Jeff Koons, gegen ihn selbst gewendet. Und Angelica bei sich: Puccinis IL TRITTICO an der Deutschen Oper Berlin.

Ein Dormitorium. Allein sitzt Suor Angelica mitten im Raum auf dem Bett, aufgestützt im Rücken, die Beine wie ein Mädchen von sich gestreckt. Links oben an der Wand eine Madonna auf kleiner, alkovenhafter Empore, rechts ein Gekreuzigter als Gemälde. Die Schwestern kommen zum Abendgebet, jede hat einen verbotenen Wunsch: die eine möchte gerne Gutes essen, die andere wünscht sich, wieder ein lebendiges (!) Lamm zu steicheln; Kinderwünsche, allemal. Verbotene Wünsche dennoch. Angelica wünscht sich zu ihrem gestorbenen Kind.
So beginnt, denkt man sich, ein Rührstück, eines, das wir auch gut kennen und ungern auf den Plattenteller legten. Da bewegt sich die Madonna und steckt sich eine Zigarette an. Ah, denkt der Zuschauer, Frau Wagner ironisiert die Schmonzette. Na gut, scheint mir auch richtig zu sein. Die Schwestern bewegen sich uni-aerobisch, Arme nach hie, Arme nach da. Hinter der hohen Fensterscheibe des Schlafraums geht Stroboskoplicht an, man sieht momentlang Engel wie von Jeff Koons, halt nur nicht Cicciolina. Das wieder wär, denkt man, der Gotteslästerung zuviel. Fürs Publikum also, man will ja Rücksichten auf die Abonnenten nehmen. So geht das Spiel immer wieder hin und her zwischen Ironie, Kitsch und ein bißchen Klamotte, wunderschön gesungen alles, anrührend, ist das Wort, aber halt auch ein bißchen sich drüber lustig gemacht. Ganz auf der Seite des aufgeklärten Verstandes, mithin. Die grausige Tante erscheint, ihre Diener an einer Leine im Sadomaso-Look. Paßt alles ins Bild. Die Tante geht, läßt die verzweifelte Nichte zurück. Da kommen die Schwestern vom Essen wieder, und jede hat etwas bei sich: jede bekam ihren Wunsch erfüllt. Obwohl er doch Sünde war. Wie seltsam! Nahezu unmerklich schwenkt Katharina Wagner um, man hat wirklich nicht bemerkt, was sie da vorbereitet hat. Denn es wird Nacht, man sieht noch einmal die Engel, da tritt von rechts Jesus Christus heraus, das blinkende italienische Herz Jesu um den Hals – und nimmt Angelica mit sich. Meine Damen und Herren, Sie hätten diese letzten Seufzer Angelicas hören müssen! Wie das mit einem Mal in die Seele geht. Und aller Vorbehalt gegen den Kitsch war, eben w e i l Wagner ihn erst so ironisiert, ja verspottet hat, dahin. Und Angelica bekam nicht nur – als Selbstmörderin – die Erlösung, sondern das ganze erste Tryptichon-Stück seine vollendete Wahrheit.
Ich war fassungslos. Und glücklich. Mehr kann keine Inszenierung erreichen.
Zwar, das zweite Stück, wir spielen Buffo, Gianni Schicchi, kam denn auch wie Gianni Schicchi daher: witzig, die Partitur ausgehört und alles mimisch und gestisch virtuos, die Personenführung, die Einfälle, prima. Aber ein Mittelstück halt. Und Laurettas Arie ist auch wirklich nicht zu retten, die gehört in ein Musical-Haus. Aber man kneift die Backen zusammen. Bis Frau Wagner wieder anzieht im düstren tabarro, dessen Bühnenbild sie in Puccinis Lebzeit verlegt, ganz art deco, sogar ein wenig Surrealismus, was die Madonna und den Jesus anbelangt, die es selbstverständlich auch, angemessen verkitscht, bei Donati Buoso gab, – aber erst jetzt wird deutlich, daß Wagner aus dem, was ein “Trittico” nur heißt, tatsächlich eines gemacht hat. Und zwar von der Bildmitte zu den beiden Seiten, den Flügeln des Altarbildes also, gedacht, in der Mitte immer das Bett, zu den Seiten körpergroßer devotionaler Schmuck. Die Personen im tabarro sind allerdings unsere Zeitgenossen: Michele telefoniert dauernd um Börsenkurse mit dem Handy und schaut sie sich auf dem Laptop an, Giorgetta langweilt sich unsäglich, und ihr Unterleib glüht. Da ist ein verlorenes Kind, beide sprechen nicht drüber, beide verdrängen. Es erscheint der Arbeiter von draußen, frisch von einem Berliner Tiefbaunternehmen einkostümiert, Giorgetta halluziniert eine Liebschaft, die inneren Bilder werden real, die gesamte Bühnenlandschaft verzerrt sich ins Traumhafte, durch das entsetzend als das gestorbene Kind du Mauriers kleiner Dämon aus „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ huscht. In roter Jacke mit Kapuze. Und auch hier – das ist für die Behandlung eines Puccinis sehr selten – wagt sich Wagner an eine Interpretation, eine Deutung. Ich verrate sie Ihnen aber nicht.
Einmal abgesehen von der Ideenfülle, abgesehen auch (aber wie darf man bei einer Oper?!) von den Stimmen – wirklich grandios dieser Michele, ein Baß wie schwarzes Metall -, hat Katharina Wagner eine Inszenierung ja: h i n g e l e g t, die enorm durchdacht ist – mit einem Arm wischt sie jedes Halbherz vom Tisch. Das beginnt bei den Grundelementen des Tryptichons, die ich schon beschrieb, das geht aber bis in die Struktur des inszenatorischen Aufbaus. Denn das Tryptichon wird geerdet, und zwar in der Musik und in der Semantik. Nicht nur geht es immer um eine Form von Erlösung (erhaltene wie versagte), sondern das Zentrum, das Mitteltableau, ist das Bett, ist der Tod. Und zwar der natürliche Buoso Donatis (Ganni Schichi). Das linke Tableau zeigt den Freitod, das rechte den Mord (der bei Wagner modifiziert wird, ein Mord aber bleibt; ich will wirklich nicht mehr sagen). Ganz entsprechend stellt Alexander Dodge (Bühnenbild) links und rechts die Gegengeschlechter in ihren heiligen Rollen auf, beide b l i c k e n auf den Tod. Im Raum zwischen Tod und Erlösung bewegen sich die Personen, sie kommen auch nie eigentlich hinaus, sondern immer hinein oder bleiben ganz drinnen. In sich. Das Außen wird durch das Fenster repräsentiert und durch das Fenster eben auch versiegelt. Da ist in Wahrheit nichts dahinter als eine Wand: Wir sehen ein vollendetes Tryptichon an.
Meine Damen und Herren, ich habe nicht mehr Platz, bin schon übers Maß hinaus. Sehen Sie sich’s an! Aber um eines möchte ich noch bitten, und zwar die Regisseurin selbst: Schenken Sie uns eine Rondine. Das wäre allzu schön.

[geschrieben für das >>>>Opernnetz.]

P.S. Wen meiner Leser Hintergründe zur Opernarbeit an der Deutschen Oper interessieren, der lese sich bei >>>> greenfish fest.

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