Wenn es keinen Mißbrauch mehr geben wird, wird es auch keine Geschichten mehr geben.

Erst einer befreiten Gesellschaft stürbe Kunst ab.

Adorno.

[Mißbrauch, ff.]


32 thoughts on “Wenn es keinen Mißbrauch mehr geben wird, wird es auch keine Geschichten mehr geben.

    1. Mir ist Freiheit nicht vorstellbar. Sie wäre – Leere.

      (Adorno hat an Auschwitz gedacht, als es den zitierten Satz schrieb; Mißbrauch, also sexueller, ist in diesem Gedanken ein Teilchen, kaum mehr.]

    2. freiheit wäre: absolute fülle. liebe. kein mangel an gefühl und wissen, das richtige zu tun. kein zweifel. kein zwang. vielleicht hunger, aber keine angst. vielleicht fetzen am leib, aber keine uniform.
      wenn adorno auschwitz im sinn hatte bei diesen worten, verstehe ich ihn gar nicht. aber sie: denn das wäre vielleicht mißbrauch des holocaust.

    3. Kunst entspricht der perversen Bewegung. Das habe ich mehrmals betont: Die “Kunst von Kunst” besteht darin, das Grauen und das Angstbesetzte so zu gestalten, daß man sich ihm stellen kann, indem die Form, die man ihm gibt, ein Lusterleben ermöglicht. Das ist genau die Reinigung, von der die Alten sprachen, das ist Katharsis. Manches Entsetzen ist so groß, daß man zugrundeginge, sieht man es an. Sieht man es aber n i c h t an, geht man, weil die Entsetzensgründe nicht bearbeitet werden, ebenfalls zugrunde. Kunst erlaubt: anzusehen. Und dann zu begreifen. Von einem “Mißbrauch des Holocausts” zu sprechen, ist insofern absurd. Er ist ebenso künstlerisches Material wie jedes andere geschichtliche Unheil: die Shoa als in der Kunst verarbeitetes Unheil, heißt das. Ich muß das betonen, weil man bei tabubesetzten Themen sehr gerne von den Wahrern der Tabus öffentlich mißverstanden wird; wenn überhaupt, dann würde ich diese Wahrer die Mitbraucher des Holocausts nennen. Wobei oft ein guter Wille zugrundeliegt, der die eigene Dynamik nicht begreift oder auch nicht begeifen kann.

      Ihre Definition von Freiheit kann ich nicht teilen. Denn dort, wo kein Mangel empfunden ist, kann es auch keine empfundene Fülle geben; Fülle selbst a l l e r d i n g s, nur würden wir sie nicht merken. Dennoch teile ich Ihre Hoffnung; es ist menschlich, das zu tun – auch wenn man weiß, wie unmöglich ihre Einlösung wäre. Die Hoffnung selbst ist darum religiös.

    4. wir kommen da zwar woanders hin, aber wieso nicht:
      mißbrauch des holocausts wäre:
      filme wie “schindlers liste” etc .., ein souvenierladen oder eintrittskarten in ein KZ (die ruine eines KZs), politiker, die bei veranstaltungen in KZs heucheln und pol. kleingeld machen usw …
      (ich verstehe der philosophischen sonderling mit seinem satz immer noch nicht.)

    5. Wen meinen Sie mit “philosophischer Sonderling”? “Schindlers Liste” ist sicher eine geschmackliche Entgleisung (wiewohl erst dieser Film den Begriff “Holocaust” hat allgemein werden lassen), aber auf keinen Fall ein Mißbrauch. Niemand ist an diesem Film gestorben. Ich will hier strikt unterscheiden. Selbstverständlich hat Syberberg recht, es anzuprangern, daß man ihn in den USA hat zum Plateau für Hundefutterwerbung gemacht, aber das gehört ins Buch des Kapitalismus und der Äquivalenzform. Gegen diese steht Kunst gerade a u f. Was Eintrittskarten in ein Konzetrationslager anbelangt, bin ich sehr gespaltener Auffassung: Wenn die eingenommenen Gelder dazu dienen, das Denkmal zu bewahren, sind sie sicher nicht falsch. Und wer dort arbeitet, muß auch bezahlt werden. Das schändet kein Opfer. In Japan ist es gang und gäbe, daß Mönche von Besuchern bezahlt werden; das ist kein Ausverkauf ihrer Religion.

