffeemaschine übrig ist. Dann beginne ich, diesen glückvollen Traum zu notieren.

Es gibt ein Fernsehspiel mit Heinz Bennent und der sehr jungen,glaube ich, Hannelore Elsner, das ich zum ersten Mal sah, als ich ungefähr sechzehn oder siebzehn war: Ein Mann hatte seine Frau verloren (sie ihn verlassen, vielleicht, oder sie war gestorben), und nun bildete er sie sich derart ein, bildete sich ihre Gegenwart so ein, daß er mit ihr zusammen aß, mit ihr zusammen schlief, überhaupt mit ihr zusammen lebte – für niemanden anderes war er mehr zugänglich, und niemand anderes sah sie ja auch, denn „in Wirklichkeit“ war sie nicht da. Für ihn war die Wirklichkeit eine andere. Sie lebten zusammen in einem weißen Haus, wahrscheinlich hatte er Geld – kann sein, daß seine Verwandtschaft anstrengte, ihn zu entmündigen, um an sein Vermögen zu kommen; das hätte in die Parabel und ihre Realisierung gepaßt, denn als armer Mann wäre er gewiß in die Psychiatrie gekommen.
Unabhängig von der sozialen Bosheit, die parallel und wahr mittransportiert wird, habe ich diese Geschichte nie vergessen, ihren Titel wohl, auch das Umfeld: aber daß einer seine verlorene Frau so sehr weiterlieben kann, daß sie für ihn wieder körperlich und geistig präsent wird, ist von großer Schönheit.

Ob ich heute an die Arbeit komme, ist ungewiß. Ich werde hier Ordnung schaffen müssen, danach die Wohnung wechseln und mich langsam in der Arbeitswohnung einrichten. Vielleicht lese ich einfach nur. Und treffe abends Eisenhauer noch einmal zum Billard. Mir geht nicht aus dem Herzen, wie stumm ****** und ich gestern zusammen die Schönhauser entlanggingen, unser Kind fahrend nah bei uns, er wollte nicht weichen, auch wenn man immer wieder über sein Rad fast stolperte. Wir wußten nichts zu sprechen, als wären einem alle Worte verschlossen, die sich nicht auf das Kind beziehen.
In anderthalb Stunden werden die beiden im Zug sitzen; ich stelle mir vor, wie sie aufstehen, wie sie frühstücken. Und eh ich jetzt sentimental werde, mach ich endlich den Abwasch.

(Ich merke gerade, als ich diesen Tagebucheintrag abspeichere: Das >>>> Traumprotokoll trägt die Nummer 1955, ist also der 1955ste Eintrag in Die Dschungel. 1955 ist das Jahr meiner Geburt.)