Arbeitsjournal. Freitag, der 10. November 2006. Bamberg. Aldersbach.

6.09 Uhr:
[Villa Concordia Bamberg.]
Guten Morgen, Leser; heute geht es >>>> zur Lesung ins >>>> Kloster Aldersbach, wo ich, zusammen mit meiner hiesigen linken Nachbarin >>>> Marion Poschmann auftreten werde; ich werde eine der kleineren Erzählungen aus >>>> DIE NIEDERTRACHT DER MUSIK, im übrigen aus >>>> EINE SIZILISCHE REISE lesen; jedenfalls ist das so vorgesehen. Mein Geschmack geht momentan anderswo hin: nämlich aus der NIEDERTRACHT gar nichts vorzutragen, sondern eingangs eine der >>>> Bamberger Elegien und danach n u r aus dem Sizilienbuch (das, übrigens, k e i n Roman ist, wie >>>> dtv das will, sondern eben fantastische Reiseerzählung; wo Roman draufsteht, Leser, ist mitnichten immer einer drin, aber ‚der Markt behauptet’, Erzählungen verkauften sich nicht, Romane hingegen sehr wohl; also wird so mit den Kategorien geschummelt, daß es schon auf Betrug hinausläuft und, was ich schlimmer finde, die ästhetischen Kategorien verwässert).
Um 14 Uhr wird hier mit dem Wagen gestartet; der Weg ist offenbar für die Bahn zu kompliziert, als daß es für die Beteiligten – Autoren und Gesandschaft der Concordia – erquicklich wäre. So wird mir morgen, weil ich dringend nach Berlin muß für spätestens den Sonntag, der Tag für die Arbeit halb ausfallen, denn ich werde erst mit dem Wagen wieder hierher zurückfahren und dann gleich in den ICE umsteigen. (Was’n Aufwand für, hörte ich, 200 Euro Honorar pro Kopf – v o r Steuern und vor allem vor Umsatzsteuer, für die bei Lesungen n i c h t der ermäßigte 7%-Satz, sondern der von, glaub ich, 16 oder 17 gilt; rechnen Sie mal selbst aus, was das schließlich für eine Tageseinkunft ergibt, für die man um die vierundzwanzig Stunden unterwegs ist; na, egal.)
Ich werd heut früh an der zwölften Elegie weiterbasteln; der Eingang ist ja gestern tatsächlich schon gemacht worden; damit hab ich meinen Wochen-Arbeitsplan sogar eingeholt, den ich mir am Montag vornahm; dann werd ich nächste Woche diese zwölfte ganz bestimmt schaffen, die Woche drauf die dreizehnte, und gut i s s e s mit dem Projekt, und es geht danach gleich wieder an >>>> ARGO. Während ich für die Überarbeitung des Kolosses noch einmal alles, was jetzt vorliegt, am Stück lesen werde – also >>>> THETIS, >>>> BUENOS AIRES und ARGO-Rohling, sollen die Elegien ‚abhängen’ – das heißt, es stellt sich eine Distanz her, die es einem ermöglicht, schließlich mit einem ganz anderen Blick an deren Überarbeitung zu gehen. Ich schrieb Ihnen ja schon, daß ich eventuell hie und da den strengen Hexameter auflösen will, auch sprachlich das eine und andere hineinweben, Wortarbeit leisten also, Assonanzen einbauen, vielleicht auch mit rhythmischen Verschiebungen spielen, manches putzen, das jetzt noch zu ungelenk daherkommt oder in der Wortwahl auf eine Weise antiquiert oder auf eine Weise ‚zu modern’, daß es die ästhetische Evidenz stört usw. Zumal habe ich Einwände, Vorschläge und Kritik literarischer Freunde zu dem Projekt in einer eigenen Datei gespeichert und will das dann Punkt für Punkt abarbeiten. Weitere Kritik wird hinzukommen. Außerdem will ich an einigen Stellen vorsichtig auf die >>>> Duineser Elegien anspielen, in deren Folge, dessen bin ich mir völlig bewußt – die Bamberger Elegien stehen; jedenfalls werden sie so gelesen werden und das wird dann einen Teil der Angriffe tragen, mit denen ich nach Erscheinen rechne: das wird von ‘reaktionär’ bis ‘epigonal’ gehen, auch der Kitschvorwurf wird wieder kommen, sofern nicht überhaupt verschwiegen werden wird. Das nehme ich alles bereits jetzt in den Blick. Vielleicht travestiere ich gelegentlich Duineser Bilder oder führe dortige Fragen weiter, die sorgsam in den Text implantiert werden müssen. Aber eben so, daß noch der böswilligste Kritiker zumindest merkt, daß ich bewußt arbeite. (Ähnliches täte ich gern mit Dante; aber das ist bisher allenfalls Vornahme einer Idee; vielleicht werd ich’s, wenn ich alles mit Abstand wiederlese, ganz sein lassen und da und dort den rhythmischen Strom in Richtung auf die lyrische Moderne hemmen. – Ich nehme mal an, daß ich diesen Arbeitsprozeß in den Januar hineinschieben werde; im Februar sollten die Elegien dann lektoratsfähig sein – und sie müssen das auch, um im Herbst 2007 als Buch erscheinen zu können. Wie es jetzt aussieht, wird >>>> Dielmann es herausbringen, ob nun mit der Villa Concordia oder ohne sie.
Ich will diese zwölfte Elegie meinem toten Vater widmen, nicht per Widmung expressis verbis, sondern thematisch: Vater sein, wenn man’s nicht ist, und daß der Sohn dann einer wird, ganz betont und mit Wissen; zugleich, natürlich, ein Klagegesang um den Vater, von dem nun, als gleichfalls Angesprochener, der eigene Sohn erfährt, dem der Großvater schon vor seiner Geburt verlorenging; auch hier wieder das Eingebundensein in einen Zeitfluß: Herkunft. Ob man sie weiß oder nicht.Mein Vater hat – psycho-emigriert in Mallorcas Steinwüste bei Felanitx – in seinen letzten Jahren (er starb mit sechzig), hat er kaum noch gesprochen, aber er hat Wolken gemalt, immer wieder Wolken und darüber auch geschrieben; davon ist nichts erhalten als daß ich das weiß und nun immateriell weitervererbe. Sehe ich hier ü b e r die Regnitz, ü b e r die gegenüberliegende Häuserzeile, ü b e r den Hainpark, dann sehe ich, grade jetzt im Herbst, ebenfalls Wolken. Wolken und wieder Wolken. Das gibt den Einstieg. Auch sie, wie die Regnitz, ziehen.
So, den zweiten Kaffee anrühren, und los geht’s.

NACHTRÄGE. Kloster Aldersbach.

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