    6. adorno war ein sonderling ohnegleichen, wenn sie mich fragen.
      auch nur einen cent mit film etc. zu verdienen oder seinen ruhm als produzent/regiesseur etc. zu mehren ist in meinen augen mißbrauch.
      die deutsch-österreichischen KZs gehören restlos geschliffen, das ist die einzige art und weise, wie man würdig damit umgehen kann. (das ist meine meinung)
      jedenfalls würde ich mir das wünschen, auch oder gerade wenn ich sie überlebt hätte.

    7. @ferromonte sie gehen von ihrem wissen aus,verehrter ferromonte..
      es gibt gerade in den USA und weltweit unzählige menschen,die unwissend sind und auch hier zu lande möchte ich keine umfrage in der fussgängerzone so mancher ortschaften machen..und genau für diese menschen ist schindlers liste gemacht…sie haben keinen zugang zur literatur und zur bildung…aber schauen eine dvd..(ins kino gehen diese auch in der regel nicht?)und vielleicht hat doch den einen oder anderen dieser film berührt??? mehr zu erfahren …und das reicht in diesem falle..SIE sind FREI genug sich dem zu entziehen,nicht?;-)
      aber wozu sollten KZ`s geschliffen werden?was meinen sie damit?

    8. Schleifen würde ich sie nicht. Es ist eine ziemlich deutsche Unart, alles zu schleifen, was an vergangene Greuel erinnert. So wurde und wird etwa hier in Berlin mit der DDR umgegangen, eine Geschichtsklitterung sondergleichen. Kein Italiener käme auf so eine Idee. Zum Geschichtsbewußtsein gehört auch und gerade das Bewußtsein des Grauens.
      Was ich aber g a r nicht verstehe: Weshalb sollte Penderecki mit “Threnos – Den Opfern Hiroshimas” nichts verdienen? Er hat gearbeitet und hat in diese Komposition mehr Seelenleid gesteckt, als irgend ein Angestellter in der Bank je mit s e i n e r Arbeit tun wird. Soll er verhungern? Tut mir leid, Sie bauen einen Fetisch. Und das zu tun, genau das zu tun, heißt: die Opfer zu verdinglichen. Eine für mich restlos unverantwortliche Handlung, die ich aber immer noch nicht “Mißbrauch der Opfer” nennen würde. Sie zimmert lediglich ein Bilderverbot und setzt unantastbare Heiligkeit an die Stelle eines menschlichen Gedenkens, das eigentlich n u r in der Kunst seinen Ausdruck finden kann. Und im Umgang mit dem Kommenden und Gegenwärtigen.

    9. nein: wir haben genug authentisches film- und fotomaterial, das wir uns ansehen und unseren kindern zeigen können: die wagenladungen voll leichen, die krematorien, die berge menschenhaar und kinderschuhe, die lampenschirme aus menschenhaut. angesichts des dokumentarischen materials (ich sah es als 14jähriger schüler im geschichtsunterricht) lehne ich die “holocaust-industrie” so heftig ab.
      hiroshima ist ein anderes thema.
      und: ich habe absolut kein problem damit, wenn ein künstler – ein betroffener künstler (innerlich oder persönlich) – sich mit diesem grauen auseinandersetzt. aber davon habe ich auch nie gesprochen. ich sprach vom mißbrauch, den ich wie oben umrissen habe. egal.

      adorno verstehe ich aber immer noch nicht. 🙂

    10. unterschiede hiroshima ist ein anderes thema?ein anderes grauen,noch nicht so abgenutzt ,weil sie es im geschichtsunterricht nicht so ausführlich behandelt haben?gibt des grauens betreffend klassenunterschiede?was nah ist,sollte weg-geschliffen werden und was fern ist ,kann man gedanklich behandeln?
      sehen sie,deswegen hat schindlersliste bestimmt in japan die berührt,denen es genauso geht wie ihnen…

    11. schindlers liste ist kitsch der übelsten sorte, weil er moralisch daherkommt (wie die pilcher-filme). das ist wiederwärtig und verblödend. und außerdem verharmlosend. hiroshima bietet auch genug doku material, das ich nicht in der schule (gottseidank) gesehen habe, sondern dann später, im TV, mitten in der nacht, mit tränen in den augen.
      hiroshima und nagasaki ist insofern ein anderes thema, weil es die folgen zweier atombombenabwürfe auf städte waren, und insofern ein novum, dessen folgen unbekannt waren. die KZs (und sicher auch der gulag, guantanamo und ähnliche orte) aber sind orte der bewußten, konsequenten und sadistischen menschenvernichtung und -folter, wie man es sich in den krankesten phantasien nicht schlimmer ausdenken kann. über jahre hinweg durchgeführt. von unseren vorfahren, fast noch zeitgenossen.
      der unterschied mag ihnen egal sein, für mich besteht er eben. weil es um den umgang damit geht, und nicht um akademische diskussionen.

