Arbeitsjournal. Sonntag, der 10. September 2006. Bamberg. Berlin.

5.38 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg. Pettersson, Drittes Konzert für Streicher.]
Mit nur leichten Mühen auf, zwei Stunden ungestörter Arbeit vor mir. Dann ungefähr wird der Junge aufwachen. Werd bis dahin mit dem PETTERSSON weitermachen, will mich auch gar nicht weiter ablenken lassen und auch im Zug, dem 11.09er, weiterschreiben, so gut es dann geht mit einem begleitenden Kind.
Daß der Sommer so offenkundig vorbei ist, daß bereits die Hitze so offenkundig vorbei und es morgens sehr sehr kühl ist, gefällt mir g a r nicht. Hitze ist für mich ein Beschleuniger, auch von Arbeitsprozessen.

6.07 Uhr:
Ich darf auf keinen Fall vergessen, den DAT-Recorder mit nach Berlin zu nehmen, damit ich dort für PETTERSSON morgen meine O-Ton-Aufnahmen in der U-Bahn machen kann. Hoffentlich taucht dann auch einer der Obdachlosen auf, die die Selbsthilfe-Zeitung verhökern, ich brauche wirklich originalen Ton. Sowas läßt sich nicht fingieren. Vielleicht nehme ich statt der U-Bahn eine S-Bahn. Ich kann ja einmal mit der 42er Ringbahn ums innere Berlin herumfahren, dann hätt ich eine genaue Stunde im Kasten; vielleicht nehme ich dann zusätzlich in der U-Bahn auf; mehr Material aus Öffentlichen Verkehrsmittelns wird für die Produktion micht nötig sein. Jedenfalls will ich damit den morgigen Vormittag zubringen.11.26 Uhr:
[ICE Bamberg-Berlin. Pettersson, Drittes Streicherkonzert.]
Es ist mir bewußt, daß >>>> ich mich identifiziere („mich“ meint i m m e r: meine A r b e i t). Und ich gebe das zu. Es ist mein W i l l e, so viel wie möglich über die eigenen inneren Prozesse ans Licht zu holen, was ein anderes Wort für „öffentlich machen“ ist. An unbewußten Prozessen bleiben dann immer noch genug, ja, ich glaube, daß ich um so mehr davon, um so tiefere, ins Werk hineinwirken lasse, um so mehr irgend greifbare und nach und nach greifbar werdende ich beiseiteräume. Vielleicht stoße ich so zu den allertiefsten vor und kann die dann gestalten. Wobei ich nämlich (und damit ebenfalls) g l a u b e, daß unsere allertiefsten Gründe gemeinsame sind. Das rechtfertigt das Verfahren, daß eben n i c h t der nur eigene Bauchnabel im Fokus steht.
Seltsam übrigens: Ich hatte zu Petterssons Streichkonzerten bis gestern keinen richtigen Zugang. Seit heute morgen hat sich das gründlich geändert. Solche Prozesse meine ich, wenn ich emphatisch von ‚Arbeit’ spreche: Sie ist etwas Schwieriges, fast immer, doch gelingt sie, dann wird sie zu etwas sehr Schönem.

Des weiteren ist mir bewußt, daß dieser seltsame Weg ins Gedicht, der zugleich n i c h t von der Prosa Abschied nimmt, sondern bloß, wenn auch mit anderen Mitteln, ein fortgesetzter Weg in die Form ist, etwas mit persönlichen Entscheidungen zu tun hat, die ich getroffen habe, mit der Akzeptanz einer schweren Situation und dem Willen, sie zu bestehen und nicht etwa davonzulaufen, weil sich eine Hoffnung nicht genau s o erfüllt, wie sie gehegt war, sondern sie erfüllt sich zwar schon, aber – jedenfalls erst einmal – anders. Sich dem auszusetzen, muß für jeden auch zu einer Perspektivänderung in seiner Arbeit führen, der Kunst so nah an sich auslebt wie ich und dem sie eben k e i n e Funktion von etwas ist, sondern basales Ich.

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