    12. ooops! bitte was ist das denn wieder für ein tempo hier? aber vielleicht macht mich ja auch die kälte so langsam (auch im kopf).

      um ganz oben wieder anzufangen.

      “Erst einer befreiten Gesellschaft stürbe Kunst ab.”
      was ist eine befreite gesellschaft?
      eine ohne missbrauch? eine ohne tabus? eine ohne mangel? eine ohne ungerechtigkeit? eine ohne traumata? eine ohne …

      was soll kunst? nicht eigentlich den finger in die wunde legen? die misstände aufzeigen? soll sie uns nicht “aufschrecken” aus unserer “heilen welt” – oder einlullen, das ist ja auch eine form davon?
      wenn das ihre aufgabe ist und “eine befreite gesellschaft” heisst, dass es in eben dieser das nicht mehr benötigt – nicht das einlullen und nicht das aufschrecken, dann hat dieser satz selbstverständlich seine gültigkeit.
      dennoch bleibt es reine utopie.

      kunst & holocaust:
      wieviele “künstler” schaffen es heute noch, dem grauen in der art ein gesicht zu geben, dass es immer noch “aufschreckt”?
      leider wenige. viel mehr davon nennen sich “künstler” und vermarkten das grauen.

      und hier sehe ich persönlich ein problem, das sich zusammenfassen lässt in einem satz foucaults: “der diskurs schafft akzeptanz.”
      zuviel desselben in immer selben bildern rüttelt nicht mehr auf, sondern stumpft ab.

      hat jemand hier den film “shoah” von lanzmann gesehen? neun stunden, reine interviews. da braucht es (für mich) keine bilder mehr …

    13. was soll kunst? nicht eigentlich den finger in die wunde legen? die misstände aufzeigen? soll sie uns nicht “aufschrecken” aus unserer “heilen welt” – oder einlullen, das ist ja auch eine form davon?
      wenn das ihre aufgabe ist und “eine befreite gesellschaft” heisst, dass es in eben dieser das nicht mehr benötigt – nicht das einlullen und nicht das aufschrecken, dann hat dieser satz selbstverständlich seine gültigkeit.
      dennoch bleibt es reine utopie.

      endlich mal was zum thema eins. also ja, aber wieso ist kunst nur den finger in die wunde und/oder einlullen? gibts da nicht noch eine andere position? man denke an van goghs “kornfled mit krähen”; picassos “toros und torreros”, bach, mozart, und kunst dieser art kann ich mir auch in einer derart “befreiten gesellschaft” sehr gut vorstellen.

    14. umgang damit grauen löst abscheu,verzweifelung,widerstand etc.p.p. aus..emotionen…und da finde ich es schon speziell,wenn man da unterschiede macht..natürlich war das nicht das gleiche,aber auch die amerikaner wussten,dass das kein bonbonregen war…was ich nur versucht habe,ist ihnen eine sichtweise aus ihrer deutschen heraus zu vermitteln
      ..z.b. inder,die mögen kitschiges kino und von dieser warte aus das ganze zu sehen,denn schauen sie auf die weltkart,wie gross deutschland ist:-)
      wissen sie eigentlich ganz genau,was am 23.5. 1957 in burma passierte?
      warum sollte ein inder wissen ,was am 15.3. 1943 in ausschwitz passierte?
      und nun hat er zumindestens eine ahnung;-)…aber es ging um adorno 😉

    15. ich wusste nicht, daß schindlers liste als “volksbildungsfilm” gedacht war (wir mißverstehen ihn absichtlich auf diese weise, weil wir zu naiv für amerika sind). aber gut. (btw: ich bin österreicher; aber das ist egal. :))
      gut, ich gebe ihnen schon recht was diese perspektivensache betrifft. es ist eben so, daß meine persönlichen empfindungen damit wenig zu tun haben, ich kann eben auch nicht aus meiner haut heraus. übrigens werden die inder durch “schindlers liste” einen ganz falschen eindruck bekommen von dem, was hier geschehen ist vor 65 jahren. wir haben selbst die größen schwierigkeiten, das zu verstehen, und weil wir vielleicht näher dran sind am verstehen (emotional wenigstens), regen wir uns über solche mistfilme auf. weil sie falsch sind, und das thema nicht zum geschäftemachen und zur unterhaltung geeignet zu sein scheint.

    16. @ ferromonte guter einwand. kann ich momentan nichts dazu sagen. muss ich drüber nachdenken.

      und .. wie ich sagte, mein hirn ist sehr langsam dieser tage. vielleicht fällt mir auch gar nichts dazu ein und es bleibt für mich eine offene frage.

    17. nochmal @ ferromonte weil ich daran jetzt wirklich “kaue”. können wir in der gegenwartskunst bleiben, vielleicht fällt es mir da leichter, mich dem anzunähern?

      was in der gegenwartskunst würden sie einerseits “kunst” nennen und andererseits “erheben” (blödes wort, aber ein anderes fällt mir jetzt nicht ein als gegenstück zum “finger in die wunde legen”).

    18. in der annahme das dieser satz” Erst einer befreiten Gesellschaft stürbe Kunst ab.” in einer bestimmten zeitlichen phase geäussert wurde,denn kunst steht auch mit dem ort und der zeit in verbindung..und sie war immer revolutionär(wenigstens ein bisschen,auch van gogh )und authentisch.
      manchmal die technik,manchmal die themen,oft beides..ein bisschen ist vielleicht etwas dran,denn ich denke kunst in satten jahren(eine relativ freie gesellschaft) zu machen ist wesentlich schwerer als in harten zeiten ..schon thematisch…das sieht man ja auch in deutschland sehr eindrücklich…andererseits da es eine utopie ist(die befreite gesellschaft)könnte es auch heissen: kunst wird es immer geben…

    19. @ florence sie nehmen mir da jetzt etwas vorweg, das so ganz leise angesichts dieser fragestellung in meinem hinterstübchen schlummerte, ich jedoch nicht belegen kann … vielleicht bewahrheitet sich hier bereits ein teil von adornos aussage?

      (empfinde ich momentan als sehr gewagt, bin ich aber nicht in der lage, diesen gedanken zur gänze abzuschütteln.)

    20. vielleicht bewahrheitet sich hier ein teil von adornos aussage? wo? liebe june…gewagt ist nie verkehrt 🙂
      mir fiel allerdings noch etwas zu kunst und holocaust oder ähnlichem ein…eigentlich kann man keine kunst mehr dazu machen,denn es ist zeitlich vorrüber,nicht mehr authentisch ..es sei denn ein opfer z.b. rückt mit irgendwelchen dingen heraus,die mit der verarbeitung in irgendeiner form zu tun hätten und kein abklatsch wären…denn kunst muss auch erkennbar sein an der handschrift eines malers,schriftstellers….nicht umsonst nützt ANH das internet in seiner ganz eigenen form…

    21. gut, dann wage ich mich nun wirklich so weit vor:
      dass diese unsere westliche gesellschaft in gewisser weise bereits soweit “befreit” ist, dass es eine ganz bestimmte art kunst in der gegenwart nicht mehr gibt, ohne dass sie zu “kitsch” verkommt.

      der holocaust als möglichkeit steht immer noch im raum, damit ist es möglich, darauf hinzuweisen in der kunst, es ist nur schwierig, sehr schwierig hier eben nicht der “holocaust-industrie” (nein, nicht im sinne finkelsteins! – muss ich das extra betonen?) anheim zu fallen.

    22. da haben sie recht.. auch wenn es nicht unbedingt kitsch sein muss,dekorativ wäre auch schon keine kunst mehr…kunst hat immer eine aussage,die kann auch hinter dem beuy`schem motto versteckt sein,dass alles kunst ist…auch das war neu zu dieser zeit und er hat es auch vermittelt…oft wurde kunst auch erst im nachhinein gesehen und mit dem begriff kunst geprägt…
      z.b. die DDR propaganda malerei…in china findet man das gleiche…wird als kunst einer bestimmten zeit ausgestellt,dennoch glaube ich ,dass das ein kurzzeitiges phänomen ist,denn man findet keine handschrift in dieser kunst,es ist nur ein ausdruck einer auferlegten kunst..eher ein zeitdokument…
      in diesen zeiten gibt es aber dennoch probleme genug,soziale,menschliche ,ökologische….
      …und es gibt auch künstler,die neues schaffen,denn es gibt neue möglichkeiten…ehe man da vielleicht eine wirklich neue prägnante strömung herauslesen kann,kann es dauern,aber es wird passieren…holocaust-industrie ist ein wort ,was mir unbehagen bereitet,einfach weil ich weder t-shirts gesehen habe..”ich war in ausschwitz…noch bis jetzt eine wirklich degoutante geschmacklosigkeit dazu kaufen konnte…ich sag ihnen ganz ehrlich,geld zu verdienen ist in ordnung,solange man niemanden brutal auf die füße tritt und nicht folgenschwere unwahrheiten in die welt setzt und damit die NPD finanzieren würde…wir in deutschland tun uns mit dieserm ständigen alles kritisieren,alles niedermachen überhaupt kein gefallen,denn es hat alles eine berechtigung,sogar schlechtes..denn ohne das,würde gutes nicht zu erkennen sein und auch schlechtes kann inspirieren zu gutem:-)
      ohne trash und kitsch würde es auch keine kunst geben…manchmal ist das auch grenzwertig:-)

    23. ich will gar nicht recht haben, liebe florence, ich sehne mich nach widerspruch, nach heftigstem widerspruch.

      so “befreit”, so “aufgeklärt” sind wir, dass freiheit in einem duschgel zu finden ist, dass selbstbewusstsein eine hautcreme schenkt und ein auto abenteuer.
      so “befreit”, dass leidenschaft in techniken, stellungen, praktiken gemessen wird, dass lust eine frage des “schluckens oder spuckens” ist, dass ein hand-in-hand domäne einer rosamund pilcher geworden ist und jede zeitschrift weiß, wieviele orgasmen in welchem alter möglich sind und wieviele sexualpartner es braucht, um sich wirklich sicher sein zu können, was der körper braucht. …

      und ich schließe mich nicht aus, ich stelle nur fest – und manchmal stehe ich neben mir.

      (das ist am eigentlichen thema vorbei, ich weiß, war ein unter der dusche geborener “seelenrülpser”.)

      @ “holocaustindustrie”. es ist das “zu viel” an leichenbergen in bildern, an halb verhungerten, misshandelten menschen, das wieder distanz schafft in seiner überfülle.
      und dennoch die kino-kassen klingeln lässt.

      daher auch mein verweis auf “shoa”.
      kunst ist es nicht noch einmal zu zeigen, was schon zu oft gezeigt, wurde um damit beim betrachter womöglich noch das “das war in dem film aber eindrucksvoller gezeigt” hervorzurufen und die reproduktion in einer intensität über das wahre geschehen legt, das dieses in den hintergrund drängt, beinahe zur “blassen vorlage” werden lässt.

      das war jetzt nicht aus dem kopf geschrieben, rein aus dem bauch und darf jederzeit in grund und boden gestampft werden. vielleicht bitte ich sogar darum.

    24. könnte man auch so sagen: die gegenwartskunst versucht uns zu befreien, indem sie unsere zwänge und unfreiheiten “aus sich herausprügelt”?
      und wenn ja: warum ist das die aufgabe der kunst geworden, warum ist es nicht die aufgabe der gesellschaft und der sozialen einrichtungen geworden/geblieben? warum war die kunst im vergangenen jahrhundert so politisch? wegen des versagens der politik? weil die politik so enorm den gesellschaftlichen/menschlichen bedürfnissen, den entwicklungen der menschen nachhinkt (und ich meine natürlich jetzt nur die “westl. welt”)?
      @june, deine frage oben: die gegenwart ist zu fluktuierend, zu wenig faßbar. das, was am markt hoch im kurs steht mit sicherheit nicht. rainer, nitsch (um in öst. zu bleiben) etc. mit sicherheit nicht.
      es gibt ja die these, daß eben die kunst am ende ist, daß sie sich sozusagen gerade selbst auslöscht, was dann in paradoxerweise mit adornos satz konform gehen würde, wenn ich ihn so verstehen will wie du ihn interpretiert hast: je “freier” wir werden, umso weniger kann es kunst geben. nur ist diese unsere freiheit von einer anderen seite gesehen ein schreckliches gefängnis. daher paradox. und weil wir nciht klar sehen können, was sich abspielt, ist die kunst auch willkürlich und ohne definition: alles wird zu kunst, so es sich denn verkaufen lässt bzw. kunst-geschäfte-machern aufschwatzen lässt, oder sonstwie ein publikum rekrutieren kann. ein kurioser zustand eigentlich, wäre er nicht auch sehr ärgerlich, weil unsere museen mit immer mehr müll gefüllt werden.
      du sagt etwa: eine bestimmte art von kunst wird nur noch als kitsch durchgehen heute;
      da fallen mir sätze ein wie: “und dort sahen wir noch den sonnenuntergang, der war so schön, richtig kitschig.” – vielleicht sind wir ja auch emotional so verkrüppelt, daß wir mit bestimmten ästhetischen formen nicht mehr umgehen können, und sie fälschlicherweise als kitsch bezeichnen, unisono mit echtem kitsch, also fototapeten und telenovelas etc? ich erinnere mich, als ich mit 18 damalige freund begeistert ins schikanederkino zerrte, um ihnen “die kinder des olymp” zu zeigen; ihre reaktion darauf war: schon ziemlich kitschig. ich sah die schluchten aufgehen zwischen uns.

      henry miller zitiert igendwo hokusai, “der kunsttolle alte mann”:
      (ich suchte eben fast eine halbe stunde, fand das zitat aber nicht.) sinngemäß geht es aber darum, daß hokusai über sich selbst sagt, ja, mit 40 etwa konnte er einen pinsel richtig halten, mit 60 konnte er ein paar striche machen, die lebendig waren, aber wenn er 110 oder 120 jahre alt werde könne man vielleicht sagen, daß jeder seiner striche voller leben wäre.
      diese art von kunst meine ich.

      edit: einige punkte hast du in deinem vorigen posting schon berührt, während ich nach dem zitat suchte … gut so. gute nach jetzt … 🙂

      edit2:
      zitat gefunden, miller stellt es seinem buch “big sur und die orangen des hieronymus bosch” voran:
      “Ich habe die Malerei geliebt, seitdem ich im Alter von sechs Jahren mit ihr bekannt wurde. Ich malte einige Bilder, die mir ziemlich gut erschienen, als ich fünfzig war, aber in Wirklichkeit waren alle meine Sachen nichts wert, bevor ich die Siebzig erreicht hatte. Mit dreiundsiebzig habe ich schließlich jede Seite der Natur erfassen können – Vögel, Fische, Säugetiere, Insekten, Bäume, Gräser, kurz, alles. Wenn ich achtzig bin, werde ich mich noch weiter entwickelt haben, und mit neunzig werde ich die Geheimnisse der Kunst wirklich meistern. Wenn ich hundert jahre alt werde, könnte man meine Kunst vielleicht als vollkommen bezeichnen, aber mein letztes Ziel werde ich erst mit hundertzehn erreichen, wo dann jede Linie und jeder Strich voll Leben sein wird.”

      gute nacht aber jetzt … 🙂

    25. ich habe dem nichts “entgegenzusetzen”, lieber ferromonte, im gegenteil …

      “je “freier” wir werden, umso weniger kann es kunst geben. nur ist diese unsere freiheit von einer anderen seite gesehen ein schreckliches gefängnis.” und vieles mehr drückt aus, was ich oben meinte.

      ich denke wir brauchen eine weitere perspektive, um hier nochmal den blickwinkel zu verändern.

      aber vielleicht bringen auch ein paar stunden schlaf (die ich jetzt dringend brauche) einen neuen “dreh” rein zu bekommen.

      ich danke euch jedenfalls allen für dieses “gespräch”. hab ich sehr genossen.

      gute nacht allerseits.

    26. lachte gerade … na,sie sind ja entzückend mit dem was sie schreiben…soll ich ihnen widersprechen,wenn ich meine,sie hätten recht?nein,da bin ich die falsche,ich mag fäden spinnen,gedanken aushecken,mich und andere in frage stellen,suchen,finden und lächelnd abends einschlafen…allerdings werde ich morgen früh mal ein wörtchen mit meiner creme und dem duschgel sowieso reden müssen…in puncto selbstsicherheit und freiheit…mir persönlich wären abenteuer und ewige schönheit lieber,ehrlich gesagt;-)aber ich kann die ja einfach anschwindeln:-)
      holocaust ist in erster linie kein kunstbegriff sondern ein immer noch aber zu ende gehender verarbeitungsprozess…und weil dieser satz in dieser zeit gesagt wurde,hat er auch nicht diese bedeutung ihn als kunstbegriff zu stilisieren..ich stimme mit ihnen überein,denn natürlich hat ein zuviel immer eine kippende wirkung,deshalb verwies ich ja von anfang an auf den rest der welt und deren sichtweise,denn glauben sie mir…schindlers liste ,mag man sie finden wie man möchte, ist nicht für deutschland als aufklärungsfilm gedreht worden sondern um emotionen zu wecken..wie mag das in einem land ankommen,wo ähnliches geschieht(denn rassen-,gruppenhass ist leider ein hochaktuelles thema,auch heute)machen sich nur 10 % gedanken darüber,wie weit so was gehen kann,dann ist es okay,dazu muss der film nicht 100% authentisch sein.
      vielleicht schaue ich zu positiv in diese welt,aber meine erfahrung ist ,dass die sichtweise immer die realität spiegelt,meine realität in diesem falle…
      warum sollte spielberg nicht geld verdienen mit schindlers liste?ich gönne jedem menschen viel geld,wenn er damit etwas bewegt im angenehmen sinne…er steckt es in neue projekte,menschen haben zu tun und wahrscheinlich unterstützt er auch noch irgendeine charity-geschichte…wir sollten uns eher um die gedanken machen,die versteckt viel mehr geld verdienen,dass sind die wirklich gefährlichen…aber und da sind wir bei der oberfläche…paris hilton ist 1000 mal wichtiger als die wirklichen machenschaften der indonesischen regierung im falle des tsunamis in banda aceh…allerdings,damit wir beide ruhig schlafen können…die welt war schon immer so…es wird nie ein paradies werden,ein paradies will niemand wirklich..und wir in deutschland könnten schon gar nicht damit umgehen…jetzt auch mal aus dem bauch geschrieben…:-)

    27. “ohne trash und kitsch würde es auch keine kunst geben”. Dazu nochmals Adorno. Er sprach vom “Bodensatz der guten Musik”, wenn er, darin Bloch gar nicht unähnlich, den Kitsch in den Blick nahm. (Allerdings blieb er bei der Kulturindustrie unerbittlich.)

      [Ich frag mich gerade: Da hab ich so viele Jahre am geistigen Vatermord gesessen, das symbolische Messer um- und umgewühlt. Und jetzt laß ich diesen Vater in meinen Postings wiedererstehen. Schon irre, das Älterwerden.]

  1. Divertimento & Kunst. Sowie der Hitler in uns.

    Noch zwei Gedankengänge zu dieser Diskussion.

    Die Kunst, die Sie, lieber ferromonte, weiter oben angeführt haben, ist, so verstehe ich Sie, eine Kunst des Divertimentos; tatsächlich hat Kunst aber mit dem Niedergang der Glaubensgewißheit die religiöse Funktion beerbt, und zwar, indem sie denselben emphatischen Begriff von Wahrheit weitervertritt, wie die (christlichen) Jahrhunderte zuvor. Ich spreche hier bewußt von Europa, aber es gibt solche Erscheinungen auch auf anderen Kontinenten. Der Zerfall der Glaubensgewißheit und damit die künstlerische Bearbeitung der Frage, was Wahrheit sei, geht offenbar tatsächlich sehr parallel; es folgt ziemlich sogleich die Industrialisierung. Es sind ja keine hundert Jahre von Mozart bis Bonaparte; Adenauers Geburt hat die Lebenszeit Johannes Brahms’ erfaßt. Wenn einem das klar ist, schieben sich die Ären sehr ineinander. Die frz. Revolution witterte sich in Beaumarchais voraus und fand g e r a d e bei Mozart einen Reflex, der tatsächlich aus politischen Gründen zensiert werden sollte (“Le nozze di Figaro”). Bereits bei Beethoven, dessen Lebenszeit eine historische Teilmenge der Lebenszeit Mozarts ist, politisiert sich die Kunst ganz konkret. Die ursprünglich Bonaparte gewidmete Eroica, also die Dritte, wurde typischerweise durchaus nicht als Divertimento gesehen, sondern verstörte: Es sollten sogar die Blechdissonanzen gestrichen werden. Besonders Beethovens ungeheures Spätwerk ist noch bis in die Fünfziger des 20. Jahrhunderts hoch umstritten gewesen; es gab nicht wenige – professionelle – Stimmen, die es für “mißlungene Musik” hielten. Über die politischen Dimensionen des wagnerschen Werks sind wir uns alle klar, in der gesamten Ambivalenz von den revlutionären 1848ern bis zum Reaktionismus: die ganze Spanne einer historischen Zeit ist da (unbewußt oder bewußt) reflektiert, zum Teil wurden die Interpretationen vom alten Wagner selbst noch umgeschrieben und ideologisch umgedeutelt usw. In dem Moment, will ich sagen, in dem die Glaubensgewißheit kippte, wurde die Frage nach der künstlerischen Wahrheit virulent und ist es seither – bis der gegenwärtige Halbsieg des Kapitalismus sich durchdrücken konnte – geblieben.
    Nun können Sie einerseits nicht einmal mehr von dem Häßlichen sprechen, denn auch in der Bildenden Kunst lernen unsere Augen zu sehen, und was noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts Hysterie und Ohnmachten auslöste (ja, bei der UA von Ravels Bolero fielen die Leute u m, sie hielten es nicht aus, es gab Gekreische, panisches Schreien… und das war kein kokettes Spiel), erleben wir heute bereits als…na ja: “a bisserl kitschi ist das schon”. Es ist absolut vorstellbar, daß Stockhausens “Prozession” in fünfzig Jahren als neoreligiöse Erbauungsmusik gehört werden wird und keiner mehr das Neue daran wahrnimmt. – So viel nur noch zur Rezeptionsweise.

    Zum Auschwitz Thema.
    Ich gebe Ihnen allen recht, daß ein Zuviel daran abstumpft und abgestumpft hat. Von den jungen Frauen, mit denen ich bisweilen zusammen bin, höre ich immer wieder: “Nicht schon wieder d a s!” Und zwar in genervtem, nicht etwa unbetroffenen Ton. Das liegt, glaube ich, weniger an der permanenten Repetition, als an ihrer Unwahrhaftigkeit. Hier s t i c h t, was ferromonte sagt, jedenfalls in unserem Kulturkreis; für einen anderen mag florence recht haben. Das kann ich nicht beurteilen. Bei uns aber ist Auschwitz – und alles, für das dieser Name steht – ein negativer Fetisch, und als solcher, als Devotionalie, wird er tatsächlich häufig vermarktet. Man kann das an den Tabus ersehen, die ihn umgeben. Das Grauen nämlich ist oft dargestellt worden, immer mit berechtigter Zuneigung für die Opfer und deren Hinterbliebene. Wenn aber jemand den Blick auf etwas richtete, das Syberberg in seinem Hitlerfilm “den Hitler in uns” genannt hat, und wenn so jemand diesen Hitler-in-uns v e r s t e h e n will, wird er nicht umhin können, sich in ihn hineinzuversetzen, d.h. emphatisch ihm umgehen müssen, seine Gefühle fühlen müssen, ihm irgendwie nah kommen müssen.Nur dann – nicht aus der kritischen Distanz – ist er überhaupt zu begeifen. Dieses wäre unter vielen anderen eine ‘Aufgabe’ von Kunst. Syberberg hat das seinerzeit versucht, und Sie wissen alle, wie in Deutschland darauf reagiert worden ist. Letztlich hat man ihn mit aller Gewalt in eine rechte Ecke gedrängt, in die er als Brecht- und Blochschüler wahrlich nicht gehörte, und zwar auch und gerade ästhetisch nicht. Die Dynamik wurde dann so stark, daß ihm eigentlich gar nichts mehr übrig blieb, als die reaktionäre Rolle des Preußenglorifizierers anzunehmen, sie also zu besetzen. Ob bewußt oder unbewußt, weiß ich nicht. Es ist für diese Diskussion auch zweitrangig. Tatsache ist, daß es zwar wissenschaftliche Untersuchungen über Täterstrukturen und viele Theorien dazu gibt, aber nur sehr wenig künstlerische Arbeiten. Die aber sind es, die nahegehen, ob nun provozierend oder intergrierend. Über sie, nicht über die Wissenschaft, vermittelt sich die Seele eines Geschehens. Und hier ist die Rolle, die der Kunst nach dem Niedergang der Glaubensgewißheit zukam, nach wie vor unabweisbar da. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch auf die Reaktionen auf den frühen bis mittleren Anselm Kiefer verweisen; seine Räume und Architekturbilder tun etwas ganz Ähnliches, wie Syberberg tat, und auch hier brandeten nahezu sofort Diskussionen auf, die den Mann nach rechts drängen wollten.

    Es gibt noch weit mehr Aspekte für das, wo Kunst mit Recht und Notwendigkeit n i c h t Divertimento ist und sein darf, jedenfalls nicht in ihrer Zeitgenossenschaft. Aber dazu sind Die Dschungel ja da, daß solche Spuren – manchmal sind es Schneisen – nicht nur ein einziges Posting durchkreuzen.

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